Irren durch den Seelenwald
In seinem Ende des 19. Jahrhunderts entstandenen dramatischen Erstling "Anatol" erkundet Arthur Schnitzler die Seelenlandschaften der Wiener Oberschicht. Es geht um Treue und Betrug, um Abschied und Neubeginn. In Luk Percevals Inszenierung ist Anatol eine Frau. Perceval zeigt einen allgemeinen Zustand von Oberflächlichkeit, Langeweile und innerer Leere aus Verzweiflung, bei der das Geschlecht gleichgültig sein soll.
Der promovierte Arzt Arthur Schnitzler war als Autor ein Erkunder der Seelenlandschaften der Wiener Oberschicht vor dem Ersten Weltkrieg, deren Lebensform für ihn das Spielen bei der Suche nach dem Genuss war.
In seinem Ende des 19. Jahrhunderts entstandenen dramatischen Erstling "Anatol", einem Zyklus von sieben Einaktern, schickt er einen alleinstehenden Mann auf die vergebliche Suche nach der Liebe. Seine Suche und ihr Scheitern bespricht er mit seinem Freund Max: Es geht um Treue und Betrug, um Abschied und Neubeginn, um die Beziehung zu einer verheirateten Frau aus der Oberschicht oder einem "süßen Mädel" aus der Unterschicht, um den scheiternden Fluchtversuch in die scheinbare Sicherheit der Ehe. Und jedes Gefühl von Sicherheit und Haltbarkeit erscheint Illusion.
Bei Luk Perceval ist Anatol eine Frau. Die Besetzung der männlichen Titelrolle mit der Schauspielerin Jule Böwe resultiert aus dem Wunsch von Luk Perceval und Jule Böwe nach einer Zusammenarbeit in der letzten Berliner Inszenierung vor dem Wechsel des Hausregisseurs der Schaubühne an das Hamburger Thalia Theater.
Inhaltliche Folgen hat diese Besetzung nicht, aber leider schauspielerische. Schnitzler entkleidet einerseits seine Figuren ihrer Individualität und führt sie als Typen vor, zugleich aber durchdringt er ihr Seelenleben bis in die psychologischsten Tiefen.
Wo Schnitzler die Individualität in der Verallgemeinerung überführt, ist Luk Perceval von Beginn an in der Typisierung angekommen. Er zeigt einen allgemeinen Zustand von Oberflächlichkeit, Langeweile und innerer Leere aus Verzweiflung, bei der das Geschlecht gleichgültig sein soll.
Leider muss sich dafür Jule Böwe im kurzem blauen Kleidchen mit immer demselben leeren Blick einer Melancholikerin durch ihre Texte nölen: Auch wenn sie verschiedene Dialekte zitiert, bleibt sie eine zwischen den Männern herumstöckelnde Spielfigur ohne jeden sozialen Hintergrund. Wo bei Schnitzler die Liebe gezeigt wird als ein Spiel, das gefährdet ist, wenn die Wirklichkeit eindringt, zeigt Perceval die Liebe als ein Spiel, in das in keinem Moment Wirklichkeit eindringt.
Seine Inszenierung ist vor allem ein Denkspiel, der Schnitzlers Kreislauf der Liebessuche von Anfang an als Leerlauf zeigt. Was dazu führt, dass Schnitzlers Geschichte jede innere Spannung genommen wird - was bleibt, sind Schauspieler-Kunststücke.
Perceval hat Schnitzlers Suche in sieben Stationen auf ihren einen Endpunkt der traurigen Desillusionierung konzentriert: Drei Männer umschwärmen Frau Anatol zur gleichen Zeit. Auf leerer Bühne, die Bühnenbildnerin Katrin Brack mit langen silbrigen Glitzergirlanden vollgehängt hat, eine nur plakative und dekorative Bildmetapher, die den Darstellern, die zwischen den Girlanden immer nur suchend verloren umherstreifen können, wenig Spielmöglichkeiten lässt - in dieser szenischen Überdeutlichkeitslandschaften steht Frau Anatol zu Beginn Hand in Hand mit zwei Männern frontal vor dem Publikum.
Stets werden mehrere Beziehungsversuche zugleich gezeigt. Da arbeitet sich André Szymanski, der sehr witzig einen coolen, selbstreflexiv ironischen Mann gibt, mit beiden Händen von hinten durchs offene Kleid an Frau Anatols Busen vor, während auf der anderen Seite Bruno Cathomas, ohne den anderen Mann zu bemerken, der Frau seine Gefühle vorjammert und heult.
