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Denkmalschutz
Thüringen will Schlossbesitzer enteignen

Die Thüringer Landesregierung will nicht länger zusehen: Seit 15 Jahren steht Schloss Reinhardsbrunn leer und verfällt. Jetzt will das Land den Eigentümer enteignen - ein Präzedenzfall.

Von Henry Bernhard | 17.08.2016
    Landesdenkmalpfleger Holger Reinhardt zeigt Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) auf Schloss Reinhardsbrunn historische Aufnahmen des vom Verfall bedrohten Denkmals.
    Bereits 2014 zeigte Landesdenkmalpfleger Holger Reinhardt der damaligen Ministerpräsidentin Thüringens, Christine Lieberknecht (CDU), auf Schloss Reinhardsbrunn historische Aufnahmen des vom Verfall bedrohten Denkmals. (dpa / picture alliance / Michael Reichel)
    Benjamin-Immanuel Hoff: "Wir sind ein Land, das in seiner ganzen Residenztradition, aber auch in seinem Kulturland-Selbstverständnis ein Bundesland ist, in dem der Schutz dieser Kulturdenkmäler, die die Residenztradition unseres Freistaates repräsentieren, eine besondere öffentliche Aufgabe ist. Das bisherige Agieren des Eigentümers und die Bedeutung dieser Schloss- und Parkanlage lässt uns nach unserer Auffassung keine andere Möglichkeit, als diesen Weg zu gehen, auch wenn wir wissen, dass wir bei der Enteignung einer Schlossanlage Neuland betreten, dass wir uns nicht auf eine große Zahl ausgeurteilter Rechtsprechung beziehen können."
    Der Landkreis unternahm die nötigsten Reparaturen
    Die Thüringer Landesregierung will nicht länger zusehen: Seit 15 Jahren steht Schloss Reinhardsbrunn leer und verfällt. Das Dach ist undicht, die Böden und Fenster zerstört, die Außenmauer teilweise eingestürzt; zwei Glocken und die Turmuhr wurden mit erheblichem technischen Aufwand gestohlen. Der Landkreis unternahm die nötigsten Reparaturen; der Eigentümer, eine GmbH in russischer Hand, zahlte fast nichts dafür. Deshalb ließ die damalige Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht vor zwei Jahren ein Rechtsgutachten erstellen, inwieweit eine Enteignung rechtlich möglich wäre: "Das kann nicht der Wille unseres Rechtsstaates sein, dass wir sagen, 'Privat?', Achselzucken, 'Geht uns nichts mehr an!' Aber wenn man Verantwortung für ein Land trägt, und wenn man Thüringen wirklich als Kulturland versteht, so wie ja die jahrhundertelange Prägung ist und wie wir sind, und wie wir es, glaube ich, in dieser globalisierten Welt immer mehr auch als Chance wahrnehmen können, dann brauchen sie jemanden, der jetzt mal sagt: Denkt mal jetzt wirklich in längeren Linien und über ein paar Generationen! Wir meinen es ernst. Und als Ultima Ratio muss man, wenn ein Eigentümer eben permanent seine Pflichten verletzt, auch entsprechende rechtliche Handhabe haben."
    Das Rechtsgutachten des Verwaltungsrechtlers Prof. Michael Brenner von der Universität Jena führte daraufhin aus, dass die Hürden für eine Enteignung sehr hoch lägen, dass sie nötig und verhältnismäßig sein müssen. Dass dem so sei, daran ließ Brenner schon damals keinen Zweifel: "Es kann dem Landkreis nicht zugemutet werden, bis zum Sankt-Nimmerleinstag immer und immer und immer wieder vorläufige Sicherungsmaßnahmen auf eigene Kosten zu treffen, die vom Eigentümer nicht eingetrieben werden können. Das heißt also: Die Zumutbarkeitsgrenze ist hier letztendlich für den Freistaat erreicht. Anders formuliert: Das Tor für eine Enteignung ist durch das bisherige Verhalten des Eigentümers ganz weit offen."
    Die Enteignung ist ein Präzedenzfall
    In den seitdem vergangenen zwei Jahren verfiel Schloss Reinhardsbrunn weiter, und die Thüringer Landesregierung verhandelte mit dem Eigentümer. Thüringen bot einen Euro für das Schloss –angesichts des gewaltigen 80-jährigen Sanierungsstaus möglicherweise keine zu geringe Summe. Der Besitzer hätte zugestimmt, bestand aber darauf, dass das Land Thüringen die Grundschuld von knapp 10 Millionen Euro übernimmt, die auf der Schlossanlage liegt. Dies jedoch lehnte Thüringen ab. Nach dem vorliegenden Rechtsgutachten würde in einem Enteignungsverfahren die Grundschuld nicht auf das Land übergehen, sondern beim jetzigen Eigentümer verbleiben. In der Thüringer Landesregierung ist man der Meinung, so Kulturminister Benjamin-Immanuel Hoff: " … dass wir mittlerweile einen Zustand des Schlosses erreicht haben, der ein Handeln erforderlich macht, wir ja erstens nicht damit rechnen können, dass der Eigentümer sich eines Besseren besinnt und wir aber nicht in der Situation sind, tatsächliche Maßnahmen an diesem Schloss vorzunehmen, auf die Gefahr hin, dass wir zu einem substanziellen Verfall dieses Schlosses kommen. Insofern ist es die bewusste Entscheidung gewesen, dass wir nicht weitere Zeit verlieren können."
    Das Land Thüringen wird nun das Verwaltungsverfahren zur Enteignung nach dem Enteignungsgesetz einleiten. Im Minimum rechnet man mit einer Verfahrensdauer von 15 Monaten. Dem derzeitigen Eigentümer steht dann allerdings noch der Rechtsweg offen. In der Zwischenzeit will die Landesregierung ein Nutzungskonzept entwerfen. Die Kosten des Verfahrens sind noch unbestimmt, ebenso die der späteren Sanierung. Die Enteignung eines Kulturgutes aus Denkmalschutzgründen jedoch ist ein Präzedenzfall in Deutschland, dessen ist sich Kulturminister Benjamin-Immanuel Hoff bewusst: "Es gibt durchaus in den Denkmalschutzbehörden und den Oberen Denkmalschutzbehörden der Länder ein erhebliches Interesse, wie dieses Verfahren weitergehen wird."