Islamismus-Expertin Dantschke

Weshalb der IS Mädchen rekrutiert

Mutmaßliche Kämpfer des Islamischen Staates hissen die Flagge der Miliz auf einem Hügel bei Kobane in Syrien.
In Syrien, wie hier auf einem Hügel bei Kobane, und in anderen Ländern des Mittleren Ostens versuchen Kämpfer der Terrormiliz IS die Macht zu erlangen - auch Frauen sind beteiligt. © AFP / Aris Messinis
Claudia Dantschke im Gespräch mit Martin Steinhage · 13.06.2015
Zurzeit rekrutieren die Islamisten in Deutschland vor allem junge Frauen - die andere Motive haben, sich dem IS anzuschließen, als die Männer. Das Gemeinschaftsgefühl spiele dabei eine wichtige Rolle, sagt die Islamismus-Expertin Claudia Dantschke.
Seit einigen Jahren kümmert sich die Beratungsstelle Hayat um Menschen, die sich dem Islamismus verschrieben haben, oder im Begriff sind dies zu tun. Das Berliner Büro von Hayat wird geleitet von Claudia Dantschke. Zurzeit berät sie über 160 Familien, bei denen sich ein Mitglied radikalisiert hat.
Deutschlandradio Kultur: Mein Gast in dieser Ausgabe von Tacheles heißt Claudia Dantschke. Sie ist Islamismus-Expertin und leitet in Berlin die Beratungsstelle Hayat beim Zentrum für demokratische Kultur. Dort kümmert man sich um Menschen, die sich dem radikalen Islamismus zugewandt haben bzw. im Begriff sind, dies zu tun. Und genau darüber wollen wir in den kommenden knapp 30 Minuten sprechen. – Hallo, Frau Dantschke, schön, dass Sie da sind.
Claudia Dantschke: Hallo.
Deutschlandradio Kultur: Frau Dantschke, was zeigen Ihre Erfahrungen bei der Beratungsstelle Hayat? Wer ist anfällig für islamistisches Gedankengut, für diese Form der Radikalisierung? Lässt sich da ein Muster beschreiben?
Claudia Dantschke: Das Interessante ist, dass es eigentlich – sage ich jetzt inzwischen immer – faktisch jede Familie treffen könnte. Es gibt keine Art von Herkunft, sozialer, religiöser oder ethnischer, die besonders quasi anfällig ist, sondern es sind eher Arten von Familienstrukturen, die anfällig sind.
Also, kaputte Familien, fehlende Vaterfigur, Familien, wo es kriselt, wo Jugendliche das Gefühl haben, nicht verstanden zu werden, wo autoritäre Erziehungsstile sehr stark sind - das sind so bestimmte Muster, die immer wiederkehren. Religiöse Familien nicht, das Thema Religion spielt keine Rolle. Es sind sehr, sehr oft eher weltliche Familien. Das heißt, sie sind vielleicht christlich geprägt oder muslimisch geprägt, aber sie sind jetzt nicht vertieft religiös. Da muss man aber auch dazu sagen, dass ein ganz bestimmtes Teilsegment der betroffenen Familien sich nicht an Außenstehende wendet mit dieser Frage. Das sind eben sehr, sehr traditionelle, konservative muslimische Familien. Die gehen dann lieber sozusagen innerhalb der Community auf Suche nach Partnern, die ihnen helfen können, oder vielleicht zur Moscheegemeinde, wo sie angebunden sind. Das heißt, aus diesem Segment haben wir sehr wenig Anrufe, nur vereinzelte, aber ansonsten ist wirklich alles vertreten.

Claudia Dantschke in der Sendung "Tacheles" im Deutschlandradio Kultur
Claudia Dantschke in der Sendung "Tacheles" im Deutschlandradio Kultur© Deutschlandradio - Matthias Dreier
Deutschlandradio Kultur: Also, das Klischee "jung, männlich, Moslem mit Migrationshintergrund, schlecht integriert, geringe Bildung“ das greift definitiv zu kurz. Sind denn die meisten, wenn man das etwas eingrenzen kann, doch eher jüngere Leute und der Männeranteil, unterstelle ich mal, überwiegt?
Claudia Dantschke: Bei den Fällen, die sich bei uns melden - wir haben insgesamt derzeit 156 Familien bundesweit, die wir betreuen, davon ungefähr 67 aus Berlin -, ist der Anteil der Frauen und Mädchen ungefähr 30 Prozent. Das steigt im Moment, weil es im Moment eine sehr starke Rekrutierung von jungen Mädchen gibt. Die Altersspanne war immer 16, 17, 18 so bis 27. Auch da erleben wir inzwischen Veränderungen. Es rutscht runter auf 15, 14, teilweise sogar in Ausnahmefällen auf zwölf.
Deutschlandradio Kultur: Warum jetzt mehr Frauen?
Claudia Dantschke: Es gibt vor allem im dschihadistischen Bereich im Moment eine massive Rekrutierung von minderjährigen Mädchen vor allem, aber auch jungen Frauen so bis Anfang 20 als sogenannte Bräute, potenzielle Ehefrauen für die Kämpfer des sogenannten Islamischen Staates.