Thomas Bading spielt mit souveräner Trockenheit den dritten Mann, in dem nur der Stückkundige die Figur des Anatol-Freundes Max zu erkennen vermag, wobei es wenig Folgen hat, dass bei Perceval weiterhin wie bei Schnitzler ein Mann der Vertraute eines Anatol bleibt, der ja nun eine Frau ist. Die Schnitzlersche psychologische Genauigkeit ist Percevals Sache nicht, er will das Grundsätzliche, das zu Verallgemeinernde, herausarbeiten.
Wir sehen vom ersten Bühnenaugenblick an Menschen, die voller Ratlosigkeit, Kommunikationslosigkeit und Melancholie in einer strahlenden Schein-Welt herumirren (Achtung: das Bühnenbild!). Nach den ersten zehn Minuten hat Percevals Inszenierung alles erzählt, was sie zu erzählen vermag in ihrer zeitlosen, behaupteten Grundsätzlichkeit. Das ist ein Theater nur eines Effektes, von dem nur Schauspielereien bleiben.
Die Darsteller setzen ebenfalls vor allem auf Effekte, sie ironisieren ihre Figuren oftmals und um- und verspielen sie sehr bewusst. Da werden
Verdi-Arien und Rezitative über die Vergeblichkeit der Liebessinn- und Liebesdauer-Suche gesungen, ein Pianist untermalt live das Geschehen, und die Figuren irren gemeinsam durch den glitzernden Girlanden- und Seelenwald.
Auch wenn mal einer einzelne Girlanden herunterreißt oder ab: Hier findet keiner, welche Überraschung, einen Ausweg. Am Schluss stehen alle wieder nebeneinander und durchspielen in einer Endlosschleife die Anfangssituation mit Frau Anatol, wie sie an ihrem Hochzeitsmorgen bereits das Scheitern ihrer Ehe durchdenkt, während Max sie alle unter Girlanden begräbt. Das Ganze ist ein Klischee-Tanz der traurig scheiternden Liebesversuche von Theatertypen.
Eineinviertel Stunden lang statt der im Programmheft angedrohten zwei Stunden dauert ein Abend, der sich selbst genug ist. Spannend ist er keinen Moment, sondern in seiner über die Tiefen und Untiefen des Autors hinwegsurfenden Selbstsicherheit und Veräußerlichungsform eher langweilig bis ärgerlich. Das ist Theater, das aus aller Welt gefallen ist: eben nur Theater.
In seinem Ende des 19. Jahrhunderts entstandenen dramatischen Erstling "Anatol", einem Zyklus von sieben Einaktern, schickt er einen alleinstehenden Mann auf die vergebliche Suche nach der Liebe. Seine Suche und ihr Scheitern bespricht er mit seinem Freund Max: Es geht um Treue und Betrug, um Abschied und Neubeginn, um die Beziehung zu einer verheirateten Frau aus der Oberschicht oder einem "süßen Mädel" aus der Unterschicht, um den scheiternden Fluchtversuch in die scheinbare Sicherheit der Ehe. Und jedes Gefühl von Sicherheit und Haltbarkeit erscheint Illusion.
Bei Luk Perceval ist Anatol eine Frau. Die Besetzung der männlichen Titelrolle mit der Schauspielerin Jule Böwe resultiert aus dem Wunsch von Luk Perceval und Jule Böwe nach einer Zusammenarbeit in der letzten Berliner Inszenierung vor dem Wechsel des Hausregisseurs der Schaubühne an das Hamburger Thalia Theater.
Inhaltliche Folgen hat diese Besetzung nicht, aber leider schauspielerische. Schnitzler entkleidet einerseits seine Figuren ihrer Individualität und führt sie als Typen vor, zugleich aber durchdringt er ihr Seelenleben bis in die psychologischsten Tiefen.
Wo Schnitzler die Individualität in der Verallgemeinerung überführt, ist Luk Perceval von Beginn an in der Typisierung angekommen. Er zeigt einen allgemeinen Zustand von Oberflächlichkeit, Langeweile und innerer Leere aus Verzweiflung, bei der das Geschlecht gleichgültig sein soll.
