"Ist der Ruf erst ruiniert ..."

Von Almut Knigge · 08.01.2008
Auch in Lübtheen fürchteten die Bürger lange Zeit, dass das Image dahin ist, zumal NPD-Partei-Kader die idyllische Gegend zu ihrem neuen Zentrum erkoren hatten. Bei den Landtagswahlen 2006 hatte die NPD in dem Ort 16 Prozent geholt. Zuerst waren die Einwohner hilflos im Umgang mit den rechten Mitbürgern und ihren Wählern. Dann fingen sie an sich zu wehren.
Der Bundespräsident ist da.

"Ich will mal die Hand reichen ja, herzlich willkommen in Lübtheen, angenehme Stunden, danke schön, Hach, jetzt hab ich Herzklopfen."

Es ist ein schöner Sommertag und das 4000-Einwohner-Städtchen im idyllischen Elbtal zeigt sich von seiner besten Seite. Die vielen Linden, die die Kopfsteinstraße säumen, spenden Schatten. Präsidentengattin Eva Köhler ist beeindruckt – nicht nur von der ländlichen Idylle.

"Erst mal fand ich beeindruckend, dass sehr viel Jugendarbeit gemacht wird, dass überhaupt ein ganz reges Gemeindeleben mit Vereinen, angefangen vom Sport, für ältere Personen ist, außerdem bin ich hier hereingefahren, habe die vielen schönen Backsteinbauten gesehen, ich muss gestehen, ich war darauf nicht vorbereitet und ich war sehr angetan, wie schön die Stadt hier ist."

"Die Frau Bürgermeisterin hat gesagt, wir jammern nicht, wir kommen voran, das stimmt, langsam aber sicher, schön braun wird man in Lübtheen, Ostsee, …"

Dem Ministerpräsidenten unterläuft in der Euphorie der Stunde ein Freudscher Versprecher – braun ist ein Reizwort in der kleinen Stadt, seit sich die führenden Köpfe der NPD hier angesiedelt haben und jeder sechste bei der letzten Landtagswahl der NPD die Stimme gegeben hat.

Horst Köhler: "Das ist glaube ich das wichtigste meiner Gespräche hier, dass wir jetzt nicht tagesbezogen nur die Probleme sehen oder auch dramatisieren sollten, sondern dass wir ein Grundproblem sehen sollten in der Frage, wie fühlen sich die Menschen, welche Möglichkeiten haben sie, sich vor Ort oder auch in der Bundespolitik an demokratischen Entscheidungsprozessen zu beteiligen und hier gibt es glaube ich auch einigen Anlass zum Nachdenken und am Ende auch zur Verbesserung."

Direkt gegenüber vom Bürgerhaus liegt das Wahlkreisbüro von NPD-Fraktionschef Udo Pastörs und dem NPD-Landesvorsitzenden Stefan Köster. Im Fenster ein Plakat gegen Hartz IV. Ansonsten verzichtet die NPD an diesem Tag auf öffentliche Provokation. Trotzdem wissen alle, sie sind da und beobachten. Sie sind immer da.

"Also machen Sie es gut, wiedersehen, wiedersehen."

Der Bundespräsident fährt – und auch im Bürgerbüro der NPD geht das Licht aus für diesen Tag. Das Haus ist eines der schönsten am Platz, der alte Backstein saniert, die Fensterläden frisch gestrichen – alles originalgetreu im alten Stil. Bis vor 18 Monaten war hier noch der Schmuck- und Uhrenladen von Udo Pastörs.

"Das Haus war nicht schöner wie die links und rechts daneben ... er hat was draus gemacht, hat sich innerhalb von kürzester Zeit einen Ruf als Uhrmacher erarbeitet und als Juwelier auch, der ging ja soweit und hat gesagt 'Drei Goldsachen, nehmen sie die doch mit nach Hause und fragen sie ihre Frau, was sie gerne nehmen möchte und dann kommen Sie morgen wieder."

So hat sich Pastörs eingeschlichen in die Gemeinschaft. Dieter Karschewski erinnert sich. Mitte der 90er Jahre war das. Frau Pastörs hielt gern ein Pläuschchen auf dem Bürgersteig. Er beschäftigte ortsansässige Handwerker – und er bezahlte sie vor allem auch sofort. Er holte Unternehmer der Stadt zusammen an einen Stammtisch und engagierte sich in Bürgerinitiativen. Ein paar Kilometer weiter von Lübtheen, in Briest, kurz vor der niedersächsischen Landesgrenze hat er ein beinahe hochherrschaftliches Wohnhaus gebaut. Angeblich sollte dort eine Buchsbaumplantage entstehen. Sonst hätte er die Baugenehmigung nicht bekommen. Dass Pastörs an dem Flecken ein ganz anderes Interesse hat – woher soll man das wissen, fragt sich Karschewski heute.

