Ivica Prtenjača: "Der Berg"

Die Gegenwart will nichts bedeuten

05:40 Minuten
Das Buchcover zeigt auf hellbeigem Grund eine filigrane Zeichnung einer leeren Küstenlandschaft mit einem vereinzelten Baum im Vordergrund.
Ivica Prtenjača umgeht in "Der Berg" fast alle naheliegenden Anspielungen und Literarisierungen. © Cover: Folio Verlag / Collage: Deutschlandradio
Von Jörg Plath · 04.03.2021
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Drei Monate zieht sich ein Mann in die Einsamkeit einer kroatischen Insel zurück, um seinem Weltekel zu entfliehen. Angenehm zurückhaltend erzählt der kroatische Schriftsteller Ivica Prtenjača in seinem Roman "Der Berg" von einer langsamen Entrückung.
Mit einem altersschwachen Esel geht er hinaus in Einsamkeit und Wildnis – mit einem wilden Hund, der ihm sanft ergeben ist, kehrt er zurück. Ivica Prtenjača erzählt in "Der Berg" von einem Akademiker aus Zagreb, der an der Welt leidet, ihr für drei Monate entflieht und seinem Weltekel vielleicht für länger.
In kühleren Ländern würde der namenlose Ich-Erzähler vielleicht ein Schweigekloster aufsuchen oder ein esoterisches Sinnangebot wahrnehmen. Drei Monate lang sucht er auf einer kleinen Insel im Mittelmeer vom höchsten Hügel aus das sich in der Sommerhitze duckende Grün nach Rauch ab. Der Brandwächter glaubt sich "am Himmel und auf Erden zugleich".

Ein Esel namens Visconti

Ganz allein ist er nicht. Der Vierbeiner, der die Lebensmittel in die Höhe trug, weicht ihm nicht von der Seite. "Graf Esel" hat "etwas Edles und Bewundernswertes an sich", weshalb sein Name auch Visconti lautet, nach dem Regisseur, der der Aristokratie, dem Niedergang und dem Tod verpflichtet war.
Die übrige Tierwelt besieht sich der Mann eher ängstlich, vor allem die zahlreichen Schlangen, Skorpione und Spinnen, die in seinem Unterstand leben.

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Die Tage vergehen einer wie der andere. Der Brandwächter absolviert, begleitet von "Graf Esel", einen täglichen Rundgang, unten im Dorf füllen die Touristen Zimmer und Häuser.
Anfangs erinnert sich der Weltflüchtling an die gescheiterte Ehe, an die fristlose Kündigung wegen einer gescheiterten Ausstellung im Museum, an das "Gefühl der Freiheit und den Tod der Höflichkeit" danach, an die Qual beim Blick ins Auge eines Unfallopfers.

Verirrte deutsche Biker

Allmählich tritt die Gegenwart in den Vordergrund: Esoterische Trommler entzünden in der staubtrockenen Macchia ein Feuer für ihre Räucherstäbchen. Deutsche Biker, denen der Schweiß aus der Montur tropft, verirren sich im Wald. Pilger streben zur abgelegenen Kapelle des St. Isidor.
Die einen erschreckt der Brandwächter zu Tode, die anderen führt er zu den Motorrädern zurück, und den Gläubigen spielt er vor, einer der ihren zu sein. Der Wald zieht Menschen aller Art an, aber einen Brand muss der Wächter nur einmal melden.
Manchmal begegnet er schaudernd Tomo, der jede Nacht Wildschweine jagt. Begleitet wird der vereinsamte ehemalige Soldat und Waffennarr oft von seinem Neffen Zoe, der am Ende des Buches im Zentrum eines blutigen familiären Dramas steht. Mehr als 20 Jahre nach den Jugoslawienkriegen fordern die Grausamkeiten von damals noch immer Opfer.

Eine langsame Entrückung

Ivica Prtenjača, 1969 in Rijeka geboren, erzählt in seinem ersten auf Deutsch übersetzten Buch angenehm unaufwändig von einer langsamen Entrückung. Anfangs schildert sein Brandwächter elliptisch, dann ruhiger, und auch die Rückblenden bleiben aus. Die Gegenwart will nichts bedeuten, nur wahrgenommen werden.
Der Kroate legt keine Fährten, er umgeht elegant fast alle naheliegenden Anspielungen und Literarisierungen. Sein Brandwächter ist ein moderner Eremit auf Zeit, er verlässt den Hügel wieder, begleitet und beschützt von dem Hund des Soldaten Tomo, der sich das Leben genommen hat.
Gott existiert, glaubt der von der Welt Versehrte, er ist allerdings nur zu festen Arbeitszeiten erreichbar, weshalb manches Unglück nicht zu verhindern ist.

Ivica Prtenjača: "Der Berg"
Aus dem Kroatischen von Klaus Detlef Olof
Folio Verlag, Bozen 2021
162 Seiten, 22 Euro

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