Islamische Beerdigungen

Wann fällt die Sargpflicht auf bayerischen Friedhöfen?

09:16 Minuten
Ein muslimisches Gräberfeld auf dem Münchner Waldfriedhof. Auf diesem Friedhof entstand vor 50 Jahren bayernweit das erste muslimische Grabfeld. Die Gräber unterscheiden sich kaum von christlichen Grabstätten, teils sind sie arabisch beschriftet.
Muslimisches Gräberfeld auf dem Münchner Waldfriedhof: Hier entstand vor 50 Jahren bayernweit das erste muslimische Grabfeld. © picture alliance / dpa | Peter Kneffel
Von Burkhard Schäfers · 10.03.2021
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Im Islam werden Verstorbene ohne Sarg bestattet, damit der Körper schnell zur Erde zurückkehrt. Das soll auch in Bayern möglich sein. Der Landtag hat es schon 2019 beschlossen. Doch die reformierte Bestattungsverordnung lässt auf sich warten.
So ein Leichnam ist schwer. Zu dritt fassen Güler Salih und seine Kollegen an und betten den Verstorbenen in einen schlichten Kiefernsarg. Der Tote ist zusätzlich in ein weißes Leinentuch gehüllt, so wie es die muslimische Tradition vorsieht.
"Es symbolisiert die Reinheit und natürlich auch, dass wir alle gleichgestellt sind bei Allah. Jeder, egal was für eine Stellung wir hier auf dieser Erde haben, ob wir reich oder arm sind, ob wir eine Position haben oder nicht, wir sind alle gleich. Daher auch die Farbe weiß."

Muslimische Bestattungen sind kompliziert

Güler Salih hat sein Bestattungsinstitut "Hakim-I Guraba" seit elf Jahren, gleich gegenüber des neuen Münchner Südfriedhofs. Als Spezialist für islamische Beerdigungen ist er bundesweit tätig.
Salih, blaues Hemd, weiße Kopfbedeckung, braune Hose und braune Weste, hat vor sich auf dem Schreibtisch drei Handys liegen. Einen würdigen Abschied zu organisieren, ist aufwendig und für Muslime in Deutschland mancherorts kompliziert. Denn eigentlich werden sie traditionell ohne Sarg bestattet, nur im Leichentuch.
"Ich finde, dass einfach jeder Mensch seinen Verstorbenen so beerdigen sollte, wie er es für richtig empfindet. Ob es einen weltanschaulichen Gedanken hat oder einen religiösen Gedanken hat oder auch andere Gedanken hat."
In 13 Bundesländern ist die Beisetzung ohne Sarg inzwischen erlaubt. In Bayern, Sachsen und Sachsen-Anhalt aber nicht, da gilt die Sargpflicht. Bestattungsgesetze sind Ländersache, und das macht es für islamische Bestatter wie Güler Salih schwierig:
"Wir haben die Problematik, dass wir in Erklärungsnot kommen, warum es in Deutschland in dieser Stadt möglich ist und wieso hier in München zum Beispiel nicht. Und dann können wir nicht mal mit der Demokratie antworten, dass ja jeder hier gleichgestellt ist. Dann sehen wir, dass hier die Gleichstellung nicht ganz so besteht."

Leichnam soll schnell zur Erde zurückkehren

Der 42-Jährige muss also viel erklären. Einerseits den Angehörigen die deutsche Gesetzeslage, andererseits der Gesellschaft die religiösen Normen:
"Wir kommen aus der Erde und kehren zur Erde zurück. Und werden aus der Erde wiederauferstehen. Der Leichnam sollte so schnell wie möglich zur Erde zurückkehren. Der Sarg verhindert das oder verzögert es. Und daher ist eine sarglose Bestattung im Islam eigentlich sehr, sehr wichtig."

Das sagt auch Arif Tasdelen, SPD-Abgeordneter im bayerischen Landtag und in seiner Fraktion Sprecher für Integrationspolitik. Seit mehr als zehn Jahren hat er sich im Parlament dafür eingesetzt, dass die bayerische Bestattungsverordnung geändert wird. Und ist immer wieder an der regierenden CSU gescheitert:
"Das waren dicke Sargbretter, die ich bohren musste. Eine plausible Erklärung, warum es so lange gedauert hat? Keine Ahnung. Das eine war der Grund, dass die CSU-Fraktion im bayerischen Landtag an einer Bestattungskultur, wie sie in Bayern gewachsen ist, festhalten wollte. Ich kann mich an Parlamentsdebatten erinnern, wo Kolleginnen und Kollegen daran erinnert haben, dass auch Jesus nicht in einem Sarg bestattet wurde."
Bestatter sagen, die Sargpflicht habe auch hygienische Gründe. Etwa um andere vor Infektionen zu schützen, wichtig gerade in Corona-Zeiten. Zudem sei der geschlossene Luftraum hilfreich für die Verwesung. Indes: Unbedingt notwendig seien Särge meistens nicht.