"Also dass das richtig mal ein braunes Dorf gewesen ist, hab ich vorher nicht gewusst. Hat man zu DDR-Zeiten logischerweise nicht wahrgenommen, hat man auch nicht drüber gesprochen, war für mich auch neu, das zu erfahren."

Die Gegend ist ein bisschen unheimlich. Vor dem Dorf – kilometerweit nichts. Dann ein paar Häuser – und wieder viel – Nichts. Ein paar Häuser mit einer interessanten Vergangenheit. An den Giebeln der meisten Gebäude die Jahreszahlen 1936 oder 1938.

"Gut ich könnte sagen, wenn Udo sich 100 km weiter angesiedelt hätte, dann wäre das Problem NPD für uns auch ein Problem, aber nicht so fassbar und nicht so greifbar, dann könnten wir genauso antworten wie unsere Landes- und Bundespolitiker nach jeder Wahl 'Ich bin betroffen' - dann wären wir auch betroffen, hätten die Probleme aber nicht, aber ich seh´ darin auch eine Chance."

Bis vor kurzem konnte man auch noch Hakenkreuz und Wolfsangel an den denkmalgeschützten Mauern sehen. Die sind jetzt überputzt. Doch da hatte Pastörs schon immer mehr Gesinnungsgenossen um sich geschart.

"Gut, richtig gemerkt haben wir das denke ich erst, wie er politisch aktiv wurde, und das ist ja noch nicht so lange her. Richtig klar wurde es erst, wo es Richtung Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern ging."

Aus dem merkwürdigen Mitbürger wurde ein politischer Agitator, der offen drohte. Auch der Bürgermeisterin Ute Lindenau. Die konterte.

"Ich bin da immer sehr offensiv mit umgegangen, weil wir das Problem einfach auch haben, dass wir das mal bekommen, hätte ich nie gedacht, aber das ist ja ganz schnell gewachsen. Ich habe irgendwann mal überlegt, dass es so nicht weitergehen kann und das wir was machen müssen und so fing das mal an und so haben wir uns gefunden in einer kleinen runde und dann waren wir Bürger gegen rechts und dann haben wir die ersten Aktionen geplant."

Sie gründet die Initiative "Bürger gegen Rechts" – besonders viele Mitstreiter werden es nicht. Aber die, die mitmachen, sind effektiv. Immerhin kamen 500 zur Gegendemonstration, als die NPD ihren Wahlkampf in Lübtheen startete. Und auch das Interesse der Medien an dem Flecken in der Griesen Gegend, so wird die Ecke im Westen Mecklenburgs genannt, wurde immer größer. Nicht zum Vorteil der Stadt.

"Das Image der Stadt ist massiv geschädigt worden, das ist einfach so."
"Das schlimmste, was wir erlebt haben, war vor den Wahlen dieses Thema in Panorama, wir wussten, dass da gefilmt wird, die sind ja hier tagelang herumgelaufen und man wusste das ja auch und hat überlegt, was sagt du, wie antwortest du, aber die Reportage selbst, die hat uns die Beine weggehauen, danach haben wir keine Interviews mehr geben wollen, weil es ein völlig falschen Bild von Lübtheen dargestellt hat."

Der Film zeigt, wie die NPD es geschafft hat, in der Mitte der Gesellschaft anzukommen. Kunden im Laden des Uhrmachers, wie sie mit ihm politisieren, Bürger auf der Straße, die unsicher sind in ihrer Haltung gegenüber der NPD. Alles in allem steht Lübtheen als ein Dorf der demokratieunfähigen Trottel da. Für den Schulleiter der regionalen Schule, Andreas Cordt, auch Mitglied der Bürgerinitiative ein Schock. Er kennt auch die andere Seite des NPD-Kopfes.

"Er selber versprüht Aggressivität und man kann dann auch richtig ängstlich werden, ja, das ist so."

"Es engagieren sich viele Bürger, aber es gibt Bedenken oder Angst auch mal einen Schritt nach draußen zu gehen, das war bei mir in der ersten Zeit nicht anders, ich muss ganz ehrlich sagen, in der ersten Zeit ging es schon bis hin zur Angst, was machst du jetzt, du sagst offen, dass du dagegen bist, du selber hast keine Angst, hinter dir steht aber eine Familie, passiert irgendwas, kann irgendwas passieren."

