Irgendwo da draußen

Rezensiert von Andreas Schäfer |
Der 1987 verstorbene australische Autor Kenneth Cook fängt in seinem verstörenden Roman die Trostlosigkeit des australischen Buschs ein und beschreibt auf packende Weise den klaffenden Unterschied zwischen Land- und Stadtbevölkerung. Außerdem desavouiert er den australischen Mythos der so genannten Kameradschaft, hinter der bei Cook die Fratze einer fast schon kannibalistischen Hemmungslosigkeit aufscheint.
Trostloser kann Zukunft nicht aussehen. Der Schüler ist elf Jahre alt, sensibel, hoch intelligent und begierig zu lernen. Alles an ihm strebt zu Höherem, aber dennoch ist er verdammt, später bei der Eisenbahn als Arbeiter anzuheuern, ganz einfach, weil sein Vater auch schon bei der Eisenbahn arbeitet. Im Nirgendwo des australischen Outback, in dem dieser Roman spielt, herrschen einfache Gesetze. Ein Arbeiter ist ein Arbeiter und wird es immer bleiben.

Das tut dem Erzähler John Grant zwar leid, ändern kann er daran aber nichts. Grant ist nur der Saisonlehrer, der für ein paar australische Dollars den Landkindern Lesen und Schreiben beibringt und sich gerade auf die wohlverdienten Weihnachtsferien freut. In dem kleinen Städtchen Bundanyabba wartet er auf seinen Flug nach Sydney. Nur noch zwölf Stunden Hitze, Staub und schales Bier, dann hat den jungen Mann das flirrende Großstadtleben wieder.

Es kommt natürlich anders. Von einem freundlichen Stadtpolizisten animiert, setzt Grant beim Spiel in einem Spelunkenkasino, gewinnt erst, um dann, aufgeputscht von alkoholisierter Gier, alles zu verlieren. Jetzt beginnt Kenneth Cooks Roman ein zweites Mal. Ohne Geld, bald auch ohne Koffer und Bücher, ist Grant auf die Hilfe der anderen angewiesen. Minenarbeiter reichen ihm zwar die Hand, aber nur, um ihn immer tiefer in ihre rohe Welt hineinzuziehen, in der nicht nur Alkohol-, sondern auch Sex- und Gewalt-Exzesse zur Tagesordnung gehören.

Kenneth Cook, 1929 in Sydney geboren und 1987 gestorben, ist hierzulande nahezu unbekannt. In seiner Heimat ist der Autor, der auch Drehbücher schrieb und Dokumentationen drehte, ein Klassiker. Sein zweiter Roman "In Furcht erwachen", der schon 1961 erschien und jetzt bei C.H. Beck auf Deutsch herauskam, gehört in Australien zur Schullektüre.

Cook beschreibt auf packende Weise nicht nur den klaffenden Unterschied zwischen Land- und Stadtbevölkerung, sondern desavouiert auch den australischen Mythos der so genannten Kameradschaft, hinter der bei Cook die Fratze einer fast schon kannibalistischen Hemmungslosigkeit aufscheint. Auf dem schrecklichen Höhepunkt der Handlung nimmt Grant, von den Arbeitern eingeladen, an furchtbaren Kängurumassakern teil, mit denen man sich traditionell die Sonntage vertreibt.

"Gütiger Gott! Was machte er, John Grant, Schullehrer und Liebender, hier draußen unter den gleichgültigen Sternen, und warum schlachtete er dieses warme, graue Tier ... Schluchzend trieb er das Messer wieder und wieder in Brust und Rücken des Tieres, das stumm dastand, ohne zu protestieren. Aber es starb nicht."

Den existentialistischen Zeitgeist seiner Entstehung kann dieses Buch nicht verleugnen, und eines seiner Vorzüge besteht in seiner dichten, ambivalenten Atmosphäre. Unablässig ist eine latente Bedrohung spürbar, doch nie wird Grant von den Minenarbeitern zu Handlungen gezwungen. Warum schlachtet er also "dieses warme, graue Tier"? Antwort kann er nicht geben. Fassungslos starrt er in die Finsternis des eigenen Herzens. Am Ende ahnt Grant immerhin, dass seine Höllenreise einen geheimen Sinn enthält, den er freilich erst später wird entziffern können. Der grelle Hoffnungsspot am Schluss dieses verstörenden Romans ist literarisch eher unbefriedigend, aber für eine Schullektüre wohl unerlässlich.


Kenneth Cook: In Furcht erwachen
Aus dem. Englischen von Hansjörg Schertenleib
Verlag C.H.Beck, München 2005, 190 Seiten