Israelische Anwältin

Über das Recht von Toten auf Nachkommen

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Eine Frau hält den Kopf eines Neugeborenen in den Händen.
In Israel hat das Kinderkriegen einen hohen Stellenwert. Als Anwältin vertritt Irit Rosenblum in diesem Anliegen unkonventionelle Familien und sogar Verstorbene. © Eyeem / Cavan Agency
Irit Rosenblum im Gespräch mit Mandy Schielke · 21.03.2020
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In Israel hat das Kinderkriegen einen hohen Stellenwert. In-vitro-Fertilisation ist üblich und wird vom Staat unterstützt. Die israelische Anwältin Irit Rosenblum setzt sich sogar dafür ein, dass auch Tote noch Kinder in die Welt setzen können.
Mandy Schielke: Mit ihrer Organisation "New Family" setzen Sie sich dafür ein, dass möglichst viele Menschen in Israel Kinder bekommen können und auch Familien jenseits der klassischen Gesellschaftsmodelle entstehen. Sie sind der Ansicht, dass alle Menschen das Recht auf Nachkommen, eine Familie haben? Auch die bereits Verstorbenen?
Irit Rosenblum: Jeder hat das Recht auf Familie. Die Toten sind bereits tot, aber sie hinterlassen Familien und manchmal ein biologisches Testament, in dem sie den Wunsch äußern, dass man sie nicht vergisst und sie in gewisser Art und Weise fortbestehen wollen. Und ich sehe keinen Grund, warum wir das nicht zulassen sollten.
Alle profitieren davon - die Toten, weil wir sie durch die Kinder am Leben halten, die trauernden Eltern der Verstorbenen, weil wir ihrem Leben wieder Sinn geben und die potenziellen Mütter, die das Kind zur Welt bringen, weil sie und das Kind wissen, wer die Vorfahren sind und seine Wurzeln, seine Geschichte kennen. Das sind die einzigen Frauen, die sich ihre Schwiegermütter aussuchen können, das ist großes Glück.

Sperma- oder Eizellenentnahme nach dem Tod

Schielke: Wie darf man sich das vorstellen, Menschen spenden vor dem Tod Sperma oder Eizellen oder die Verwandten sorgen dafür, dass ihnen nach dem Tod noch etwas entnommen wird?
Rosenblum: Das kommt drauf an, es gibt zwei Möglichkeiten. Natürlich ist es am besten, wenn man zu Lebzeiten Sperma oder Eizellen einfrieren lässt. Menschen, die wissen, dass sie in gefährliche Situation geraten könnten, wie zum Beispiel Soldaten machen das, aber auch schwer Kranke. Andere schreiben ihren Wunsch auf. Ich versuche die Menschen in Israel ja dazu zu ermutigen, das in einem biologischen Testament festzuhalten. Dann können noch bis zu 72 Stunden nach dem Tod Sperma oder Eizellen entnommen werden, so lange sind sie überlebensfähig, aber wir sollten nicht zu lange warten.
Schielke: Sie haben einige der Familien vertreten, die unbedingt wollten, dass ihre verstorbenen Söhne, Töchter noch Kinder bekommen. Welche Geschichten stecken eigentlich dahinter?
Rosenblum: Es gibt eine wahnsinnige Geschichte über eine Familie, die einen ihrer Söhne bei einem Autounfall verlor. Der zweite Sohn war bei dem Unfall dabei und bat die Rettungskräfte inständig dem Verstorbenen Sperma zu entnehmen, weil er wusste, dass sein Bruder sich unbedingt Nachkommen wünschte. Sie weigerten sich aber.
Und sechs Monate später starb tragischer Weise plötzlich auch er, der zweite Sohn. Hinter diesen Geschichten verbirgt sich unglaubliches Leid! Die Eltern der beiden Söhne wussten, dieses Mal müssen wir Sperma extrahieren lassen und haben das veranlasst, jetzt kämpfen sie vor Gericht für den zweiten Sohn.