Dieter Karschewski sieht das Interesse an seinem Heimatdorf eher sportlich. Für den Geschäftsführer der Concordia, dem Sportverein, war der Film so etwas wie eine heilsame Wende.

"Ich fand den gut. Der hat wach gemacht - für uns als Lübtheener war es schlimm. Das Image ist geschädigt worden. Aber ich will ja auch nach außen berichten, was ist da los, guckt da mal drauf. Im Nachhinein, diese Schärfe fand ich gar nicht schlecht."

Trotzdem hat bei der Landtagswahl jeder sechste Bürger NPD gewählt. Immer wieder muss die Bürgermeisterin Ute Lindenau erklären.

"… sicherlich ist ein Teil der 16 Prozent, das sind ganz klare Protestwähler, die sagen, denen da oben verplätten wir mal eins, und das ist so das Volk das sagt, lass die da oben mal machen, was sollen wir uns um die Nazis kümmern, wir kümmern uns doch nicht um die Nazis, lasst die paar Doofen doch mal laufen, das sind unsere Oberdemokraten , die müssen dann zusehen, wie sie klarkommen und alle anderen interessiert es nicht, das ist das Problem."

Bürger gegen rechts, Stricken gegen rechts, Kuchenbacken gegen rechts – hilfloser Aktionismus, über den sich die NPD öffentlich lustig macht. Was tun? Lübtheen schwenkt um.

"In der Anfangszeit, das muss ich zumindest für mich sagen, hat die NPD uns gezwungen, auf ihre Aktionen zu reagieren, das heißt, wir mussten ganz klar sagen, wir stellen uns gegen rechts auf, wir wollen euch nicht. Und dann irgendwann sind wir zu dem Umkehrschluss gekommen, wir lassen uns von der NPD nicht treiben, wir wollen FÜR Lübtheen was machen."

Und welches Argument gibt es, sich NICHT für seine Stadt zu engagieren. Ein schlauer Schachzug. Die Lübtheener werden gefragte Gesprächspartner für Politik und andere Kommunen.

"Wenn ich nur dagegen, dann biete ich vielen die Möglichkeit sich zu verschließen, die haben dann ein Alibi 'Schon wieder gegen Rechts, nun hör mal bloß auf'."

"Also dieses mit dem 'Gegensein' ist ja auch schlecht, also wenn wir gegen etwas sind, dann finden wir vielleicht einige die da mitmachen, aber es werden auch viele sein, die sagen, warum macht ihr das. Und ich bin als Demokrat ja auch einer, der gerne mal diskutiert und sagt: also das müsste man besser machen, und dieses besser machen, wofür wir sind, das muss dann ausgesprochen werden, und dieses gegen das ist nicht gut gewesen, also das ist wirklich so, dass wir sagen, wofür wollen wir uns einsetzen, das ist auch so ne Inhaltsfrage gewesen, wofür wollen wir uns einsetzen, wollen wir uns einsetzen gegen etwas, nee wir wollen doch für ... das ist genauso wie mit dem Sport, ich bin doch für meinen Verein, und das ist ne Geschichte, die uns dann auch bestärkt hat, wo wir gesagt haben ... ja auch die Sichtweise ist ne ganz andere, was müssen wir machen, damit man uns versteht."

Der Bundespräsident versteht. Sein stärkt. Er nimmt sich viel Zeit, lobt, sieht, was die kleine Stadt abseits der Wirtschaftsadern alles zu bieten hat. Vereine, Jugendclubs, Altenzirkel, Kultur, nichts Selbstverständliches für die ostdeutsche Provinz.

"Das war ne Bestärkung, das war wirklich auch genial, das war so ein Zeichen, hier ich bin der Bundespräsident, ich stärke euer Rückgrat, das ist endlich auch mal ein Zeichen der Politik gewesen, was wir bis dahin selten empfunden haben."

"Das hat mir auch ein bisschen aufgezeigt, in der ersten Zeit bin ich vielleicht auch ein bisschen zu verkrampft an die Sache rangegangen, also man muss ob man will oder nicht, locker damit umgehen, die NPD gehört leider zu Lübtheen, ich muss damit leben, ich darf es nicht aus den Augen verlieren, unter 'locker' verstehe ich auch nicht, dass ich mich nicht kümmere, aber ich muss ganz einfach mein Leben so weiterleben und kann nicht mit Hasskappe durch Lübtheen laufen."

