Irland als Spiegel der Seele

25.09.2008
Weil ihn seine Frau verlassen hat, mit der er einst nach Irland gezogen war, hat ein Schriftsteller eine Schreibblockade. Erst als er die 60-jährige Niamh trifft, die ihm ihre Lebensgeschichte erzählt, löst sich der Knoten. Heimlicher Held dieses Romans ist jedoch die grüne Insel selbst, deren Landschaft wie ein Seismograph das Seelenleben der Figuren anzeigt.
Das einzige, was ihm bleibt, ist ein Papagei, den er überhaupt nicht leiden kann. Den scheint seine Liebste, als sie ihn verließ, vergessen zu haben. Der Schriftsteller, der einst nach Irland aufbrach, um mit der einzigen Frau, mit der er sich das Leben vorstellen konnte, auf der Insel zuzubringen, sitzt betrogen in seinem Haus - "ein Körper in Ruhestellung", antriebslos "wie ein Stück Treibholz".

Der fundamentalen Krise, die von tiefen Selbstzweifeln begleitet ist, versucht er erfolglos mit allerlei Selbsttherapien beizukommen: abwechselnd mit hartnäckigem Joggen und Trinken, dem Besuch einer absurd-komischen Männergruppe und ausgedehnten Fahrten durch den Regen.

Da ist ihm die Begegnung mit Niamh eine willkommene Abwechslung. Die Mittsechzigerin, eigenwillig und kapriziös, braucht einen Ohrenzeugen für ihre Lebensgeschichte. Während sie erzählt, von ihrer Kindheit in Irland, vom Leben in einer vielköpfigen Familie und den Sehnsüchten eines unerfüllten Lebens, kommen sie einander näher, die beiden Fremden, die ihre Einsamkeiten aufeinander legen wie Blaupausen eines Kammerspiels.

"Welche Geschichte beginnt schon an ihrem Anfang?", fragt sich der Ich-Erzähler. Und welche hat ein ordentliches Ende? Das passiert nur in Büchern, in Romanen und Filmen. Also ordnet der Schriftsteller die ihm anvertrauten Erinnerungen wie ein Chronist und verschränkt sie mit eigenen Assoziationen, Gedächtnissplittern, die immer wieder seiner unglücklichen Liebesgeschichte nachspüren und dem Versuch, sich zu befreien.

Schertenleib berichtet auf zwei Erzählebenen. Die eine führt etwas grüblerisch durch das Irland von heute, durch die romantisch-herben Landschaften des Donegal, aber auch durch Einkaufsmalls und rasch wachsende Feriensiedlungen eines reich gewordenen Landes, das zu den boomenden Wirtschaftswundern Europas zählt.

Die andere Zeitebene, weitaus sachlicher aber auch lebenslustiger, kreist um Niamhs Erinnerungen. Früh war sie aus der Armut ihres Elternhauses nach England aufgebrochen, wo es damals an den Geschäften noch hieß: "No cats, no dogs, no irish, no blacks." Sie verdingt sich als Fließbandarbeiterin in London, dann als Dienstmädchen in einem reichen Oxforder Haushalt. Dort lernt sie Brendan, den Sohn des Hauses, kennen. Er wird die einzige - unglückliche Liebe ihres Lebens sein.

Der 50-jährige Autor lebt seit 1996 in Irland. Vier seiner bisher sieben veröffentlichten Romane spielen auf der grünen Insel. Noch nie aber spielte das Land die heimliche Hauptrolle. Landschaft, Wind und Wetter, Pflanzen und Tiere sind Spiegel und Seismograph dafür, wie sich einer verliert und wieder findet. Dabei gelingen Schertenleib immer wieder erstaunlich unabgenutzte Irland-Bilder.

Und humorvolle, skurrile Szenen obendrein, die über die arg bemühte Konstruktion - hie der Schriftsteller mit der Schreibblockade, da das einstige Dienstmädchen mit dem unverbrüchlichen Überlebenswillen - hinwegtröstet. Doch gerade daraus schlägt der Schweizer Autor seine erzählerischen Funken. Es ist die unkonventionell schöne Sprache, die dem Roman am Ende eine poetisch dichte, durchaus anrührende Atmosphäre verleiht.

Rezensiert von Edelgard Abenstein

Hansjörg Schertenleib: Das Regenorchester
Aufbau Verlag, Berlin 2008
232 Seiten, 19,95 EUR