Israel

"Boykott trifft die Falschen"

Carlo Strenger im Gespräch mit Joachim Scholl · 21.02.2014
Unter dem Motto "Kappt die Verbindungen" ruft eine palästinensische Kampagne zum kulturellen Boykott Israels auf. Ihr haben sich bereits prominente Künstler und Wissenschaftler angeschlossen. Carlo Strenger kritisiert die Aktion. Davon profitieren würden nur die Rechtsextremisten.
Joachim Scholl: Am kommenden Montag fliegt eine deutsche Delegation nach Israel zu den alljährlichen deutsch-israelischen Regierungskonsultationen. Kanzlerin Merkel ist selbst mit dabei, wohl auch angesichts der großen Empörung, die die Rede des deutschen EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz in der Knesset ausgelöst hat. Schulz hat die israelische Siedlungspolitik kritisiert, und diese Kritik wird auch geteilt von der "Palästinensischen Kampagne für den akademischen und kulturellen Boykott Israels". So nennt sie sich, eine Initiative, der sich inzwischen weltweit prominente Wissenschaftler und Künstler angeschlossen haben. Aus Tel Aviv ist uns jetzt der Psychologe und Publizist Carlo Strenger zugeschaltet. Guten Morgen, Herr Strenger.
Carlo Strenger: Schönen guten Morgen.
Scholl: Sie haben vielfach öffentlich selbst gegen die israelische Besatzung der Palästinenser-Gebiete protestiert und tun es noch. Welche Reaktionen bekommen Sie denn?
Strenger: Kommt ein bisschen darauf an von wem. Meine liberal ausgerichteten Freunde sowohl in Israel als auch außerhalb sind mit mir absolut einverstanden. Wenn ich da eine kleine Korrektur auch noch geben darf? Schulz' Rede hat nicht generell in der Knesset einen Sturm ausgelöst …
Scholl: …sondern bei der Siedlerpartei…
Strenger: …ganz gezielte Show, die von Bennetts Partei im Voraus geplant gewesen ist und die bei seinen Wählern natürlich gut angekommen ist. Der Rest der Knesset, inklusive übrigens dem Sprecher der Knesset, der vom Likud ist, also nicht gerade links orientiert, haben gefunden, dass das Verhalten von Bennett unter jeder Kritik gewesen ist.
Scholl: Die Empörung der israelischen Siedlerpartei über Martin Schulz, die wird nun aber auch alle Aktivisten bestätigen, die zu diesem kulturellen und akademischen Boykott Israels aufrufen, und diese Kampagne haben Sie, Herr Strenger, massiv kritisiert. Warum ist das Ihrer Meinung nach der falsche Weg?
"Warum gerade Israel?"
Strenger: Fangen wir mal mit Moral und Ethik und intellektueller Redlichkeit an. Ich weiß, dass das in der Politik nicht unbedingt das wichtigste Kriterium ist. Aber Sie wissen einerseits, wie sehr ich gegen Israels Besetzungspolitik bin. Andererseits: Wenn wir zu Menschenrechtsverletzungen kommen, dann ist Israel, insgesamt gesprochen, weltweit an einem guten Ort in der Mitte. Und ich glaube, um es einfach zu sagen, dass es heuchlerisch ist, ausgerechnet Israel mit einem Boykott zu drohen, wenn in Iran jährlich zirka 500 Menschen zum Beispiel für Homosexualität gehenkt werden, wenn China systematisch Menschenrechte nicht respektiert, von Tibet bis selber nach Beijing. Ich spreche schon gar nicht über das, was im Moment in Russland läuft.
Ich glaube, dass sich all diese Boykott-Vertreter wirklich mal die Frage stellen sollten, warum gerade Israel. Eine der einfachsten übrigens Antworten ist, es ist ja immer einfacher, sich mit einem kleinen Land anzulegen.
Scholl: Aber, Herr Strenger, wenn Sie die Menschenrechtsverletzungen in anderen Ländern als Argument anführen – und Sie haben das getan in einem offenen Brief im vergangenen Jahr gegen Stephen Hawking, den weltberühmten Physiker, haben ihm eben diese Heuchelei vorgeworfen -, dann ist es natürlich schwer, Israel überhaupt in irgendeinem Sinn zu kritisieren. Dann kann ja niemand mehr grundsätzlich überhaupt Kritik äußern. Das kann nun auch nicht in Ihrem Sinne sein?