Deutschlandradio Kultur: Können Sie erklären - mir ist das völlig unerklärlich, auch nach der Vorbereitung -, was geht in den Köpfen dieser ja meist doch jungen Leute vor, dass die sich für die Mörderbanden des sogenannten Islamischen Staats begeistern? Dazu kommt ja noch, dass man sich selber auch möglicherweise in Lebensgefahr begibt.
Claudia Dantschke: Bei diesen Jugendlichen muss man auch unterscheiden zwischen den Mädchen und den Jungs. Ich fange mal bei den Jungs an. Sie sind einfach nur ansprechbar dafür, wenn sie selbst erstmal in einer Lebenskrise sind oder zumindest in einer sogenannten Sinnsuchphase oder Frustphase. Das heißt, stabile Jugendliche, die mit ihrem Leben relativ gut zurecht kommen, selbst wenn sie politisch sehr aktiv und vielleicht auch sehr distanziert zu dieser Gesellschaft sind, sind da nicht ansprechbar.
"Ich bemerke bei den Jugendliche eine völlig selektive Wahrnehmung"
Aber Jugendliche, die so in einem Bruch sind, wo sie nicht so richtig wissen, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen, wo sie hingehören, sich unverstanden fühlen usw., da kommt es dann drauf an, ob sie quasi über Gleichaltrige oder über soziales Umfeld vielleicht in diese Richtung gezogen werden, damit in Kontakt kommen. Und wenn sie dann das Gefühl haben, da ist etwas, wo ich mich selbst verwirklichen kann, ich kann plötzlich jemand sein, ich gehöre zu einer Elite, ich kann vielleicht da im Grunde genommen ein Leben führen, was ich hier nie schaffen würde – mit Anerkennung, mit bestimmtem Status –, dann kann das durchaus für den einen oder anderen attraktiv sein.
Es gibt aber auch Jugendliche, die sehr auf Gerechtigkeit aus sind, wo dieses Narrativ sehr stark greift: "Überall in der Welt werden der Islam und die Muslime unterdrückt, angegriffen und wir brauchen jetzt Muslime, die dagegen kämpfen, die dagegen aufstehen“ usw.
Und bei den Jugendlichen bemerke ich eine völlig selektive Wahrnehmung. Das heißt, sie nehmen dieses ganze Thema nie komplex war. Sie ziehen sich einfach das raus, was ihnen gefällt. Und manche fahren eben auf diese Gewalt ab, andere überhaupt nicht, sondern auf dieses verheißende islamische Kalifat, wo man also die Zukunft aufbaut, die bessere Weltalternative und, wenn man perfekt lebt, dann auch eine Perspektive im Paradies kriegt.
Deutschlandradio Kultur: Das, was Sie jetzt beschrieben haben, Frau Dantschke, ist das in etwa auch das, was Sie mit Pop-Dschihadismus umschrieben haben?
Claudia Dantschke: Ja. Pop-Dschihadismus, da meine ich jetzt nicht was Verharmlosendes, sondern es geht da drum, dass das eine radikale Jugendsubkultur ist. Das heißt, mittels Elementen westlicher Popkultur wird eine radikal dschihadistisch-menschenfeindliche Ideologie verbreitet. Aber sie hat eben auch ihre Slogans, ihre Logos, ihr Outfit, das, was zu einer Jugendkultur dazugehört, ihr Musikstil, also dieser Sprechgesang, der aber eher dem westlichen Pop ähnelt, als dass er dem arabischen klassischen islamischen Sprechgesang ähnelt, mit ganz auf die elementarste Ebene runtergedrückten Botschaften, ganz schwarzweiße Primitivstbotschaften, Gut und Böse. Und das wird auf eine hippe MTV-mäßige Art und Weise an Jugendliche vermittelt und das schweißt dann Jugendliche auch zu so einer Gemeinschaft zusammen, wo sie sagen können: "Wir gehören sozusagen zu denen, die hier gegen diesen Staat, gegen die Ungläubigen, gegen die Feinde des Islam zusammenhalten“, eine Art von Brüderlichkeit, Männlichkeitsbilder sind damit verbunden. Brüderlichkeit oder auch bei den Mädchen so eine Art Gemeinschaft, "wir stehen zusammen, wir sind alle auf der gleichen Seite und wir kümmern uns umeinander“, das spielt da alles mit rein.
Deutschlandradio Kultur: Und radikale Islamisten, um es mal global zu sagen, bemühen sich gerade hier auch in Deutschland sehr aktiv um Nachwuchs?
Claudia Dantschke: Also, ein Kollege von mir sagt das immer sehr schön und plakativ: Die radikalen Salafisten sind die besseren Sozialarbeiter. Und das ist einfach im Moment auch so.
Sie wissen genau, was die Jugendlichen umtreibt. Sie sprechen die Jugendlichen mit ihren Themen an. Sie gehen auf Jugendliche zu, so wie es eigentlich eine Sozialarbeit, eine Streetworkarbeit auch macht. Und sie holen sie eigentlich dort ab, wo diese Jugendlichen sind. Und sie haben Akteure, die diese Ansprache machen, die selbst eine Sozialisation haben wie diese Jugendlichen, aber schon einen Schritt weiter sind. Sie haben quasi ihre Erlösung, ihren sogenannten Sinn im Leben schon gefunden und fühlen sich jetzt aufgewertet, stark, strahlen etwas von Überzeugung aus und wissen ganz genau, was diesen anderen Jugendlichen umtreibt, weil sie selbst in dieser gleichen Sozialisation mal waren. Das ist wie große Brüder. Und sie sprechen diese Jugendlichen an und haben damit natürlich sehr großen Erfolg.
