Islamischer Staat

Wasser als Waffe

Ansicht des Mossul-Staudammes am Fluss Tigris im Irak.
Der Staudamm von Mossul - eine potenzielle Massenvernichtungswaffe © AFP / SAFIN HAMED
02.03.2016
Der so genannte Islamische Staat wendet nicht nur Gewalt an, um seine Ziele zu erreichen. Die Terrormiliz benutzt immer wieder auch Wasser als Kriegsinstrument. Und das kann überaus gefährlich werden, sagt der Politikwissenschaftler Tobias von Lossow.
Panzer, Granaten, Enthauptungsvideos - der so genannte Islamische Staat kämpft mit vielen Mitteln, um seine politischen und militärischen Ziele durchzusetzen. Doch es gibt noch eine weitere Waffe, die die Terrormiliz einsetzt und die in der Region von hoher Bedeutung ist: Wasser. Der Politikwissenschafter Tobias von Lossow, Stipendiat der Stiftung Wissenschaft und Politik, hat untersucht, wie sich die Islamisten dieser Waffe bedienen und mit uns darüber gesprochen.
Wasser werde vor allem auf zweierlei Art instrumentalisiert, so von Lossow im Deutschlandradio Kultur. Einerseits habe der IS in vielen Regionen die Versorgung unterbrochen, Wasser aufgestaut oder umgeleitet und so bewirkt, dass zu wenig davon vorhanden ist. Andererseits hätten die Islamisten aber auch ganze Landstriche geflutet und überschwemmt. "In erster Linie zielen diese Maßnahmen auf die Bevölkerung ab, senden aber natürlich auch ein Signal an die politische Führung."

Der IS kappt die Versorgung - oder setzt Land unter Wasser

Beide Methoden seien gefährlich, so der Politikwissenschaftler. Das Zurückhalten von Wasser an Euphrat und Tigris etwa sei bedrohlich, weil der IS damit weite Areal am Unterlauf der beiden Flüsse trocken lege. "Hier sind vor allem Schiiten beheimatet, hier befindet sich aber auch eines der wichtigsten landwirtschaftlichen Zentren des Irak." So werde auch die Nahrungsmittelsicherheit in dem Land aufs Spiel gesetzt. Überflutungen hingegen könnten potenziell sogar als Massenvernichtungswaffe eingesetzt werden. Durch das Sprengen von Talsperren etwa würden hunderttausende Menschen den Tod finden.
Insgesamt sei dies zwar kein neues Kriegsinstrument und über die Jahrhunderte hinweg immer wieder als Waffe eingesetzt worden, so der Politikwissenschaftler. "Allerdings war es bislang so, dass Wasser als ultima ratio, als letztes Mittel in einer Schlacht, in einem Konflikt eingesetzt wurde. Was den IS hier unterscheidet, ist der regelmäßig und systematische Einsatz von Wasser als Waffe." Gegen diese Praxis hätten sich bislang einzig militärische Maßnahmen als erfolgreich erwiesen, "insbesondere die Luftschläge der Anti-IS-Koalition".

Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Dass der sogenannte Islamische Staat mit vielen Waffen kämpft, mit Panzern, Granatwerfern, mit Maschinengewehren und auch mit Enthauptungsvideos, das müssen wir uns fast täglich in den Nachrichten anschauen oder sehen es im Internet. Aber es gibt eine weitere Waffe, die gerade in der Region, in der der IS agiert, bedeutend ist: Wasser. Tobias von Lossow forscht in der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin und stellt heute bei einer Tagung des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik sein jüngst veröffentlichtes Papier darüber vor. Jetzt ist er am Telefon, schönen guten Morgen!
Tobias von Lossow: Guten Morgen!
von Billerbeck: Wir sehen die Terroristen des IS, hochgerüstet und versorgt mit Waffen aller Art. Inwieweit ist denn Wasser auch eine Waffe für den IS?
von Lossow: Der IS hat in der Vergangenheit immer wieder für seine politischen und militärischen Ziele auch Wasser als Waffe instrumentalisiert und eingesetzt. Vorwiegend auf zweierlei Art: Einerseits indem er die Versorgung unterbrochen hat, Wasser zurückgehalten hat, aufgestaut hat, umgeleitet hat und dafür gesorgt hat, dass in vielen Regionen quasi zu wenig Wasser vorhanden ist, andererseits indem er ganze Landstriche geflutet und überschwemmt hat, hier also dafür gesorgt hat, dass zu viel Wasser vorhanden ist.
In erster Linie zielen diese Maßnahmen, diese Praxis auf die Bevölkerung ab, senden aber natürlich auch ein Signal an die politische Führung. In einigen anderen Fällen hatte dieses Vorgehen aber auch schlicht militärtaktische, unmittelbare militärtaktische Beweggründe, die den IS-Truppen dann einen Vorteil auf dem Schlachtfeld sozusagen gebracht haben.

