Islamisten machen Ägypterinnen "sehr große Schwierigkeiten"

Mona Abou-Zeid im Gespräch mit Nana Brink · 22.12.2011
Die Übergriffe des ägyptischen Militärs gegen Frauen seien Teil einer Einschüchterungsstrategie der Regierung, sagt die Entwicklungshelferin Mona Abou-Zeid. Das Vorgehen der Soldaten sei ein "geschicktes psychisches Instrument", das an das arabische Verständnis der Geschlechterrollen rühre.
Nana Brink: Sie sind wütend, die Frauen in Ägypten. Nach den Bildern von Soldaten, die einer verschleierten Demonstrantin die Kleider herunterrissen und sie verprügelten, haben in der Welt für Empörung gesorgt, und danach gingen Mitte der Woche tausende Ägypterinnen auf die Straße. Ihr Protest richtete sich vornehmlich gegen die Militärmachthaber und die Soldaten, die Demonstrantinnen verprügelten und belästigten, hauptsächlich in der Nähe des Tahrir-Platzes. Die Reaktion aus dem Ausland ist eindeutig: So erklärte US-Außenministerin Hillary Clinton, die systematische Erniedrigung ägyptischer Frauen entehrt den Staat. Am Telefon ist jetzt Mona Abou-Zeid. Sie arbeitet für eine Entwicklungsorganisation in Kairo. Einen schönen guten Morgen, Frau Abou-Zeid!

Mona Abou-Zeid: Guten Morgen!

Brink: Gibt es eine systematische Gewalt gegen Frauen während der Proteste in Ägypten?

Abou-Zeid: Ich bin mir nicht so sicher, dass man sagen kann systematisch. Aber meiner Meinung nach ist die Gewalt gegen Frauen jetzt in den letzten Wochen größer geworden, definitiv größer als vorher.

Brink: Wie haben Sie denn die letzten Tage, die letzten Demonstrationen erlebt?

Abou-Zeid: Da ich selber nicht in den Geschehnissen dabei war, habe ich also im Fernsehen, über YouTube, auf Facebook, in Zeitungen alles verfolgt und meine Freunde alle auch. Und wir waren sehr schockiert drüber, wie viel Gewalt angewandt wurde und wie sehr das Militär doch jetzt den Mut hat, so hart durchzugreifen und so öffentlich und offensichtlich Gewalt anzuwenden. Wir sind alle ziemlich schockiert.

Brink: Wie erklären Sie sich, dass eben auch gerade die Gewalt gegen Frauen dann ja doch zumindest in unserer Wahrnehmung zugenommen hat?

Abou-Zeid: Meiner Meinung nach ist das ein geschicktes psychisches Instrument, nämlich in der arabischen Kultur sind Frauen das schwächere Geschlecht, und es ist die Rolle der Männer, Frauen zu schützen. Und wenn man solche Übergriffe gegen Frauen macht, dann sagt man gleichzeitig den Männern, die dabei sind: Ihr seid nicht Mann genug, diese Frauen zu schützen. Und den Frauen, die dort sind, macht man so viel Angst, dass sie sich das vielleicht in der Zukunft überlegen, ob sie da dabei sein wollen oder nicht. Also ich glaube, das ist ein geschicktes psychisches Instrument, das da angewandt wird.

Brink: Sie sagen also, es ist gezielt eingesetzt?

Abou-Zeid: Ja, ich glaube schon.

Brink: Haben jetzt viele Frauen auch Angst, auf die Straße zu gehen? Was erzählt man Ihnen, oder was kriegen Sie mit?

Abou-Zeid: Also, nicht auf die Straße zu gehen, weil ironischerweise sind die Geschehnisse alle in der Nähe des Tahrir-Platzes und beschränkten sich letzten Monat auf die Mohammed-Mahmud-Straße. Man weiß, also wenn man nicht dort hin geht, geht das Leben normal weiter, aber in der Gegend geht man halt das Risiko ein, dass einem etwas passiert. Also deswegen, wenn man sicher sein will, bleibt man einfach fern von diesen Gebieten. Es ist nicht überall auf den Straßen so.

Brink: Es gibt ja auch Stimmen in Ägypten, die sagen, die Demonstranten, gerade auch die Frauen, die sollen sich mäßigen. Spüren Sie, das das eine Mehrheit sein könnte in der Stimmung?

Abou-Zeid: Es gibt eine sehr große Gruppe, und vielleicht sogar eine Mehrheit, die sich fragen: Was suchen die Demonstranten dort überhaupt noch? Warum machen die noch Sit-Ins, was wollen die denn? Diese Leute, das sind die, die einfach wieder Sicherheit und Ruhe haben wollen und die nicht bereit sind, weiter zu kämpfen bis zum Ende. Und das ist, glaube ich, schon die große Mehrheit.

Brink: Und was wollen die meisten Frauen ihrer Meinung nach, wenn sie demonstrieren?

Abou-Zeid: Die Frauen, die wollen für Ägypten kämpfen, für die Rechte nicht nur von Frauen, sondern für die Menschenrechte, für freies Reden, freie Medien, für Bekämpfung der Armut – alle die Werte, die Human-Rights-Werte, sozusagen. Menschenrechte. Und da sind das nicht nur Frauen, sondern Männer und Frauen, also zusammen.

Brink: Beschränkt sich denn die Gewalt der Soldaten ja nicht nur auf die Frauen?

Abou-Zeid: Nein, nein, auf gar keinen Fall, Männer und Frauen. Nur vorher wurden die Frauen vielleicht ein bisschen weniger angegriffen als die Männer, und jetzt werden die voll mit angegriffen.

Brink: Die Militärregierung versucht ja zu besänftigen und äußerte öffentlich "tiefes Bedauern", das ist ein Zitat, wegen dieser Übergriffe. Wie echt ist das Bedauern? Trauen Sie diesem Bedauern?

Abou-Zeid: Nein, diesem Bedauern traue ich nicht, weil meiner Meinung nach hätten die diese Angriffe jederzeit stoppen können, wenn sie das gewollt hätten. Die sind absichtlich, und ich glaube, dass das Teil der Strategie ist. Ich glaube nicht, dass dieses Bedauern echt ist. Und die ägyptischen Frauen, die haben ja bewiesen, am Dienstag sind fast – also, in ägyptischen Medien stand, bis zu 30.000 Frauen, in der "New York Times" sprach man von Tausenden –, auf die Straße gegangen, und da waren auch ganz normale Mütter dabei, überhaupt nicht revolutionäre Leute, sondern ganz normale Hausmütter und junge Frauen, die mit demonstriert haben gegen diese Brutalitäten des Militärs.

Brink: Es gab ja so viel Hoffnung am Anfang dieser Revolution. Ist denn diese Revolution für die Frauen nun eine Enttäuschung?

Abou-Zeid: Also es wurde zumindest klar, dass sehr große Schwierigkeiten auf die Frauen zukommen mit den Islamisten, die jetzt auch irgendwie hervorgetreten sind und mehr zu sagen haben scheinen. Ich würde sagen, es ist nicht einen Enttäuschung, sondern eine große Herausforderung, weil alles hat sich jetzt kristallisiert, und es gibt Chancen und Risiken. Und die Frauen müssen jetzt unheimlich am Ball bleiben, damit sie die Chancen nutzen können und gegen die Risiken ankämpfen können.

Brink: Und die Wahlen dauern ja noch an?

Abou-Zeid: Ja, die Wahlen, die dauern noch an.

Brink: Mona Abou-Zeid, sie arbeitet für eine Entwicklungsorganisation in Kairo. Frau Abou-Zeid, herzlichen Dank für das Gespräch!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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