"Italienische Nacht" am Schauspiel Stuttgart

Behutsam gekürzt, ansonsten ist alles original

07:17 Minuten
Der Schauspieler Peer Oscar Musinowski steht einsam an einem Biertisch, im Hintergrund spielt ein Blasmusikensemble
Manchmal sind die Demokraten ganz alleine: Peer Oscar Musinowski als Karl in Calixto Bieitos "Italienische Nacht" nach Ödön von Horvárth © David Baltzer
Rainer Zerbst im Gespräch mit Britta Bürger · 21.09.2019
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Calixto Bieito inszeniert von Horváths "Italienische Nacht" zur Saisoneröffnung am Schauspiel Stuttgart. Das Volksstück über den Untergang der Sozialdemokratie von 1931 bleibt dabei überraschend nah am Originaltext. Sehr zur Freude unseres Kritikers.
Die Linke zersplittert sich selbst, statt gegen die Rechten zu kämpfen. So lässt sich die Geschichte der "Italienischen Nacht" von Ödön von Horvárth aus dem Jahr 1931 zusammenfassen. Der Katalane Calixto Bieito inszeniert das Stück zur Saisoneröffnung am Schauspiel Stuttgart und er bleibt, wie unser Theaterkritiker Rainer Zerbst feststellt, sehr nah am Original: "Er hat sich hier vollkommen zurückgenommen."

Auch der Schluss ist original

Bieito liefere in Stuttgart etwas ab, das es heute eigentlich gar nicht mehr gebe, meint Rainer Zerbst: eine texttreue Inszenierung. "Ganz behutsam gekürzt, aber ansonsten ist alles da", so Zerbst. Selbst der Schlusssatz sei original, berichtet der Kritiker. "Der Stadtrat sagt: 'Solange ich Vorsitzender dieses Schutzverbandes bin, kann die Republik ruhig schlafen' und dann sagt einer 'Gute Nacht'".
Das mache das Ende sehr sarkastisch, sagt Zerbst: "Da braucht Bieito eigentlich gar nichts mehr dazu zu tun und er hat es eben auch nicht getan". Auch Bühne und Kostüme bleiben in der Zeit. Trotzdem sei es kein historisches Stück, resümiert Zerbst: "Wir als Zuschauer sind aufgerufen, uns unsere eigene Meinung zu bilden."

Aktuelle Assoziationen

Die Assoziationen seien sehr aktuell, berichtet Zerbst: "Ich hatte zum Beispiel die Sozialdemokratie von heute vor Augen. Ich habe mich an die 1. Mai-Feiern erinnert, die sie ja immer noch begehen. Der Tag der Arbeit als Partei der Arbeiter - die sie so ja nicht mehr ist. Es ist letzlich ein Anachronismus."
Der Schauspieler Elmar Roloff sitzt auf einer Bank und erzählt gestenreich, links neben ihm hören die Schauspieler Michael Stiller und Christiane Roßbach zu, rechts lauschen die Schauspieler Felix Strobel und  Boris Burgstaller
Großartiges Schauspielerensemble, meint unser Kritiker. (v.l.n.r Michael Stiller (Betz), Christiane Roßbach (Adele), Elmar Roloff (Stadtrat), Felix Strobel (Engelbert), Boris Burgstaller (Kranz))© David Baltzer
Diese Aktualisierung, die nur im Kopf der Zuschauer stattfindet, sei sehr viel wirksamer, als wenn der Regisseur Bieito Horvárths Stück krampfhaft aktualisiert hätte, meint Zerbst. "Eigentlich sollte es so eine Inszenierung nicht mehr geben, wir sind sie nicht mehr gewohnt. Aber wenn er jetzt politisch Position bezogen hätte, dann hätte er er die Aussage des Stückes verengt. So belässt er das ganze Spektrum, dass Ödön von Horvárth in diesem wunderbaren Text uns vorführt, und überlässt uns, uns unsere politische Reaktion darauf zu bilden."
Bieitos Inszenierung zeige eine Ehrfurcht vor dem Theaterstück, meint Zerbst und werde von einem großartigen Ensemble getragen: "Es ist ein Theater der Schauspieler."
(beb)
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