Islamismus in Deutschland

"Keine Gefährdung der Gesellschaft"

07:36 Minuten
Rückenansicht eines Mannes mit Gebetsmütze, der in Richtung zweier uniformierter Polizisten blickt.
Das Thema Islamismus werde in Deutschland sehr ernst genommen, und es gebe große Präventionsprogramme, meint Michael Kiefer. © picture alliance / imageBROKER / Siegfried Grassegger
Michael Kiefer im Gespräch mit Dieter Kassel · 23.10.2020
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Die Messerattacke in Dresden hatte einen islamistischen Hintergrund, doch die Empörung über den Angriff ist hierzulande verhalten. Tun wir zu wenig gegen den Islamismus, sind wir zu umsichtig? Der Islamwissenschaftler Michael Kiefer sagt klar nein.
Das Attentat auf den Lehrer Samuel Paty hat Frankreich erschüttert, und auch der Messerangriff in Dresden auf zwei Männer wurde mutmaßlich von einem Islamisten verübt, eines der Opfer starb dabei später im Krankenhaus. Die religiös motivierte Gewalt - besonders, wenn sie so brutal daherkommt wie bei dem Mord an dem französischen Lehrer - macht Angst. Doch während in Frankreich große Demonstrationen stattfinden und Samuel Paty in einer Gedenkzeremonie von Präsident Macron geehrt wurde, ist die öffentliche Empörung in Deutschland über den Angriff in Dresden eher verhalten.
Der Islamwissenschaftler Michael Kiefer von der Universität Osnabrück erkennt in diesen weniger lauten Reaktionen kein Defizit. Wie alle anderen westeuropäischen Staaten habe zwar auch Deutschland ein Problem mit dem radikalen Islam. Das sei aber schon seit vielen Jahren erkannt, und Bund und Länder hätten sehr viel Geld ausgegeben, um das Phänomen zu erforschen, betont er. Das Thema werde sehr ernst genommen, und es gebe große Präventionsprogramme, zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen.
Der Islamismus ist Kiefer zufolge in Deutschland "in der Mitte der Muslime angekommen". Davon gehe aber derzeit keine Gefährdung der Gesellschaft aus, meint der Islamwissenschaftler: "Die Phänomene, die hier kritisch zu sehen sind, haben wir im Griff." Und er glaube auch nicht, dass es in den nächsten Jahren Schwierigkeiten geben werde, die nicht beherrschbar seien, sagt Kiefer.

"Niemand hat das Recht, die Meinungsfreiheit einzuengen"

Die Direktorin des Forschungszentrums Globaler Islam an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Susanne Schröter, vertritt in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" die These, dass Kritiker von Gewalt und Repression durch radikale Muslime zum Schweigen gebracht werden, indem man ihnen Islamophobie unterstellt. Zumindest für Deutschland kann Kiefer mit dieser Ansicht wenig anfangen: Religiös motivierte Gewalt werde hierzulande nicht tabuisiert, betont er. Es gebe eine umfangreiche Berichterstattung in den Medien darüber, und Politiker und Wissenschaftler äußerten sich umfassend.
Zwar gebe es in Deutschland einen "Diskurs zum antimuslimischen Rassismus, und dieser wird mitunter auch schon mal instrumentalisiert, das will ich gar nicht in Abrede stellen", sagt Kiefer. Bei einem Blick auf die Gesamtlage müsse man aber konstatieren, dass es kein Problem sei, über den Islamismus zu sprechen. "Niemand hat das Recht, die Meinungsfreiheit einzuengen", betont Kiefer: "Natürlich kann man Religion kritisieren." Sicher gebe es bei den "einen oder anderen Leuten Empfindlichkeiten" religiöser Art. Dramatisieren sollte man das aber nicht.
(ahe)
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