Schließlich, so sagt die Bürgermeisterin, hat immer noch die Mehrheit demokratisch gewählt. Sie hat aus ihrer strikten Ablehnung der Rechten nie einen Hehl gemacht.

"Als Bürgermeisterin kann man zwei Sachen machen, man kann so tun als ob nichts passiert ist und sagen es ist alles wie immer, machen glaube ich etliche meiner Amtskollegen oder man hat die innere Einstellung und sagt, das kann nicht sein und man stellt sich ganz klar dagegen und dass man dafür auch was tut, dass das nicht so wiederkommt bei der nächsten Wahl oder man zumindest versucht was zu tun, ob das immer so Früchte bringt, das kann ich auch nicht sagen."

Ute Lindenau ist realistisch. Sie hat mit den Rechten schon mehrere Kämpfe ausgetragen. Auch vor Gericht. Sie mit einem kleinen Provinzanwalt, wie sie grinsend erzählt, und die NPD mit einem ganzen Heer von Anwälten aus Berlin. Sie hat gewonnen. Eine Zwischenetappe. Der Kampf um die Demokratie ist ein immerwährender. Auch da gibt es Erfolge. Wie das große Lindenfest im Spätsommer letzten Jahres. Demokratie braucht Verstärkung, war das Motto. Wie viele sich da auf einmal engagiert haben, das hat sie erstaunt

"Das ist noch nie passiert, das ist das erste Mal gewesen und da bin ich eigentlich stolz drauf, dass wir das geschafft haben so, und dass da auch alle so bereitwillig waren mitzumachen, das ist auch nicht so selbstverständlich gewesen, und die Unterstützung, die wir gekriegt haben, auch gerade von Gewerbetreibenden und Firmen, die ist nicht unbeachtlich, das war schon ganz schön, also war ein Verständnis dabei, dass man gesagt hat, ja, wir machen mit, also das war schon zum Teil auch selbstverständlich, wo ich das gar nicht so erwartet habe."

Auf dem Fest wurden verschiedene T-Shirts verkauft. Eines mit einem Lindenblatt, das Symbol der kleinen Stadt. Auf dem anderen der Schriftzug "Demokratieverstärker". Das war die Idee von Susanne Teilmann und Cornelia Neumann. Das Team vom mobilen Beratungsteam hat Lübtheen über Jahre begleitet und die Entwicklung beobachtet. Zur Euphorie gibt es noch keinen Grund – aber der Weg, den die Stadt gewählt hat, ist vorbildlich.

"Also grundsätzlich wird das Thema offener, es geht nicht mehr darum, wogegen sind wir, sondern wofür beziehungsweise wie wollen wir zusammen leben, das ist viel breiter als zu sagen, wir wollen eine Gruppe nicht oder wir stellen uns gegen eine politische Gesinnung, sondern wie wollen wir miteinander leben."

"Das schließt aber nicht aus, dass man eine klare Position gegenüber demokratiefeindlichen Tendenzen offen macht und das auch wirklich kundtut, und das muss auch so sein und das man auch bestimmten Aktivitäten der Rechtsextremen hier vor Ort und in der Umgebung auch offen entgegentritt und trotzdem wirbt, für das, was wir wollen, warum wollen wir Demokratie, warum ist die so wertvoll und warum müssen wir sie eigentlich verteidigen, das steht ja auch dahinter."

Andreas Cordts, der Lehrer, hat ein T-Shit mit Lindenblatt gewählt.

"Ich hab nicht diesen Demokratieverstärker, weil ich denke wenn man immer zu sehr auf etwas drückt, gibt es auch immer ne Gegenreaktion und davor habe ich eigentlich Angst. Ich will nicht treten und sagen, wir müssen wir müssen wir müssen, da wird's dann einige geben ... 'ach wir müssen gar nichts' andere müssen auch mal."

Der Sportler Karschewski hat den Demokratieverstärker auf der Brust.

"Wenn das nicht jeder mag, dann kann ich das auch so akzeptieren, weil das muss jeder für sich selbst beschließen, für mich heißt Demokratieverstärker ganz einfach etwas wacher sein."

"Ich weiß, dass einige Eltern es gekauft haben, ich weiß aber nicht, wie viel Schüler das haben, es wird auch nicht getragen an der Schule."

Auch wenn es nicht zu oft getragen wird, das T-Shirt, das Mode werden soll - es liegt doch bei vielen im Schrank.

"Und im Kopf denke ich noch mehr, das hat sich in den letzten anderthalb bis zwei Jahren gezeigt, dass die Bereitschaft mitzuziehen ist größer geworden und die Bereitschaft was zu tun auch."