Martin Steinhage und Claudia Dantschke in der Sendung "Tacheles" im Deutschlandradio Kultur
Martin Steinhage und Claudia Dantschke bei der Aufzeichung der Sendung "Tacheles" im Deutschlandradio Kultur© Deutschlandradio - Matthias Dreier
Deutschlandradio Kultur: Kann man eigentlich verkürzt sagen, die Linie geht: heute Salafist, morgen Dschihadist und übermorgen in Syrien, Irak beim IS?
Claudia Dantschke: Nein, das gar nicht, sondern in der Vergangenheit war es so, dass es diese Etappenentwicklung gab. Es gab zunächst eine Hinwendung zum nicht gewaltbereiten, nicht dschihadistischen politischen Salafismus. Da ist auch eine ganze Menge von Jugendlichen stehengeblieben, hat sich nicht weiter radikalisiert. Einem Teil von den Jugendlichen war das dann aber zu wenig. Die wollten aktiv werden und haben sich weiter radikalisiert.
Was wir heute erleben, ist, dass wir nach wie vor Jugendliche haben, denen es doch um mehr Tiefe geht, die schon politisiert, extrem politisiert und antidemokratisch eingestellt sind. Aber die sich doch dann mit dieser salafistischen Theologie auseinandersetzen und die dann im politischen, sogenannten missionarischen Salafismus steckenbleiben. Und für die dann der Islamische Staat und das, was dort passiert ist, quasi etwas ist, was ihnen richtig weh tut, weil das eine Konterkarierung dessen ist, was sie als großes perfektes alternatives Projekt sehen.
Und dann haben wir Jugendliche, die von Null in den Dschihadismus gehen, die also überhaupt nichts mehr von dieser ganzen salafistisch-politisch-ideologischen Basis kennen. Die haben nur noch Versatzstücke. Die werden wirklich angezogen durch den sogenannten Islamischen Staat, durch ganz plakative Botschaften und vielleicht auch diesen Eventcharakter.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben eingangs beschrieben, dass es oft junge Leute sind, die in so einer Entwicklungs-, Umbruchsphase sind - sagen wir mal, von der Pubertät zur Adoleszenz. Wenn Dinge wie Rebellion, Selbstfindung und Orientierungslosigkeit, vielleicht auch Bindungslosigkeit eine wichtige Rolle spielen, so wie Sie es beschrieben haben, hätten die auch ganz woanders landen können als bei den Islamisten?
Claudia Dantschke: Ja. Und das ist das Interessante. Der Zufall spielt eine Rolle. Sie könnten eigentlich in alternativen Szenen ebenso landen. Nun ist aber das Problem: Nehmen wir mal zum Beispiel den deutschen Rechtsextremismus. Der ist natürlich ein Angebot nur für einen Teil dieser Jugendlichen, nämlich für die, die quasi deutscher Herkunft sind, also Herkunftsdeutsche.
"Diese Männerbünde haben etwas hoch Sexualisiertes"
Der Unterschied ist einfach nur, dass dieses salafistische Angebot – ob jetzt politisch oder auch dann die dschihadistische Variante, die militante – ein globales Angebot ist, ein Angebot wirklich für jeden, egal welcher Herkunft er ist. Und es ist im Moment auch die radikalste Herausforderung der Lebensentwürfe der Familien und auch der Gesellschaft. Das heißt, wenn ich quasi opponieren will, protestieren will und mich abgrenzen will von dieser Gesellschaft, habe ich also mit dem Salafismus oder auch mit dem Dschihadismus die maximale Möglichkeit.
Deutschlandradio Kultur: Wer sich dem Islamismus verschreibt, der muss Verzicht leisten, auch in Bereichen, die gerade für Menschen – sagen wir mal – unter 25 quasi unverzichtbar sind: Keine Musik, kein direkter Kontakt mit dem anderen Geschlecht, kein Partymachen usw. usf. – Mal ganz naiv gefragt, Frau Dantschke, das muss den jungen Leuten doch irre schwer fallen. Oder sind die schon so manipuliert, dass die das akzeptieren, problemlos?
Claudia Dantschke: Nein, es fällt ihnen schwer. Es ist ein ständiger Kampf, den sie führen. Am Anfang geht es noch ganz einfach, weil, das sind neue Erlebnisse, neues Umfeld, was das sozusagen überdeckt, also diese Männerbünde, die auch etwas Sexualisiertes haben. Ohne jetzt von Homosexualität zu reden, aber es hat schon etwas hoch Sexualisiertes. Interessant ist aber, wie sie sich das alle versagen.
