Israel

Viel gehört, kaum gesehen

Christian Wagner im Gespräch mit Dieter Kassel · 20.03.2014
Die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt IBA soll geschlossen und eine schlankere Anstalt aufgebaut werden. Während die Angestellten um ihre Jobs fürchten, finden die Pläne bei den Israelis breite Unterstützung, so Christian Wagner: Das Fernsehen sei altbacken. Das Radio allerdings "wichtig".
Dieter Kassel: Mit der Verlesung der israelischen Unabhängigkeitserklärung nahm am 14. Mai 1948 der Sender Kol Israel seinen Betrieb auf. Im Laufe der Jahre und Jahrzehnte wurde daraus die IBA, die Israel Broadcasting Authority, dieser öffentlich-rechtliche Rundfunksender veranstaltet mehrere Fernseh- und Radioprogramme und beschäftigt rund 1.600 Mitarbeiter. Sie alle bangen jetzt um ihre Jobs, haben gestern und vorgestern sogar schon gestreikt, denn die IBA soll abgeschafft werden. Fragen dazu jetzt an den ARD-Hörfunkkorrespondenten in Israel Christian Wagner. Herr Wagner, wer genau will denn diese öffentlich-rechtliche Riesenanstalt jetzt abschaffen.
Christian Wagner: Ja, wenn man das in Israel heute so verfolgt, dann eigentlich alle. Kommunikationsminister Gilad Erdan kam mit diesem Vorschlag Anfang des Monats und hatte Unterstützung vom Finanzminister, und die Regierung, die israelische Regierung, weiß da die große Mehrheit der Bürger hinter sich, die immer stöhnen, dass sie rund 70 Euro im Jahr an Gebühren bezahlen und eigentlich nichts dafür bekommen. Und insofern gibt es für diesen Regierungsvorschlag große Unterstützung. Und wie Sie gesagt haben, großen Widerstand bei den Beschäftigten von Kol Israel, die versuchen, mit Streiks und mehr Aufmerksamkeit diese Pläne noch zu stoppen.
Kassel: Sie kriegen dafür so wenig – wenn man einfach mal von außen guckt, sieht man, es gibt sieben landesweit verbreitete Radioprogramme, mehrere Fernsehprogramme. Wieso haben die Leute trotzdem den Eindruck, sie kriegen nichts von der IBA?
Wagner: Ich glaube, sie schauen vor allem auf das Fernsehprogramm, das tatsächlich etwas altbacken daherkommt. Und es gibt zwei private große Konkurrenten, die beim Publikum sehr erfolgreich sind, auch wenn sie zum Teil mit großen finanziellen Problemen kämpfen. Aber neben diesen beiden privaten Anbietern sieht das öffentlich-rechtliche Fernsehen ziemlich alt aus, auch wenn es eben einen Bildungskanal liefert und auch in arabischer Sprache sendet, neben dem hebräischen Programm. Also, da schauen die Leute sehr auf das Fernsehen und haben vielleicht gar nicht im Blick, dass mit dem Geld, was sie zahlen, auch das Radio finanziert wird, das sehr viele Leute sehr schätzen. Israel hat eine große Radiotradition, wie ich finde. Die Morgensendungen, die aus reinem Wortprogramm bestehen, werden von vielen, vielen Leuten gehört, weil es auch viele Pendler gibt und die im Auto sich dann informieren. Und da hat man Zeit für lange Interviews. Das ist auch schon wichtig, und das möchten, glaube ich, auch viele Leute nicht missen.
Kassel: Wie steht es denn sowohl im Fernsehen – Quote ist ja immer nur das eine, Herr Wagner –, wie steht es denn sowohl im Fernsehen als auch im Radio mit der journalistischen Qualität dessen, was die IBA in ihrem Programm bietet?
Das IBA-Radio hat eine große Bedeutung
Wagner: Also im Radio, muss man sagen, neben dem Armee-Radio, Galatz, ist Resched Bed, der Sender des … von Kol Israel, in dem morgens das stattfindet, was politisch an dem Tag angesagt ist. Also da finden die Politikerinterviews statt, dort sprechen israelische Radiomoderatoren auch zum Beispiel mit Politikern der palästinensischen Seite. Also, das hat eine große Bedeutung, und das sind dann auch die Zitate, die sich so den ganzen Tag über durch die Online-Medien ziehen. Von daher hat das eine große Bedeutung im Radio. Im Fernsehen kriegen eher die zwei großen privaten Konkurrenten die interessanten Interviews, über die man dann auch später noch spricht.
Kassel: Könnte denn diese Absicht – die bisherige IBA soll ja dann eine Nachfolgeorganisation durchaus geben –, zu zerschlagen, könnten dahinter denn auch politische Gründe stecken? Oder geht es wirklich nur um das Geld und um die mangelnde Beliebtheit?
Wagner: Ich habe darüber gerade mit einem Redakteur (Anmerk. der Redaktion: Tonstörung) gesprochen, mit Eran Zigorel aus der Auslandspolitikabteilung bei Kol Israel, und er sagt: Na ja, es ist schon so, dass die israelische (Anmerk. der Redaktion: Tonstörung) reformiert werden muss. Und er wollte das nicht so sehen, dass es politische Motive gibt. Er sagt, dass die meisten Politiker der Regierung den israelischen Rundfunk als zu links betrachten, das schon. Aber er sieht durchaus auch die Beweggründe, dass man hier eine Organisation reformiert, die zu groß geworden ist und zu behäbig und sich nicht mehr in allen Bereichen an die Neuen Medien (Anmerk. der Redaktion: Tonstörung) machen. Also selbst die Beschäftigten, die gerade gestern gestreikt haben, sehen das aus zweierlei Blickwinkeln.