Den letzten Wunsch des eigenen Kindes erfüllen

Schielke: Was, denken Sie, motiviert die Angehörigen, diesen langen Kampf vor Gericht durchzuziehen, auch wenn es Jahre dauert?
Rosenblum: Der Zeitfaktor ist nicht ausschlaggebend. Wichtig ist, die Möglichkeit zu haben den letzten Wunsch des eigenen Kindes zu erfüllen und für das Fortbestehen der Familie zu sorgen. Manchmal braucht es auch länger, weil die Familie sich erst noch mit dieser Idee auseinandersetzen muss.
Dann wird jeder einzelne Fall vom Gericht geprüft. Das Gericht gibt vor, dass nach dem Tod des Angehörigen mindestens ein Jahr vergehen muss, bevor der gesamte Prozess ins Rollen kommt. Und dass die Eltern und die potenzielle zukünftige Mutter sich mit einer Sozialarbeiterin treffen müssen. Sie bereitet die Beteiligten auf die neue Situation vor, spricht mögliche Konflikte an und versucht herauszufinden, ob alle für diesen Prozess bereit sind.
Schielke: Oft sind es ja die Eltern, die dafür kämpfen, dass die Verstorbenen noch Kinder in die Welt setzen können, sie suchen auch die Familien oder Frauen aus, die Eier oder Spermien per In-vitro-Fertilisation eingesetzt bekommen und die Kinder dann großziehen. Sie treffen sich mit den Kandidaten und treffen dann eine Wahl?
Rosenblum: Das ist wie im normalen Leben, wenn Du Dir Deine zukünftige Ehefrau oder den Ehemann aussuchst. Es muss einfach passen! Also treffen sich die Eltern der Verstorbenen mit Kandidatinnen und suchen eine Frau aus.

Wenn Eltern potenzielle Mütter für ihre Enkel suchen

Schielke: Die Eltern des Verstorbenen treffen dann die Wahl und der eigentliche Vater in dem Fall eigentlich nicht.
Rosenblum: Wenn der Verstorbene verheiratet war, wird als erstes die Frau ausgewählt, die Ehepartnerin. Das kann der Verstorbene auch so festlegen, aber wenn er das nicht getan hat oder nicht mehr fähig war, das zu tun, oder die Entscheidung seinen Eltern überlassen wollte, werden sie die Wahl treffen.
Es ist aber nicht so, dass die Eltern der Verstorbenen und die potenziellen Mütter zusammen leben. Die Frauen sind komplett unabhängig und erziehen auch die Kinder alleine. Sie können auch in ein anderes Land ziehen, wenn sie das wollen. Es ist wichtig zu verstehen, dass die Eltern der Verstorbenen nur Großeltern sein werden, nicht anderes.
Schielke: Es ist also keine anonyme Spende. Worauf legen die meisten Angehörigen denn Wert? Welche Ansprüche stellen sie?
Rosenblum: Wir sprechen nicht davon, dass die Wünsche der Familien oder der Großeltern erfüllt werden sollen. Aber natürlich gibt es ihrem Leben eine neue Bedeutung und einen Grund weiterzumachen. Es macht sie glücklich, Enkelkinder zu haben. Und das Kind wird in eine Familie hineingeboren, die es mit offenen Armen empfängt und liebt. Das ist eine tolle Ausgangsposition im Leben.

Unkonventionelle Familienkonstellationen

Schielke: Haben die Frauen, diese künftigen Mütter, die Interesse zeigen, denn gar keine Bedenken, ein Kind von Toten zu bekommen?
Rosenblum: Natürlich nicht, niemand hat sie dazu gezwungen. Die meisten Frauen sind Ende 30 oder Anfang 40, viele sind Frauen in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften, die gerne eine Familie aufbauen wollen und die einzige Möglichkeit Sperma von einem Spender zu bekommen, dessen Identität sie kennen dürfen, ist dieser Weg. Aber sie dürfen auch die Familie des Spenders kennenlernen und haben dann zusätzliche Großeltern, Onkel und Tanten und sie kennen den familiären Hintergrund ihres Kindes. Das ist sehr wichtig.
Schielke: Das ist also eine Möglichkeit vor allem auch für unkonventionelle Familienkonstellationen Kinder zu bekommen. Eine sehr komplexe Situation. Wieso ist es Ihnen so wichtig, diese Menschen als Anwältin zu vertreten? Was motiviert Sie?
Rosenblum: Das hat sicherlich mit meiner Familiengeschichte zu tun, meine Vorfahren sind Holocaust Überlebende. Der Tod hält uns nicht ab, wir kämpfen gegen ihn an und sorgen für das Fortbestehen des Lebens.
Schielke: Was sagen Sie Menschen, die meinen, Sie gehen mit dem, was Sie da unterstützen, zu weit? Wir müssen annehmen, dass das Leben endlich ist und auch unsere Fortpflanzung?
Rosenblum: Wir müssen gar nichts akzeptieren. Wer sagt, dass wir das tun müssen? Sind diese Menschen Gott? Wenn wir die Möglichkeiten und Fähigkeiten haben nach dem Tod Kinder in die Welt zu setzen, dann können wir das auch machen! Wir zwingen ja niemanden.
Aber es ist unmoralisch zu sagen, dass Menschen, die den Wunsch, die Möglichkeit und den Willen haben, das nicht tun dürfen, weil wir das Ende akzeptieren müssen. Wir müssen gar nichts tun!
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