Wir hatten zum Beispiel einen jungen Mann, wo wir es geschafft haben gemeinsam, dass er von seinem Wunsch, nach Syrien zu gehen, wieder abgekommen ist. Er lernt jetzt an der Schule, macht eine Ausbildung. Er war also zusammen mit einem progressiven Imam. Und mit diesem Imam ist er dann zu McDonalds gegangen. Der Imam hat gesagt, "habt ihr Hunger“ – "ja, wir haben Hunger“, sie sind zu McDonalds gegangen. Und für diesen jungen Mann war das also ein Schlüsselerlebnis, dass dieser Imam - wo er jetzt die Zuneigung gefunden hatte, der sehr konservativ ist -, dass der ihm erlaubt hat, bei McDonalds einen Hamburger zu essen. Und er beißt, er hat sich auch fotografieren lassen und beißt wirklich mit einer Seligkeit in diesen Hamburger rein, wo man sieht, wie er sich das also versagt hat.
Und interessant ist, wenn man manchmal mit einigen Jugendlichen spricht, wie sie sich das Paradies vorstellen, dann stellen sie es sich teilweise ganz plakativ so vor, wie sie eigentlich jetzt leben könnten als Jugendliche – mit Partymachen, mit vielen Frauen usw., Musik und andere Highlights usw. Also, es werden Wünsche, Sehnsüchte, die eigentlich jetzt ausgelebt werden könnten, verlagert auf das Leben nach dem Tod.
Deutschlandradio Kultur: Dieses Verzichtleisten hat ja noch eine andere Dimension, nämlich aus der Sicht der Eltern. Denn die oftmals muslimischen Eltern sind ja zunächst, las ich, oft angetan von der vermeintlichen oder tatsächlichen Verwandlung des eigenen Kindes und missdeuten dies als Reifungsprozess. Auf einmal hat er oder sie dann einen geregelten Alltag, viel Gebete, kein Alkohol, kein Rumhängen und um die Häuser ziehen. Und dann begreifen die Eltern irgendwann, ups, es ist die Zuwendung zum Islamismus, die mein Kind so hat werden lassen. – Passiert das öfter?
Claudia Dantschke: Das passiert durchaus in bestimmten Milieus schon, weil natürlich, ich sagte es ja, diese Streetworkarbeit, diese Sozialarbeit, die geht ja direkt auch an diese Jugendlichen ran, an Jugendliche, die vermeintlich muslimischen Familienbackground haben, aber vielleicht auf der Straße rumlungern oder in Diskos sind usw. Die werden ja auch dann speziell angesprochen.
Und natürlich ist es für so eine konservative Familie erstmal viel besser, wenn das Kind eben nicht mehr vielleicht kifft oder kleinkriminell ist, sondern in die Moschee geht und betet. Dass diese Eltern erstmal erleichtert sind, ist völlig nachzuvollziehen. Und sie merken es aber immer dann, wenn ihre eigene Religiosität infrage gestellt wird. Irgendwann gibt’s dann die innerfamiliären Auseinandersetzungen, weil die Mutter eben vielleicht Kopftuch trägt, aber ansonsten nicht den Hidschab, den weiten Umhang. Dann wird sie in ihrer Religiosität infrage gestellt. Dann gibt’s innerfamiliäre Diskussionen. Oder der Vater handelt in irgendeiner Form falsch.
Vorwiegend die Mütter kommen zur Beratungsstelle
Durch diese innerfamiliären Diskurse wachen die Eltern dann auf. Dann sehen sie plötzlich, wohin das führt. Und dann sind sie oft hilflos, überfordert und wissen überhaupt nicht damit umzugehen, weil sie eben natürlich Religiosität sehr schätzen und dann auch nicht so richtig wissen, was ist jetzt okay und was ist nicht mehr okay. Weil, teilweise haben sie ein traditionelles Islamverständnis, wo sie ihr Kind vielleicht auch schon mit der Angst vor der Hölle immer erzogen haben, ohne sich dabei was zu denken, was das für Auswirkungen hat – also, immer diese strafende Gottesfigur, das, was wir auch in katholischen Familien kennen.
So sind die Eltern dann hilflos und müssen erkennen, wie diese Mechanismen gerade von den radikalen Salafisten zur Disziplinierung massiv eingesetzt werden. Und sie brauchen also dringend da auch Hilfe.
Deutschlandradio Kultur: Dann kommen Sie ins Spiel, wenn die Eltern überfordert sind und nicht mehr weiterwissen. – Wie läuft denn so eine Erstberatung üblicherweise bei Ihnen ab? Ich fantasiere jetzt mal: Da meldet sich der Vater oder die Mutter. Wer meldet sich eigentlich öfter, der Vater oder die Mutter oder beide?
Claudia Dantschke: 70 Prozent Mütter.
Deutschlandradio Kultur: Und die Männer haben dann da doch eine größere Sperre. Also, vielleicht können Sie mal beispielhaft sagen, wie läuft so eine Erstberatung ab. Da kommt jetzt ein Ehepaar, oder meinethalben auch nur der Vater zu Ihnen, und sagt, "da ist was mit meinem Sohn“, so in der Weise, wie wir es eben schon beschrieben haben. – Was können Sie dann tun, was machen Sie?
Claudia Dantschke: Wir führen erstmal lange Gespräche. Wir lassen uns erstmal die Situation schildern, erstmal die Sichtweise der Eltern, weil, sie haben natürlich ein Wahnsinnsredebedürfnis. Da muss erstmal alles raus. Auch was sie empfinden, das können sie also ungeschützt uns so erzählen. Und dann stellen wir gezielte Nachfragen. Wir haben ja nicht den Kontakt zu dem Jugendlichen direkt, sondern nur die Sichtweise der Eltern. Und wir versuchen dann diesen Jugendlichen erstmal kennenzulernen, und zwar nicht von heute ab, wo dieser Vater anruft, sondern von der ganzen Vergangenheit her.