Das Gesetz ist da, die Verordnung nicht

2019 kommt in Bayern tatsächlich Bewegung in die Sache. Der Landtag beschließt, dass künftig die "Bestattung in einem Leichentuch ohne Sarg aus religiösen und weltanschaulichen Gründen zulässig" sein soll. Dann allerdings verzögert sich die Verordnung im bayerischen Gesundheitsministerium.
Der Abgeordnete Arif Tasdelen wird vertröstet, mehr als ein Jahr lang. Im Januar 2021 schreibt er dem neuen bayerischen Gesundheitsminister Klaus Holetschek, der Landtagsbeschluss müsse endlich umgesetzt werden.
"Daraufhin habe ich im Februar eine Antwort bekommen, dass der Herr Minister fest davon ausgeht, dass die geänderte Bestattungsverordnung zum 1. April 2021 voraussichtlich in Kraft treten wird."

Anschließend können die Träger der Friedhöfe, meist die Kommunen, entscheiden, ob sie die Sargpflicht lockern.
"Bei einem Tod ist natürlich die Gefühlswelt auch eine ganz andere. Und in den Momenten möchte man schon wissen, gehöre ich mit meiner Kultur, mit meiner Tradition zu diesem Land, in dem ich 50 oder 60 Jahre lebe, das Bundesland, das ich als meine Heimat bezeichne. Oder sind meine Traditionen hier nicht willkommen."

Muslimische Gräberfelder in München, Nürnberg und Augsburg

Auf einigen Friedhöfen in Bayern gibt es schon seit Längerem muslimische Gräberfelder, in München, Nürnberg und Augsburg etwa. Auch im oberbayerischen Penzberg, sagt die Religionspädagogin Gönül Yerli, Vizedirektorin der dortigen islamischen Gemeinde.
Auf diesen Friedhöfen sind religiöse Rituale wie die Totenwaschung und die Ausrichtung nach Mekka möglich. Und künftig auch die sarglose Bestattung, die eine jahrhundertelange Geschichte habe:
"Die Ursprungsform, wenn wir wieder zurückgehen auf die Erstgemeinde des Islams im siebten Jahrhundert: In der Zeit des Propheten Mohammed gab es schlichtweg auch wenig Gehölz in der Wüste. Sodass man nicht nur Muslime ohne Sarg beerdigt hat, sondern die gesamte Gesellschaftsordnung der damaligen Zeit hat diese Art der Beerdigung bekommen, also ohne Sarg."
Indes gibt es heute hierzulande auch Muslime, die kein Problem damit haben, in einem Sarg beerdigt zu werden, so die Erfahrung des bayerischen Bestatterverbandes. Gönül Yerli bestätigt das:
"Die Sargbestattung ist theologisch eine umstrittene Sache. Es gibt Theologen, Theologinnen, die sich dazu äußern und sagen: Der Sarg ist eigentlich gar nicht so das ausschlaggebende. In den muslimischen Ländern selbst ist tatsächlich eine Bestattung ohne Sarg vorgesehen."
Die Religionspädagogin sieht die nahende Lockerung der Sargpflicht in Bayern als Signal der Integration.
"Muslime sind Menschen, die sich hier auf ein dauerhaftes Leben eingerichtet haben. Und das bedeutet, auch über dieses Leben hinaus ein Seelenheil hier erlangen wollen. Natürlich sehen sich auch Muslime in der Bringschuld, über ihre Traditionen noch mal nachzudenken. Aber dass sich auch die Politik beziehungsweise die Gesellschaft mit öffnet, sodass dieses Seelenheil auch gewahrt werden kann."
"Wir befinden uns jetzt hier auf einem von unseren islamischen Gräberfeldern. Die sind natürlich alle Richtung Mekka ausgerichtet. Hier sehen Sie einen Stein, wo dann der Leichnam aufgebahrt wird und wir dann das Totengebet verrichten."

Viele muslimische Gräber haben Grabsteine

Der Bestatter Güler Salih zeigt die beiden islamischen Bereiche auf dem Münchner Südfriedhof, mit jeweils mehreren Dutzend Gräbern. Auf den ersten Blick unterscheiden sich diese kaum von den benachbarten Gräbern. Etliche haben einen Grabstein, obwohl der in der muslimischen Tradition nicht vorgeschrieben ist.
"Im Islam gibt es eigentlich keinen Grabschmuck. Natürlich schaut man sich hier im Lande auch ein bisschen ab von den anderen Gewohnheiten. Wir empfehlen aber, schlicht zu bleiben, weil der Verstorbene geht mit seinen Taten zu Allah und hat mit der Welt oder mit dem, was über ihm ist, eigentlich wenig zu tun."
Noch werden Schätzungen zufolge 50 bis 80 Prozent der in Deutschland verstorbenen Muslime im Herkunftsland beerdigt, nicht zuletzt wegen der Sargpflicht. Allerdings dürften sich mehr und mehr für ein Begräbnis hierzulande entscheiden. Auch mit Blick auf Familie und Freunde, sagt der Landtagsabgeordnete Arif Tasdelen.
"Man kann nicht jede Woche nach Istanbul oder Anatolien fliegen, um die Angehörigen am Grab zu besuchen. Man hat schon auch teilweise das Bedürfnis, dass man alle ein, zwei Wochen mal schnell zum Friedhof fährt, und sich einfach mit dem Menschen unterhält, den man geliebt hat und verloren hat."
Ob dieser Mensch in einem Sarg in der Erde liegt oder im Leichentuch – auch in Bayern soll bald beides möglich sein.
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