Strenger: Entschuldigung! Da muss ich Sie jetzt kritisieren. Ich habe nie, aber auch nie gesagt, dass man Israel nicht kritisieren kann. Ich habe x-mal geschrieben, dass ich es unerträglich finde, wenn jede Kritik an Israel sofort als Antisemitismus bezeichnet wird. Das heißt, mir vorzuwerfen, dass, wenn ich gegen einen kulturellen und akademischen Boykott bin, dass ich dagegen bin, Israel zu kritisieren, das ist nun wirklich ein Verdrehen der Tatsachen.
Scholl: Nein, nein! Ich habe nur die Argumentationen gemeint, Herr Strenger. Lassen Sie uns noch mal zurück zu diesem Boykott kommen, weil so bekannt ist er ja auch nicht. "Cut the ties", "Kappt die Verbindungen!", das ist der Slogan jener Initiative. Konkrete Beispiele wären die Absage von Wissenschaftlern, nach Israel zu reisen oder umgekehrt, israelische Forscher woanders hin einzuladen, aber auch Künstler nicht mehr einzuladen, israelische Filme auf Festivals nicht mehr zu zeigen. Instinktiv denkt man bei einem solchen Aufruf, das trifft doch eigentlich auf jeden Fall die Falschen. Die Boykott-Aktivisten aber sagen: Nein, der Protest, der muss direkt in die Gesellschaft hineingetragen werden, um dort dann wiederum Druck auf die Regierung zu übertragen. Was entgegnen Sie denn auf dieses Argument?
"Boykott ist reines Eigentor"
Strenger: Okay. Noch mal: Ich muss erstens noch mal betonen, dass ich ethisch, pragmatisch und intellektuell es absolut für absurd und unerträglich sehe, dass iranische Filme gezeigt werden können und israelische Filme sollen jetzt nicht gezeigt werden. Pragmatisch gesprochen ist die Strategie, einen Kultur- und akademischen Boykott zu machen, gelinde gesagt dumm, weil wie meistens auf der Welt sind die akademischen und kulturellen Kräfte in Israel liberal orientiert. Zum allergrößten Teil handelt es sich um Menschen, die gegen die Besetzung sind. Das einzige was geschehen wird ist, dass die Rechtsextremisten in Israel sagen würden, es ist ja ganz gut, dass all diese Professoren und Schriftsteller und Sänger, die wir eh nicht mögen, weil sie viel zu link sind, dass die jetzt mal nicht mehr in der Welt herumfahren können. Das heißt, rein vom Pragmatischen gesprochen ist das ein reines Eigentor, auf einen akademischen und kulturellen Boykott zu gehen.
Wenn ich da noch was hinzufügen darf: Ich bin ganz generell gegen akademische und kulturelle Boykotts. Ich bin nicht dafür, China oder Russland oder Iran akademisch und kulturell zu boykottieren, weil man will ja schlussendlich auch irgendwelche Beziehungen aufrechterhalten, um Dialogmöglichkeiten offen zu halten. Ich muss Ihnen sagen, dass ich ganz gut damit lebe, dass mit den neuen EU-Richtlinien, dass die EU nicht mehr kooperiert oder finanziert irgendwelche Institutionen, Gesellschaften etc., die in der Westbank tätig sind, weil es handelt sich hier weder um einen Boykott Israels, noch um einen kulturellen und akademischen Boykott, sondern um einen Vertrag: Wir denken, für uns ist die Westbank nicht Israel, es handelt sich hier um etwas, was gegen das internationale Gesetz ist, und damit kooperieren wir nicht. Damit bin ich zum Beispiel vollkommen einverstanden, das sehe ich als absolut akzeptabel.
Scholl: Gegen einen kulturellen und akademischen Boykott Israels – Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Psychologen Carlo Strenger aus Tel Aviv. – Ein weiterer Kritikpunkt der Boykott-Aktivisten – und das sollten Sie uns vielleicht auch noch erläutern – ist, dass die israelische Regierung die Wissenschaft und Kultur für ihre Zwecke instrumentalisiere, so das Argument, zur PR degradiere. Wie sehen Sie diese Kritik oder diesen Zusammenhang? Sind Wissenschaft und Kultur wirklich nur Büttel der Regierung?