Das heißt: Was ist das für ein Jugendlicher, die Persönlichkeitsprägung? Was für Erlebnisse gab es? Wie ist die innerfamiliäre Konstellation? Wie sind die Beziehungsebenen? – So dass wir eigentlich nach zwei, drei Stunden schon, wenn eine Radikalisierung vorliegt, sagen können, was eventuell bei diesem Jugendlichen das Bedürfnis ist, warum er überhaupt sich dieser Szene zuwendet.
Das Zweite, was wir in diesem Gespräch mit klären müssen, ist, ob überhaupt eine Radikalisierung vorliegt. Das heißt, wir fragen natürlich nach Argumentationen. Wie hat er sich verändert? Wie hat sich quasi seit dem Zeitpunkt, wo die Eltern bemerkt haben, da ist etwas im Gange, wie hat sich das alles gestaltet? Gibt’s bestimmte Prediger, die er ganz wichtig findet? Gibt’s vielleicht auch bestimmte Zugänge zu Gruppen? Wer sind die neuen Freunde? In welche Gemeinde gehen sie?
Es gibt teilweise durchaus Moscheen, die hoch problematisch sind. Das sind einzelne Moscheen, aber wir kennen die. Gibt’s da also eine Anbindung vielleicht an eine bestimmte Szene? Manchmal gibt auch das Facebookprofil einen Hinweis. Also, wenn ein Jugendlicher ein Facebookprofil hat, wo er quasi das ganze Setting dieser salafistischen Prediger mit "gefällt mir“ geliked hat und in der Freundesliste so ein ziemliches Durcheinander hat, dann kann man sagen, ja, der ist noch auf der Suche. Das ist noch ziemlich am Anfang. Da ist das Facebookprofil ziemlich eindeutig.
Das sind alles Hinweise, wo wir sagen können, liegt überhaupt eine Gefahr vor. Was ist die Ursache? Warum ist ihr Kind überhaupt da anfällig? Was sucht es da? Und wie sind sie als Eltern eingestellt, was haben sie bisher gemacht? Was war vielleicht auch kontraproduktiv? – Und dann fangen wir erstmal bei den Eltern an.
Wir rationalisieren also die Situation. Wir sagen, wo die Gefahr liegt oder auch nicht. Und dann versuchen wir mit den Eltern erstmal zu arbeiten: Was können sie jetzt tun?
Deutschlandradio Kultur: Aber das Problemkind ist gar nicht dabei?
Claudia Dantschke: Nein.
Deutschlandradio Kultur: Oder kommt das in irgendeiner Phase dazu, wenn es nicht schon beim IS ist?
Claudia Dantschke: Nein. Der Punkt ist, dass wir über die Eltern arbeiten. Das heißt, wir versuchen die Eltern so weit zu stärken, dass sie wieder eine Beziehungsebene zu ihrem Kind aufbauen können, was nicht konfliktbeladen ist. Weil, wenn sie sich melden, ist diese Beziehungsebene hochgradig gestört, hochgradig konfliktbeladen. Und erst, wenn diese Beziehungsebene wieder sozusagen stabil ist, dann versuchen wir, dass die Eltern sozusagen alternativ zu dieser radikalen Szene auf ihren Sohn oder ihre Tochter einwirken können.
Deradikalisierung ist Beziehungsarbeit
Es geht darum: Deradikalisierung ist immer erstmal Beziehungsarbeit. Ich kann auf jemanden nur einwirken, wenn ich eine Beziehung zu jemandem aufbaue. Und die Eltern haben diese Beziehung. Die sind nah dran. Und die Erfahrungen zeigen auch: Selbst wenn die Jugendlichen in einem Riesenstreit mit den Eltern oder in einem Riesenkonflikt die Eltern verlassen, um nach Syrien zu gehen, nach kurz oder lang melden sie sich aus Syrien wieder, vielleicht selbst um nur den Eltern deutlich zu machen, es war alles richtig, was ich gemacht habe. Und ich bin auch nicht Schuld, wenn ihr jetzt leidet. Ihr leidet umsonst, mir geht’s gut. – Selbst sowas, aber es gibt eine Beziehung.
Diese Kommunikationsbrücke ist oft das Einzige, was es noch gibt, wenn jemand in so eine radikale Szene quasi eintaucht. Ich beschreibe das immer mit so einem Rundbau, wo quasi noch ein Fenster auf ist und ansonsten gibt’s nur noch die Szene und die permanente Bestätigung der eigenen Sichtweise.
Deutschlandradio Kultur: Frau Dantschke, kommt es eigentlich schon mal vor oder ist es vorgekommen, dass sich ein Radikalisierter, der aussteigen will, bei Ihnen gemeldet hat und seinerseits um Hilfe nachsucht? Oder sind es immer die Eltern?