Leider muss sich dafür Jule Böwe im kurzem blauen Kleidchen mit immer demselben leeren Blick einer Melancholikerin durch ihre Texte nölen: Auch wenn sie verschiedene Dialekte zitiert, bleibt sie eine zwischen den Männern herumstöckelnde Spielfigur ohne jeden sozialen Hintergrund. Wo bei Schnitzler die Liebe gezeigt wird als ein Spiel, das gefährdet ist, wenn die Wirklichkeit eindringt, zeigt Perceval die Liebe als ein Spiel, in das in keinem Moment Wirklichkeit eindringt.
Seine Inszenierung ist vor allem ein Denkspiel, der Schnitzlers Kreislauf der Liebessuche von Anfang an als Leerlauf zeigt. Was dazu führt, dass Schnitzlers Geschichte jede innere Spannung genommen wird - was bleibt, sind Schauspieler-Kunststücke.
Perceval hat Schnitzlers Suche in sieben Stationen auf ihren einen Endpunkt der traurigen Desillusionierung konzentriert: Drei Männer umschwärmen Frau Anatol zur gleichen Zeit. Auf leerer Bühne, die Bühnenbildnerin Katrin Brack mit langen silbrigen Glitzergirlanden vollgehängt hat, eine nur plakative und dekorative Bildmetapher, die den Darstellern, die zwischen den Girlanden immer nur suchend verloren umherstreifen können, wenig Spielmöglichkeiten lässt - in dieser szenischen Überdeutlichkeitslandschaften steht Frau Anatol zu Beginn Hand in Hand mit zwei Männern frontal vor dem Publikum.
Stets werden mehrere Beziehungsversuche zugleich gezeigt. Da arbeitet sich André Szymanski, der sehr witzig einen coolen, selbstreflexiv ironischen Mann gibt, mit beiden Händen von hinten durchs offene Kleid an Frau Anatols Busen vor, während auf der anderen Seite Bruno Cathomas, ohne den anderen Mann zu bemerken, der Frau seine Gefühle vorjammert und heult.
Thomas Bading spielt mit souveräner Trockenheit den dritten Mann, in dem nur der Stückkundige die Figur des Anatol-Freundes Max zu erkennen vermag, wobei es wenig Folgen hat, dass bei Perceval weiterhin wie bei Schnitzler ein Mann der Vertraute eines Anatol bleibt, der ja nun eine Frau ist. Die Schnitzlersche psychologische Genauigkeit ist Percevals Sache nicht, er will das Grundsätzliche, das zu Verallgemeinernde, herausarbeiten.
Wir sehen vom ersten Bühnenaugenblick an Menschen, die voller Ratlosigkeit, Kommunikationslosigkeit und Melancholie in einer strahlenden Schein-Welt herumirren (Achtung: das Bühnenbild!). Nach den ersten zehn Minuten hat Percevals Inszenierung alles erzählt, was sie zu erzählen vermag in ihrer zeitlosen, behaupteten Grundsätzlichkeit. Das ist ein Theater nur eines Effektes, von dem nur Schauspielereien bleiben.
Die Darsteller setzen ebenfalls vor allem auf Effekte, sie ironisieren ihre Figuren oftmals und um- und verspielen sie sehr bewusst. Da werden
Verdi-Arien und Rezitative über die Vergeblichkeit der Liebessinn- und Liebesdauer-Suche gesungen, ein Pianist untermalt live das Geschehen, und die Figuren irren gemeinsam durch den glitzernden Girlanden- und Seelenwald.
Auch wenn mal einer einzelne Girlanden herunterreißt oder ab: Hier findet keiner, welche Überraschung, einen Ausweg. Am Schluss stehen alle wieder nebeneinander und durchspielen in einer Endlosschleife die Anfangssituation mit Frau Anatol, wie sie an ihrem Hochzeitsmorgen bereits das Scheitern ihrer Ehe durchdenkt, während Max sie alle unter Girlanden begräbt. Das Ganze ist ein Klischee-Tanz der traurig scheiternden Liebesversuche von Theatertypen.
Eineinviertel Stunden lang statt der im Programmheft angedrohten zwei Stunden dauert ein Abend, der sich selbst genug ist. Spannend ist er keinen Moment, sondern in seiner über die Tiefen und Untiefen des Autors hinwegsurfenden Selbstsicherheit und Veräußerlichungsform eher langweilig bis ärgerlich. Das ist Theater, das aus aller Welt gefallen ist: eben nur Theater.