Gefahr für Nahrungsmittelsicherheit

von Billerbeck: Nun haben Sie schon erwähnt, es gab da verschiedene Methoden. Was war denn die gefährliche oder ist die gefährlichere Waffe: zu viel Wasser oder zu wenig?
von Lossow: Also, gefährlich ist grundsätzlich beides, abhängig vom jeweiligen Kontext. Das Zurückhalten von Wasser am Euphrat und Tigris beispielsweise ist vor allem über einen längeren Zeitraum und unter strategischen Gesichtspunkten bedrohlich, weil der IS damit weiter Areale am Unterlauf der beiden Flüsse aufs Trockene setzt. Hier sind vor allem Schiiten beheimatet, hier befindet sich aber auch eines der wichtigsten landwirtschaftlichen Zentren des Irak. Hier sind die großen Anbauflächen, sodass der IS damit auch die Nahrungsmittelsicherheit des Landes aufs Spiel setzen kann oder schon aufs Spiel gesetzt hat.
Das Fluten auf der anderen Seite kann potenziell sogar als Massenvernichtungswaffe eingesetzt werden. Als gängiges Beispiel wird immer wieder der Mossul-Damm angeführt, den der IS 2014 auch für einige Zeit unter seiner Kontrolle hatte. Sollte eine solche Talsperre gesprengt werden oder bersten, dann löst das eine Flutwelle aus, in der mehrere Hunderttausend Menschen den Tod finden würden.

Der IS kontrolliert weiterhin mehrere Talsperren

von Billerbeck: Auch wenn der IS – wir haben es ja in den letzten Monaten gehört – militärisch etwas unter Druck geraten ist, kontrolliert er noch die Hälfte der wichtigen Talsperren an Euphrat und Tigris in Syrien und im Nordirak. Wo droht denn derzeit das größte Unheil?
von Lossow: Das lässt sich pauschal so nicht beantworten. Im Irak ist der IS beispielsweise immer noch in Besitz oder hat immer noch den Falludscha-Damm unter seiner Kontrolle. Und im April 2014, also vor knapp zwei Jahren hat er hier schon einmal gezeigt, wozu er in der Lage ist. Er hat damals Wasser aufgestaut und später über ein Seitental abgelassen. Damals wurden über 60.000 Menschen vertrieben, Häuser und landwirtschaftliche Nutzflächen wurden in bis zu 100 Kilometer Entfernung zerstört. Und wir dürfen hier nicht vergessen, dass Falludscha ja nur 50 Kilometer westlich von Bagdad liegt, damit also auch die Hauptstadt des Irak direkt bedroht werden kann.
In Syrien kontrolliert der IS sogar noch zwei Talsperren, die unmittelbar hintereinander am Euphrat liegen. Wenn man zwei solche Talsperren koordiniert steuert, lässt sich damit der Effekt der Waffe Wasser sogar noch deutlich verstärken.
von Billerbeck: Das ist aber dann eine Vernichtungsmaßnahme. Der IS hat ja nun den Anspruch, ein Staat zu sein. Was bedeutet denn Wasser in diesem Zusammenhang?
von Lossow: Genau, der IS steht hier ganz klar vor einem Dilemma. Denn einerseits nutzt er die Wasserressourcen wie beschrieben als Kriegsinstrument, andererseits will er in der Tat sein Kalifat, also seine Art Quasi-Staat ausbauen und weiter konsolidieren. Eine Grundversorgung mit Wasser und Strom dient dabei natürlich auch dazu, die Legitimität seiner Herrschaft zu erhöhen und auch seine Popularität zu steigern. Von solchen staatlichen Dienstleistungen – Wasser und Strom – sollen dann vor allen Dingen die eigenen Kämpfer profitieren, die dort aus aller Herren Länder hinströmen, um eben dieses Kalifat auch realisiert zu sehen.
Andererseits soll auch die Zivilbevölkerung davon profitieren, die ja gerade in der Vergangenheit in den beiden Ländern häufig von der Wasserversorgung, von der Stromversorgung abgeschnitten war. Also, obendrein gibt es hier auch noch ein Rekrutierungselement, das der IS sich zunutze macht.

Luftschläge als einziges Gegenmittel

von Billerbeck: Gibt es denn irgendwelche Möglichkeiten, da effektiv gegenzuhalten, gegen diesen Kampf mittels Wasser?
von Lossow: Nicht wirklich, beziehungsweise ist das relativ schwierig. Wenn wir uns die Geschichte angucken, dann sehen wir, dass Wasser in der Tat kein neues Kriegsinstrument ist und es immer wieder über Jahrhunderte als Wasser eingesetzt wurde. Allerdings war es bisher so, dass Wasser üblicherweise als Ultima Ratio, als letztes Mittel in einer Schlacht, in einem Konflikt eingesetzt wurde. Was den IS hier unterscheidet, ist der regelmäßige und der systematische Einsatz von Wasser als Waffe.
Gegen diese Praxis, wie wir sie eben in Syrien und Irak derzeit beobachten können, haben sich bislang einzig militärische Maßnahmen als erfolgreich erwiesen, insbesondere die Luftschläge der Anti-IS-Koalition, beispielsweise bei der Rückeroberung des Mossul-Damms oder bei der Rückeroberung zuletzt im Dezember 2015 der Tischrin-Talsperre im Norden Syriens.
von Billerbeck: Tobias von Lossow war das von der Stiftung Wissenschaft und Politik über Wasser als Waffe des IS. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
von Lossow: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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