Claudia Dantschke: Nein. Es gibt auch diese Selbstmeldungen, ganz wenige. Wir haben auch in einzelnen Fällen, wo wir also die Eltern ziemlich gut beraten haben, wo wir auch geholfen haben, durchaus dann die Situation, dass die Eltern ihrem Sohn das erzählt haben, dass sie Hilfe geholt haben, und dass der Sohn oder die Tochter dann den Kontakt zu uns direkt wollten. Also, in einzelnen Fällen haben wir auch den Kontakt dann direkt zum Jugendlichen. Aber es gibt auch vereinzelt eigene Meldungen.
Deutschlandradio Kultur: Wie groß ist nach Ihrer Erfahrung die Chance, einen jungen Menschen von seinem Irrweg abzubringen?
Claudia Dantschke: Das ist sehr, sehr schwierig. Ich sage mal so: Je zeitiger, desto besser. Aber wir haben selbst positive Erfahrungen von Jugendlichen, die in Syrien sind. Selbst da ist die Hoffnung noch nicht vergebens. Das Problem ist natürlich, die Rückkehr ist nicht so einfach. Man kann nicht einfach sagen, "ich habe mich geirrt, ich geh nach Hause“. Das ist das Schwierige. Aber den Wunsch oder die Einsicht, "ich bin hier doch falsch und ich möchte nach Hause“, das zu entwickeln über so eine Kommunikation, das ist möglich. Es ist vielleicht nicht die Mehrheit der Fälle, aber es ist möglich.
Deutschlandradio Kultur: Ist es eigentlich logistisch ein Problem für die jungen Leute, dort hinzukommen? Und zweite Frage: Wahrscheinlich ist es ein großes Problem, wieder zurückzukommen.
Claudia Dantschke: Hinzukommen ist leider wesentlich einfacher als zurück. Es gibt hier Schleuser und Netzwerke. Wie gesagt, es gehen 15-, 16-jährige Jugendliche, auch weibliche weg.
Deutschlandradio Kultur: So eine Art IS-Reisebüro….
Claudia Dantschke: Ja. Da gibt’s Schleusergruppen. Das wird also organisiert. Die werden da schon hingeführt. Man merkt es: Wer alleine weggeht, die Chance, die noch abzugreifen in der Türkei oder vor der türkisch-syrischenGrenze, ist wesentlich größer, während zu zweit, zu dritt, in kleinen Gruppen über diese Schleusergruppen, da hat man fast kaum noch eine Chance. Ehe man das so richtig mitkriegt, dass sie weg sind und wo sie sind, sind sie dann schon in Syrien. Aber es gibt auch die Möglichkeit zurückzukommen, aber die wird immer schwieriger. Weil, der IS ist paranoid. Es ist ein Überwachungsstaat. Da überwacht jeder jeden. Da sind die Chancen ganz gering.
Deutschlandradio Kultur: Man liest ja gelegentlich in der Presse von jungen Menschen, meist sind es ja junge Menschen, die sich dem IS angeschlossen haben, dort drüben zu Tode gekommen sind. Wie ist denn das üblicherweise? Fangen wir mit den Jungs an. Werden das üblicherweise Kämpfer? Oder was machen die dort?
Claudia Dantschke: Das kommt auf jeden Einzelnen an. Wer dort hinkommt zum Islamischen Staat, da gibt’s wie so eine Art Auffanglager. Und da gibt’s verschiedene Möglichkeiten. Man wird auch gefragt, das haben einige Rückkehrer berichtet. "Was willst du machen? Hast du Kampferfahrung? Willst du an die Front? Willst du kämpfen?“ Andere können auch Koran studieren. Da gibt es auch Koranschulen, wo die also weiter Arabisch lernen und Islam studieren. Oder sie können im Sozialbereich tätig werden, zur Polizei gehen. Und es gibt auch sogenannte Wartelisten für Selbstmordattentäter. Das heißt, wer quasi eine Selbstmordaktion machen will, kann das also auch signalisieren, kann sich dann auf eine Liste setzen lassen. – Das ist das Hochproblematische.
"Ich will Geschichte schreiben"
Es gibt aber auch welche, die wandern einfach aus. Die machen die sogenannte Hidschra, Auswanderung, weil sie sagen, "ich will dort perfekt islamisch leben, so wie ich mir das eben vorstelle, was islamisch ist, will dort am Aufbau des Kalifats mit beitragen und damit Geschichte schreiben, will eine Frau, will Kinder, Wohnung und mich eben aktiv beteiligen, entweder über Propagandaarbeit oder im Sozialbereich oder als Polizist, damit das Kalifat groß und stark wird und irgendwann die Welt quasi beherrschen wird“.
Deutschlandradio Kultur: Und die Mädels, das ist dann eher so, wie Sie es eingangs beschrieben haben, die sind dann quasi die "Bräute“.
Claudia Dantschke: Zum großen Teil sind es die Bräute. Da spielen also auch verklärte Sichtweisen auf Männer eine Rolle, das sind noch die wahren Männer, auch der Wunsch für manche von denen nach heiler Familie, heiler Welt, klare Aufgabenteilung, Hausfrau, Mutter. Wenn sie dann dort sind, merken sie, wie langweilig das ist.