Kassel: Wir reden gerade hier im Deutschlandradio Kultur live mit dem ARD-Hörfunkkorrespondenten in Israel, Christian Wagner, über das bevorstehende Ende des bisherigen öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Israel. Ich betone das live so ein bisschen, Herr Wagner, weil wir gerade zwei kleine Tonstörungen hatten, aber es geht bisher noch mit der Leitung. Nun wird gesagt, es soll ja nicht keinen öffentlichen Rundfunk mehr geben in Zukunft in Israel. Es soll eine Nachfolgeorganisation geben, die nur noch 600 Mitarbeiter hat, also gut ein Drittel ungefähr der jetzigen, die soll auch anders finanziert werden. Soll die denn trotzdem in etwa genauso viel bieten oder sogar mehr als bisher.
Errichtung eines Staatsrundfunks befürchtet
Wagner: Geplant ist, dass es bei den drei Fernseh- und acht Radioprogrammen bleibt. Aber wie Sie gesagt haben, die Finanzierung ganz anders aussieht. Es soll dabei bleiben, dass es eine Autoradiogebühr gibt. Zusätzlich soll sich dieses öffentlich-rechtliche Angebot dann aber auch durch Werbung finanzieren, und, ganz wichtiger Punkt, durch Steuermittel. Da ist geplant, etwa umgerechnet 40 Millionen Euro im Jahr reinzugeben. Und das wirft dann natürlich Fragen auf, wie unabhängig das noch sein kann. Allerdings muss man auch sehen, dass der israelische Rundfunk bisher in den Spitzenpositionen von der Politik bestimmt wurde. Also führende Positionen wurden durch politische Entscheidungen besetzt. Und das soll sich jetzt ändern, insofern sagt auch die Regierung Netanjahu, dass dieser Rundfunk dann unabhängiger sein wird. Die Beschäftigten sehen das natürlich ganz anders und sagen, wenn jetzt 1.600 Leute auf die Straße gesetzt werden und Abfindungen bekommen, dann werden auch nur die wieder eingestellt in eine neue Organisation, von denen die, die darüber entscheiden, glauben, dass sie sich in ihrem Sinn verhalten und entsprechend berichten.
Kassel: Wie wird denn das in den anderen Medien, in den Zeitungen zum Beispiel, kommentiert? Sehen die auch die Gefahr, dass das Ganze wirklich zum Staatsrundfunk werden könnte, oder werden da die Veränderungen eher begrüßt?
Wagner: Da werden die Veränderungen eher begrüßt, weil man zum Beispiel jetzt gehört hat, dass der israelische Rundfunk nicht mal ganz genau sagen konnte, wie viele Leute beschäftigt werden. Man muss auch sagen, das ist jetzt die insgesamt 15. Kommission, die sich an dieser Aufgabe, die IBA zu reformieren, abgearbeitet hat. Und natürlich erscheint es erst sehr radikal, den gesamten öffentlich-rechtlichen Rundfunk abzuschaffen, das kann man durchaus infrage stellen, aber diejenigen, die in dieser Kommission saßen, haben gesagt, es gibt keine andere Möglichkeit, wir müssen von ganz Neuem anfangen. Und wie radikal diese Schritte auch geplant sind, kann man vielleicht daran ablesen, dass allein für die Abfindungen 160 Millionen Euro eingeplant sind. Dafür soll dieser öffentlich-rechtliche Rundfunk seine Immobilien in Jerusalem, Tel Aviv und Haifa verkaufen, um das Geld dafür aufzubringen. Und dann will man was Neues aufbauen. Also, es ist eine sehr zweischneidige Sache, würde ich sagen.
Noch haben die Angestellten Hoffnung
Kassel: Ich hab es schon erwähnt, es gab erste Streiks, am Dienstag gab es, glaube ich, drei, vier Stunden keine Nachrichten. Das sind so punktuelle Streiks im Moment. Aber haben denn die Mitarbeiter jetzt der – ich bin schon fast versucht zu sagen, der alten Rundfunkanstalt – noch eine Chance oder glauben sie, die Würfel sind im Grunde gefallen?
Wagner: Der Redakteur Eran Sigorel, mit dem ich gesprochen habe, hat gesagt: Na ja, also, zum einen gab es ja jetzt in den vergangenen zwei Jahren Vereinbarungen, auf die sich die Regierung festgelegt hatte. Da war zum einen geplant, 700 Leute zu entlassen und mit dem Rest der Beschäftigten weiterzumachen. Diese Vereinbarung steht eigentlich noch. Die müsste dann aufgekündigt werden. Dann braucht man Gesetzesänderungen, die auch erst mal durchs Parlament müssen. Und der ganze Prozess, wie er jetzt vom israelischen Kommunikationsminister vorgelegt worden ist, würde mindestens ein Jahr in Anspruch nehmen. Also, da sind noch viele Punkte offen, und die Beschäftigten haben noch eine gewisse Hoffnung, dass sie mit ihrem Protest etwas erreichen können, obwohl diese Pläne sehr, sehr detailliert schon auf dem Tisch liegen. Und ja, in einem Jahr dann eine Organisation, eine Stelle geschaffen werden soll, die zum einen den alten Rundfunk abwickelt und eine zweite Stelle geschaffen werden soll, die einen neuen Rundfunk aufbaut. Also so detailliert sind die Pläne schon. Wir werden sehen, wie sich das die nächsten Monate über entwickelt, aber wie vieles andere in Israel, braucht auch das seine Zeit.
Kassel: Danke schön! In Israel soll der bisherige öffentlich-rechtliche Rundfunk abgeschafft und durch eine deutlich kleinere und anders finanzierte neue Anstalt ersetzt werden. Wir sprachen darüber mit unserem Korrespondenten Christian Wagner.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.