Itzik Manger: neue Biografie von Efrat Gal-Ed

Der Dichter und sein Jiddischland

Jüdisches Viertel in Prag: Ein Händler akzeptiert neben Tschechischen Kronen auch Euro, Dollar und Schekel. Einst gab es ein blühendes jüdisches Leben in Osteuropa.
Jüdisches Viertel in Prag: Ein Händler akzeptiert neben Tschechischen Kronen auch Euro, Dollar und Schekel. Einst gab es ein blühendes jüdisches Leben in Osteuropa. © Imago / Klaus Marin Höfer
Von Igal Avidan · 12.02.2016
Die in Köln lebende Israelin Efrat Gal-Ed Efrat hat eine neue Biografie über den Dichter Itzik Manger geschrieben. Dabei geht es nicht nur um das Leben eines launischen, depressiven Mannes, der oft hungerte und nur dank wohlsituierter Gönner überleben konnte. Sie bettet Mangers Leben in sein Umfeld ein, in das sogenannte "Jiddischland" der Jiddisch sprechenden säkularen und bilingualen Juden in Osteuropa.
Troyke: "Wenn alle jiddischen Lieder verloren gegangen wären und man hätte die von Itzik Manger noch, dann hätte man irgendwie doch noch die jiddischen Lieder".
Sagt der Musiker Karsten Troyke, der seit den 1980er Jahren die Songs des bekanntesten Liedermachers singt. Sein Lieblingslied ist "Oifn weg schtejt a bojm":
Troyke und Brauner: "Ich singe das nachher, aber Sharon singt das so schön, Sharon Brauner. Darf ich vorstellen?" "Hallo... soll ich mal kurz ansingen?"
Die in Köln lebende Israelin Efrat Gal-Ed entdeckte Itzik Manger durch Radiofeatures. Die Judaistin und Germanistin übersetzte seine Lieder ins Deutsche. Jiddisch kannte sie von zu Hause: Es war die Geheimsprache ihrer Eltern.

Kein rumänischer Bürger mehr

2004 veröffentlichte Gal-Ed den Gedichtband "Dunkelgold" und nach jahrelanger Forschung kommt nun ihre monumentale Biografie "Niemandssprache" heraus. Darin schreibt sie auch über Mangers Schlager "Am Weg steht ein Baum":
Gal-Ed: "Und dieses Lied greift zurück auf ein sehr berühmtes Vorbild: Das war ein Volkslied, in dem ein Jude nach Eretz Israel fährt und er trennt sich von seiner Familie... Und Itzik Manger, und das ist typisch für seine Vorgehensweise,... greift zurück auf dieses Volkslied, lässt die meisten Zeilen weg, und macht daraus eine persönliche Geschichte, wo er, quasi als Vogel, vorhat, einen Baum, der im Winter draußen steht, einzuwiegen und zu trösten, denn alle Vögel haben den Baum verlassen. Aber die Mutter lässt das nicht zu, weil sie ihm immer mehr Sachen zum Anziehen gibt. Und am Ende ist... der Itzik so schwer beladen, dass er die Flügel nicht mehr ausbreiten kann und nicht mehr fliegen kann."
Das Lied "Oifn weg schtejt a bojm" erschien unter dem Titel "Itzik a vojgl" 1938, zwei Wochen nachdem Manger Polen verlassen musste. Denn im rumänischen Konsulat in Warschau will man seinen Pass nicht verlängern: Man hält ihn nicht länger für einen rumänischen Bürger! Mit seiner Ausweisung aus Polen endeten Mangers zehn produktivsten Jahre in Warschau, wo er die meisten Werke schrieb – sechs Gedichtbänder, Prosatexte, Essays, ein Theaterstück und den Roman "buch fun gan-ejden" (Das Buch vom Paradies), der ein Bestseller wurde.
Efrat Gal-Ed schrieb aber nicht nur Mangers Leben auf, das Leben eines launischen, depressiven und - wenn betrunken - auch gewalttätigen Mannes, der oft hungerte und nur dank seiner wechselnden Frauen und wohlsituierten Gönner überleben konnte. Sie bettet Mangers Leben in sein Umfeld ein, in das sogenannte "Jiddischland" der Jiddisch sprechenden säkularen und bilingualen Juden in Osteuropa.
In Polen lebte 1931 ein Fünftel der gesamten Judenheit; die größte jüdische Gemeinschaft Europas mit 350.000 Juden lebte in Warschau, das waren 30 Prozent der Stadtbevölkerung. Die Warschauer jiddische Wochenzeitung "Literarische Bleter", die Mangers Gedichte veröffentlichte, war die wichtigste jiddische Publikation und wurde von Juden weltweit abonniert. Hier berichtete man über Lesungen auf Jiddisch, Theateraufführungen und zum Beispiel den ersten internationalen jiddischen Kulturkongress, der 1937 in Paris stattfand - mit Vertretern aus 23 Ländern. Efrat Gal-Ed schreibt:
"Wer bei dieser Gelegenheit die Weltausstellung mit Picassos 'Guernica' und Albert Speers deutschem Pavillon besuchte, wird auch den ersten Pavillon der jiddischen Kultur gesehen haben – der neben dem deutschen platziert war. Im Internationalen Pavillon leuchtete in großen roten Buchstaben auf Jiddisch und französisch ‚ '11 Millionen reden Jiddisch'".