Es gibt aber auch durchaus ideologisierte Frauen, junge Mädchen und Frauen, die dann ganz massiv in der Propagandaarbeit tätig sind. Die sind nicht so sichtbar, aber sie sind durchaus aktiv bei der Propaganda. Sie machen Facebookseiten. Sie rekrutieren wieder andere Mädchen oder übersetzen bestimmte dschihadistische Pamphlete aus dem Englischen ins Deutsche oder aus dem Arabischen, weil die Jungs meistens bildungsmäßig nicht so gut sind wie die Frauen. Also, das heißt, auch eine Frau kann sich als Hardcore-Ideologin da verwirklichen.
Deutschlandradio Kultur: Und diejenigen, die nicht in Syrien oder im Irak dauerhaft bleiben bzw. dort ums Leben kommen, die also zurückkehren, sind die nach Ihrer Einschätzung durch die Bank hochgefährlich, also abgestumpfte manipulierte Kampfmaschinen?
Claudia Dantschke: Das ist ganz, ganz schwierig einzuschätzen, weil, den wahren Blick auf die Rückkehrer, auf den bekannten Teil der Rückkehrer haben nur die Sicherheitsbehörden. Und es gibt bisher noch keine unabhängigen Studien.
Es gibt drei Gruppen, sagt man so, von Rückkehrern. Das eine sind die Gefährder. Das heißt, das sind die, die wirklich hochgradig ideologisiert zurückkommen, vielleicht auch nur temporär – wer weiß, was sie vorhaben? Dann gibt es eben einen großen Teil, wahrscheinlich ist das der größte Teil, die in irgendeiner Form traumatisiert zurückkommen. Das heißt, die haben dort etwas erlebt. Das ist eben doch nicht nur Computerspiel, wenn ein Mensch neben einem stirbt, das ist doch ein bisschen anders. Oder ihre Erwartungen sind nicht erfüllt. Da muss man dann schauen, wie man hier mit denen umgeht. Da brauchen wir in diesem Feld wirklich die Profession, Trauma-Psychologen usw., weil, es muss bearbeitet werden. Und der dritte Teil sind dann die Desillusionierten, die wirklich da mit hehren Zielen, Idealismus vielleicht hingegangen sind und gemerkt haben, wo sie gelandet sind, und jetzt zurückkommen. Das ist die große Chance, weil, das sind potenzielle Aussteiger.
Deutschlandradio Kultur: Frau Dantschke, Sie sind Mitbegründerin von Hayat. Hayat heißt auf Deutsch Leben. Diese Beratungsstelle gibt es seit 2011. Hayat hat Büros in Berlin und neuerdings in Bonn, ist aber deutschlandweit erreichbar. Wie viele Familien haben Sie allein in Berlin bislang beraten?
Claudia Dantschke: In Berlin sind es aktuell 67 Familien, die wir derzeit beraten. Aber ein Teil davon ist inzwischen abgeschlossen. Wir haben eine Gesamtzahl von 156. Davon sind 50 Fälle im positiven Sinne beendet. Das sind teilweise Beratungsprozesse von zwei, drei Jahren. Das heißt, 106 Fälle sind aktuell noch offen. Und davon ist ungefähr zwei Fünftel Berlin.
Deutschlandradio Kultur: Positiv beendet heißt dann auch, das mit der Radikalisierung hat sich erledigt. Der junge Mensch ist quasi wieder in die normale Spur, ins Alltagsleben zurückgekehrt?
Claudia Dantschke: Teilweise sind sie sehr, sehr religiös, aber eben religiös und nicht politisch-ideologisch. Das heißt, sie kriegen ihr Leben wieder in den Griff. Die innerfamiliären Verhältnisse haben sich stabilisiert. Manche sind dann sehr weltlich geworden wieder. Da war das eine Kurzzeitepisode. Andere praktizieren ihre Religion, aber eben als Religion, und kommen damit klar. Und auch die Familie kommt damit klar. Also, es geht. – Für uns ist was beendet, wenn dieser Mensch, um den es geht, der Jugendliche, mit seinem Leben zufrieden ist und von ihm keine Gefahr für irgendwelche anderen Personen ausgeht.
Deutschlandradio Kultur: Seit etwa zwei Jahren ist viel die Rede vom IS, dem Islamischen Staat, vormals ISIS genannt. Hat in dieser Zeit Ihre Arbeit eigentlich massiv zugenommen? Hat der IS – salopp gesagt – Konjunktur?
Claudia Dantschke: Ja, leider schon, weil, die Angst von Eltern ist natürlich wahnsinnig gewachsen, weil, sie ist ja auch durchaus realistisch. Das heißt, Eltern melden sich häufiger und auch früher, weil sie natürlich schon das Gefühl haben, hier könnte vielleicht irgendwas passieren: "Mein Kind ist weg und dann sehe ich es nie wieder und das nächste, was ich höre, ist: tot.“ - Wir haben 90 Tote mit Deutschlandbezug in Syrien und Irak. Das heißt, es ist also auch nicht irgendwo von der Hand zu weisen, diese Angst.
Die Bestialität des IS hat viele Muslime wachgerüttelt
Manche Eltern hysterisieren deswegen zu sehr. Da können wir bremsen. Aber es ist besser, sie melden sich in ihrer hysterischen Situation, als dass sie nicht Hilfe suchen. Bei anderen melden sie sich leider immer noch zu spät, aber das Meldeverhalten ist wesentlich gestiegen. Die Angst ist gestiegen.