Strenger: Ich muss sagen, wenn mir jemand irgendeinen empirischen Beweis dafür geben könnte, wäre ich wirklich sehr, sehr dankbar. Die meisten Akademiker aus Israel, die in der Welt herumreisen, inklusive mich selber, sind wie gesagt weder Vertreter der Regierung, noch Vertreter der Regierungspolitik, sondern meistens dieser Politik gegenüber sehr kritisch eingestellt. Zum Beispiel die Batsheva Dance Company, die wirklich eine der besten modernen Tanzgruppen auf der Welt ist, die gehört nicht der Regierung, das ist eine private Non-Profit-Organisation. Die Versuche, die bisher von Netanjahus Regierung gemacht worden sind, so eine Art Propaganda zu machen, die haben nie was mit der israelischen Kultur zu tun und sind übrigens auch vollkommen ineffektiv. Das ist noch mal so ein Vorwand, der einfach auf nichts, auf keinen Fakten, auf null Fakten beruht.
Scholl: Es gibt ja auch in Israel eine Art interne Boykott-Initiative: "Boycott from Within" heißt es, also von innen. Auch davon haben Sie sich distanziert, Herr Strenger. Welche Form des zivilgesellschaftlichen Protests müssten denn entwickelt werden?
"Mainstream der Israelis will die Besetzung gar nicht"
Strenger: Ich nehme ständig an jeder Form von zivilgesellschaftlichem Protest gegen die Besetzungspolitik teil, von Demonstrationen in Scheich Dscharach über, wie Sie wissen, bin ich Kolumnist und Blogger, und es gibt nicht eine Woche, wo ich die Regierung nicht für die Besetzung angreife, was übrigens in Israel absolut möglich ist. Es gibt viele Akademiker und Künstler, die nicht bereit sind, in der Westbank aufzutreten, und das inklusive mich. Das sind alles Formen, die für mich absolut akzeptabel sind, weil es einfach darum geht, nicht mit einer Position zu kooperieren, die man grundsätzlich für ethisch und moralisch nicht verantwortbar sieht.
Scholl: Sehen Sie denn diese Kultur des Protestes wachsen, dass Sie auch immer mehr Zulauf haben, oder dass diese Kritik auch immer mehr triftiger und massiver wirkt?
Strenger: Sehen Sie, ich glaube, die interne israelische Situation ist eigentlich viel komplizierter, als sie von außen normalerweise gesehen wird. Konsequent 70 Prozent der Israelis denken, dass nur die Zwei-Staaten-Lösung hier Ruhe bringen wird. Die Israelis, der Mainstream der Israelis, die wollen diese Besetzung ja gar nicht. Es geht nicht darum, ob die Besetzung kritisiert wird, sondern es geht darum für die Mainstream-Israelis, ob die Sicherheit Israels weiterhin garantiert werden kann, wenn die israelische Armee keine Sicherheitskontrolle mehr über die Westbank hat. Das ist eine nicht triviale Frage.
Während der zweiten Intifada habe ich hier gelebt, das war furchtbar traumatisch. Das Szenario, dass Al-Kaida-Alliierte, Terroristen an der israelischen Grenze sind, ist kein paranoider Traum mehr. Vor einem halben Jahr hat das israelische Fernsehen Al-Kaida-Truppen vom Golan her direkt filmen können. Und die Frage, wie zum Beispiel verhindert werden kann, dass die Westbank von solchen Kräften infiltriert wird, ist keine triviale Frage, und man muss nicht irgendein rechtsextremer Paranoiker sein, um diese Fragen zu stellen.
Letztlich wird es darum gehen, nicht einfach Israel weiter nur zu kritisieren, sondern wirklich konstruktiv, was ja im Moment Kerry auch versucht, Lösungsansätze zu finden, die dem einfachen Israeli, der einfach nur eines will, er will fähig sein, sein Kind in der Früh in den Bus reinzusetzen, damit es in die Schule fahren kann, ohne dass es durch eine Bombe zerfetzt wird. Ich glaube, dass das oft einfach nicht gesehen wird. Es muss unterschieden werden zwischen Kräften wie Bennett und seinen Rechtsextremisten, die die Besetzung wollen und für die Menschenrechte einfach kein Argument sind, und dem einfachen Durchschnitts-Israeli, der sagt, ich will diese Besetzung nicht, ich will die Westbank nicht, aber ich muss sicher sein können, dass wir nicht wieder in eine Terrorphase hineingeraten.
Scholl: Kein kultureller und akademischer Boykott Israels – dagegen spricht sich Carlo Strenger aus, Psychologe und Publizist in Tel Aviv. Herzlichen Dank für das Gespräch, das wir über Skype geführt haben. Deswegen bitten wir die Qualität zu entschuldigen. alles Gute Ihnen, Herr Strenger.
Strenger: Ich danke Ihnen, einen schönen Tag.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.