Kant in SS-Uniform

In dieser jiddischen Welt wuchs Itzik Manger auf, in Czernowicz und später im rumänischen Jassy:
Gal-Ed: "Im Cheder hat man gelernt die Bibel auf Hebräisch zu lesen und ins Jiddische zu übersetzen... Er ist vom Cheder direkt zur protestantischen Elementarschule gegangen, wo Deutsch unterrichtet wurde.... Das heißt, die Sprache, die er am besten beherrscht hatte, war Jiddisch...
Die Familie war bereits säkularisiert. Man ist noch zu den Hohen Feiertagen in die Synagoge gegangen. Die Mutter war fromm. Ich vermute, dass sie Shabbat gehalten hat... aber das war kein frommes Elternhaus... und Manger selber war in diesem Sinne kein orthodoxer Mensch, sondern durch und durch ein bereits in der zweiten Generation... säkularisierter Jude, der allerdings über die Mutter... ein inniges Urvertrauen in Gott hatte."
Religiös war Itzik Manger keinesfalls. Seine Fünfbuch-Lieder lösten einen internationalen Skandal aus, weil er mit den biblischen Helden humorvoll umging. Er brachte sie nach Osteuropa, verlieh ihnen Witz und Ironie und ließ sie Jiddisch sprechen.
1938 begann Mangers lange Flucht vor den Nazis nach Paris, Tunis und London. Nachts plagten ihn Albträume, wie Efrat Gal-Ed schreibt:
"Er träumt von Goethe mit einem Gummiknüppel in der Hand und von Kant in SS-Uniform. Seine Nerven sind zerrüttet."
Mangers Vater wurde in einem Konzentrationslager ermordet, sein Bruder starb auf der Flucht und Itzik Manger boykottierte Deutschland zeitlebens. In seinem letzten Interview erzählte er:
"Die Deutschen existieren für mich nicht. Die Frau, die meine Bücher in der Schweiz übersetzt, schreibt mir auf Deutsch, aber ich antworte auf Jiddisch in lateinischer Schrift."

Versöhnung mit der Muttersprache

Nach der Shoah wanderte Itzik Manger durch die jiddischen Exilgemeinschaften - Montreal, New York und schließlich Tel Aviv, wo er als einziger Jiddisch-Dichter 1958 zum zehnten Jubiläum der Staatsgründung wie ein Staatsgast empfangen wurde. Die Staatsgründer, die jahrzehntelang das Jiddische verdrängt hatten, versöhnten sich nun mit ihrer Muttersprache.
Ein Zionist war Manger nicht; aber in Israel lebten seine Schwester und seine Freunde. Dem Publikum in Tel Aviv rezitierte er daher folgendes Gedicht:
"Ich zog Jahre umher in der Fremde,
jetzt fahr ich heim, werd umherziehen zu Haus."
Gal-Ed: "Er sagte, ich war in diesem Land schon vor Tausenden von Jahren, sonst hätte ich meine Bibel-Gedichte nicht schreiben können."
Nach seinem zweiten Schlaganfall und einem langen Aufenthalt im Krankenhaus nahm Itzik Manger 1966 in Tel Aviv eine Schallplatte auf – es wird seine letzte sein.
Itzik Manger starb in Tel Aviv 1969 und es ist die Ironie der Geschichte, dass seine erste kritische Biografie ausgerechnet auf Deutsch erscheint.
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