Und was ich aber auch jetzt mal positiv finde: Diese Bestialität, diese inszenierte Bestialität vom Islamischen Staat hat innermuslimisch unheimlich viele wach gerüttelt. Das heißt, ich habe inzwischen viel mehr innermuslimische Partner, weil, ich kann ja nicht alles alleine machen. Ich brauche ja, um so einer Familie helfen zu können, die Fachleute von verschiedenen Professionen. Ich brauche auch Partner, auch in den muslimischen Gemeinden. Da hat sich also viel bewegt, weil viele sich inzwischen intensivst innerislamisch mit diesem Thema auseinandersetzen, das kritisch hinterfragen und versuchen sich da auch zu engagieren.
Deutschlandradio Kultur: Wir haben viel geredet über Deradikalisierung, wenn das Kind sozusagen in den Brunnen gefallen ist, wenn ich das mal so ausdrücken darf. Ganz wichtig ist ja auch der Aspekt Prävention. Haben die politisch Verantwortlichen, die ja auch das Geld geben für Organisationen wie zum Beispiel Hayat, haben die politisch Verantwortlichen inzwischen nach Ihrem Eindruck begriffen, dass da mehr getan werden muss?
Claudia Dantschke: Endlich, sag ich mal so, eigentlich aus meiner Sicht mindestens zehn Jahre zu spät. Aber interessanterweise, und das finde ich ganz wichtig, die Sicherheitsbehörden sind - weil sie zuständig sind für diese Gefährder, für die Rückkehrer - personell so überfordert, dass im Moment eigentlich aus den Sicherheitsbehörden der Ruf an die Politik kommt, immer stärker die letzten Jahre, hier die Zivilgesellschaft mit einzubeziehen, was ja früher eigentlich nicht so das Typische war. Da war man der Zivilgesellschaft gegenüber ein bisschen kritisch. Da gibt’s einen Wandel, weil sie es einfach alleine auch nicht schaffen.
Es gibt gute Präventionsprojekte, die aber unterbesetzt sind
Und insofern gibt’s also länderweise verschiedene Ansätze, jetzt wirklich in die Prävention einzusteigen. Prävention ist eben nichts für die Sicherheitsbehörden, sondern eben für die Zivilgesellschaft. Es gibt gute Projekte, die aber alle unterfinanziert sind. Die sind alle personell ganz schlecht ausgestattet. Da bewegt sich jetzt ein bisschen was. Also, ich sage mal so: Es gibt ein kleines Licht am Horizont, aber wir kleckern im Moment und wir müssten klotzen.
Deutschlandradio Kultur: Jetzt sagen Sie nochmal ganz kurz, Frau Dantschke, denn das wird die Hörerinnen und Hörer auch interessieren: Wie kommt man eigentlich zu einem so ungewöhnlichen Beruf, wie Sie ihn haben? Ich sage mal nur Eckdaten: Sie sind zu DDR-Zeiten ausgebildet worden an der Uni als Arabistin, haben Arabistik studiert. Nach der Wende waren Sie Journalistin. Und wie passte das dann in Richtung HAYAT zusammen?
Claudia Dantschke: Also, ich war Journalistin und mit einem Berliner mit türkischem Hintergrund zusammen. Wir haben unseren eigenen Sender hier gehabt, deutsch-türkisch. Und ich war sozusagen Teil der türkischen Community und habe da natürlich auch bestimmte islamistische Gruppierungen, die jetzt nicht dschihadistisch sind, aber islamistisch, kennengelernt und kam über die journalistische Arbeit einfach in dieses ganze Feld hinein.
So hat man sich so eine Kompetenz erarbeitet und so kam ich zum Zentrum Demokratische Kultur. So wächst man da hinein, bis wir dann eben auch immer mehr gesehen haben, dass es notwendig ist, Familien zu helfen, dass Familien einerseits durchaus auch eine Quelle von Radikalisierung sind, ungewollt teilweise, aber auch ganz, ganz wichtige Partner, wenn es darum geht, deradikalisierend zu arbeiten. Und bei Prävention geht’s natürlich dann um Schule, um Gesellschaft und aktuelles Klima, das heißt, wie viel man hier tun könnte, um das Problem einzudämmen.
Deutschlandradio Kultur: Dann wünsche ich Ihnen viel Erfolg bei Ihrer weiteren Arbeit und bedanke mich zunächst mal heute für dieses Gespräch, Frau Dantschke.
Claudia Dantschke, geboren 1963 in Leipzig. Studium der Arabistik an der Universität Leipzig, Studienabschluss als Dolmetscherin und Übersetzerin. Von 1986 bis 1990 Fremdsprachenredakteurin in der arabischen Redaktion der DDR-Nachrichtenagentur ADN. Danach freiberufliche Journalistin bei einem in Berlin ansässigen türkischen TV-Sender und später feste Redakteurin bei einem deutsch-türkischen Wochenblatt. Seit 2002 Mitarbeiterin des Zentrums Demokratische Kultur (ZDK). Die 52jährige ist Mitbegründerin der Beratungsstelle Hayat des ZDK. - Claudia Dantschke wurde 2010 mit dem Ingeborg-Drewitz-Preis ausgezeichnet.
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