Italienisches Dorf Riace

Bürgermeister Lucano bekommt Dresdner Friedenspreis

Domenico Lucano, Bürgermeister des kalabrischen Dorfes Riace, setzt sich für Flüchtlinge ein.
Domenico Lucano, Bürgermeister des kalabrischen Dorfes Riace © Eberhard Schade / Deutschlandradio
Von Eberhard Schade · 11.02.2017
In Internetforen wurde es schon als Kandidat für den alternativen Nobelpreis gehandelt: Der Bürgermeister Domenico Lucano nimmt seit 18 Jahren Flüchtlinge in seinem Dorf Riace auf und integriert sie erfolgreich. Jetzt bekommt er dafür den Dresdner Friedenspreis.
In der kleinen Werkstatt im Zentrum von Riace herrscht kurz vor Mittag Hochbetrieb. Vier Kalabrier und drei Flüchtlinge aus Eritrea versuchen einen riesigen Webrahmen aufzubauen. Mittendrin steht Domenico Lucano, der Bürgermeister von Riace und packt mit an. In Jeans, Sandalen und Poloshirt.
"Im Norden Italiens würde man ihnen mit sehr viel Skepsis begegnen. Hier dagegen arbeiten sie eigenverantwortlich mit und haben am Ende des Monats noch Geld übrig, das sie nach Hause, nach Afrika schicken können. Ein echtes Glückslos."
An dem er großen Anteil hat. Angefangen hat alles 1998, als ein Boot mit 217 kurdischen Flüchtlingen an der Küste der kalabrischen Fischerdorfes strandet. Lucano, heute 57 Jahre alt, ist damals noch Lehrer, mit ersten Ambitionen in der Politik. Politisch links zu stehen, sagt er, hat für ihn und sein Umfeld schon immer bedeutet, sich um die Schwächsten zu kümmern. Statt mitanzusehen, wie die Flüchtlinge in eines der Auffanglager verfrachtet werden, bietet er ihnen Häuser und Arbeit an.
"Dass ausgerechnet hier, an einem Ort, an dem einige Leute an eine soziale Utopie glauben, damals das Segelschiff strandete – ich weiß nicht: Vielleicht war es so etwas wie eine Fügung. Jedenfalls ist mit der Strandung ein Experiment gestartet. Der Ort war damals dabei, ein Geisterort zu werden – heute ist es ein Ort der Begegnung. Ein Ort, in dem immer Leute kommen und gehen."

Sondergenehmigung für unkomplizierte Aufnahme der Flüchtlinge

Vor allem die jungen Leute zog es damals weg. In den Norden, in die Industriestädte Turin, Genua und Mailand, dorthin, wo es Arbeit gab. Das Problem war die Abwanderung. Die Flüchtlinge waren die Lösung. Und Lucano – mittlerweile Bürgermeister – sah, wie sie seine Heimat belebten. Sein Verein nahm damals ein Darlehen auf, um baufällige Häuser wieder herzurichten und den Flüchtlingen für ihre Arbeit Löhne zu zahlen. Heute ist das Projekt "Citta Futura" der größte Arbeitgeber im Ort.
Es gibt vier kleine Kunsthandwerksbetriebe und eine Schule, die nur dank der Kinder der Einwanderer nicht geschlossen werden musste. Und so zynisch es klingt: am Nachschub von Flüchtlingen fehlt es nicht.
Die kalabrische Regierung hat Lucano mittlerweile eine Sondergenehmigung für die unbürokratische Aufnahme von Flüchtlingen gegeben. Wohl auch, weil sich das Ganze für beide Seiten rechnet. Denn die Unterbringung eines Flüchtlings in einem Auffanglager kostet den Staat etwa 55 Euro pro Person und Tag. Riace dagegen kommt für jeden Migranten mit nur halb so viel Geld aus Rom aus.

Wim Wenders hat Lucano ein Denkmal gesetzt

Der Bürgermeister ist immer wieder erstaunt über das Interesse an seinem "kleinen Projekt", sagt er bescheiden. In Wahrheit aber platzt er fast vor Stolz. Er, der Bürgermeister eines kleinen Dorfes, zeigt der Welt im Kleinen, wie Europa auch sein könnte. In Internetforen wurde er schon als Kandidat für den alternativen Nobelpreis gehandelt. Und dann kommt 2010 auch noch dieser berühmte Regisseur aus Deutschland und setzt ihm mit seinem Kurzfilm ein Denkmal. Der liegt natürlich auf der Festplatte seines Laptops. Lucano startet ihn.
Wim Wenders wollte in Kalabrien eigentlich einen fiktiven Kurzfilm über Migranten drehen. In Riace aber holt ihn die Realität ein. Er begegnet einem Flüchtlingsjungen aus Afghanistan - der Film erzählt seine Geschichte. An einer Stelle führt Wenders ein Interview mit Lucano, nennt ihn mutig und visionär. Lucano lässt die Passage laufen – ohne sie zu kommentieren. Noch heute bekommt er eine Gänsehaut, sagt er, wenn er an eine Rede von Wim Wenders denkt. Darin bezeichnet der das Zusammenleben der Menschen in Riace als "wahre Utopie".
Manchmal trägt der Film ganz schön dick auf, romantisiert das Zusammenleben im Dorf. Das spürt wohl auch der Bürgermeister, der längst zum Medienprofi gereift ist. Und warnt draußen vor der Tür davor, dass die Geschichte, die wie eine Wolke, wie eine Sternschnuppe über Riace gezogen ist, auch ganz schnell weiterziehen könnte. Das ist sie längst. Zwei Nachbardörfer nehmen nun ebenfalls Flüchtlinge auf.
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