Iran und Saudi-Arabien

"Die Reise von Donald Trump hat einiges ausgelöst"

Jürgen Chrobog, ehemaliger Diplomat, aufgenommen während der ARD-Talksendung "Anne Will" in den Studios Berlin-Adlershof.
Der frühere Spitzendiplomat Jürgen Chrobog zeigt sich über die US-Politik gegenüber Iran besorgt. © dpa picture alliance / Karlheinz Schindler
Jürgen Chrobog im Gespräch mit Dieter Kassel  · 08.06.2017
Nach den Anschlägen in Teheran kritisiert der Ex-Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Jürgen Chrobog, die einseitige Parteinahme Washingtons für Saudi Arabien und gegen Iran. Die jüngste Reise von US-Präsident Donald Trump nach Riad habe einiges ausgelöst.
"Wir kennen ja die Affinität von Donald Trump zu Saudi-Arabien", sagte der frühere Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Jürgen Chrobog im Deutschlandfunk Kultur. Es gebe da eine Wirtschaftsverflechtung, die sehr eng sei. Deshalb werde die US-Politik sehr einseitig auf Riad ausgerichtet und das ausbalancierte Gleichgewicht zwischen den beiden Regionalmächten Iran und Saudi-Arabien sei durcheinander geraten.

Trumps Wirtschaftsinteressen

"Es gibt nur ein Trump-Hotel in Saudi-Arabien, aber nicht in den anderen Ländern", sagte Chrobog über die engen Wirtschaftskontakte des US-Präsidenten zu Riad. Trump habe einen Rüstungsdeal über 110 Milliarden Dollar geschlossen und Saudi-Arabien sei für ihn das geschätzte Land. Trump denke nicht darüber nach, dass auch dieses Land seine Probleme habe und die Staatsideologie des Wahhabismus sehr nahe an der IS-Ideologie liege. "Es ist also eine sehr einseitige Sicht, sehr auch im wirtschaftlichen Interesse von Donald Trump, und das macht einen doch sehr beunruhigt".
Erst im Mai weilte Donald Trump zu einem Besuch in Saudi Arabien und schloss ein milliardenschweres Waffengeschäft ab.
Erst im Mai weilte Donald Trump zu einem Besuch in Saudi Arabien und schloss ein milliardenschweres Waffengeschäft ab. © imago/UPI Photo

Das Interview im Wortlaut:

Dieter Kassel: Bei zwei Anschlägen, die gestern fast gleichzeitig in der iranischen Hauptstadt Teheran stattfanden, einer im iranischen Parlament und einer im Khomeini-Mausoleum im Süden der Hauptstadt, bei zwei Anschlägen sind gestern mindestens 13 Menschen getötet worden, Dutzende wurden verletzt, und zu beiden Anschlägen hat sich kurz danach die Terrormiliz IS bekannt.
Das ist damit der erste Anschlag des sogenannten Islamischen Staats im Iran. Eine neue Entwicklung, über die, vor allen Dingen über deren Hintergründe wir jetzt mit Jürgen Chrobog reden wollen, Staatssekretär a. D. und langjähriger deutscher Spitzendiplomat. Einen schönen guten Morgen, Herr Chrobog!
Jürgen Chrobog: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Von diesen Anschlägen des IS im Iran waren gestern viele internationale Beobachter zunächst sehr überrascht. Sie auch?
Chrobog: Ja, absolut. Denn das ist im Iran noch nicht passiert, und dass der IS dort zuschlägt, ist natürlich schon eine schlimme Entwicklung dort, aber Verschwörungstheorien wachsen dort natürlich auch sofort. Die Saudis wären mitschuldig, die Amerikaner.
Kassel: Nun stellt man aber natürlich grundsätzlich die Frage, warum jetzt? Denn ich meine, aus Sicht der sunnitischen Terrormiliz IS ist natürlich der überwiegend schiitische Iran grundsätzlich ein Feind, da leben aus deren Sicht Ungläubige. Das ist aber doch schon jetzt immer so gewesen. Warum gerade jetzt ein Anschlag?
Chrobog: Ich glaube, dass die Reise von Donald Trump nach Saudi-Arabien doch auch einiges an Entwicklungen ausgelöst hat. Saudi-Arabien ist für die Amerikaner eben der einzige Partner geworden. Man stützt sich voll auf sie. Das ist eine völlig einseitige Politik zugunsten von Saudi-Arabien, in gewisser Hinsicht natürlich auch noch Israel, sehr stark gegen Iran ausgerichtet.
Das hat natürlich auch Kräfte freigesetzt, die sich jetzt konzentrieren gegen den Iran. Ich fand das eine sehr schlechte Entwicklung, die da eingetreten ist. Trump rühmt zwar seine Reise als den größten Erfolg der Diplomatiegeschichte in Amerika, aber es hat natürlich in Bewegung gebracht , dass Stabilität in der Region eben wieder insofern verändert, als dieses gewisse austarierte Verhältnis zwischen Iran und Saudi-Arabien völlig zusammengebrochen ist.

Katar denkt moderner

Kassel: Welche Rolle spielt dabei die Entwicklung rund um Katar, ein Land, dem ja die Nachbarländer, die es jetzt boykottieren, unter anderem auch vorwerfen, eben zu freundschaftlich mit dem Iran umzugehen.
Chrobog: Nun gibt es keine engen Beziehungen zwischen Katar und dem Iran, aber Katar ist vielleicht das einzige Land in der Golf-Kooperation, das sich etwas nach vorn bewegt und etwas moderner denkt und diese Stagnation aufbrechen will, die in dem Freund-Feind-Denken besteht. Ob diese Glückwünsche an Rohani tatsächlich gekommen sind, weiß man nicht. Das kann auch russischer Fake gewesen sein, darüber wird ja spekuliert. Aber auf jeden Fall ist Katar das Land, das etwas moderner denkt, und versucht, auch die Brücke zu Iran zu bauen, ohne jetzt aber eine enge Freundschaft zum Iran aufzubauen.
Kassel: Welche Rolle spielt die Situation des sogenannten Islamischen Staats im Irak und in Syrien? In beiden Ländern wird der IS ja doch zunehmend zurückgedrängt. Es gab gerade gestern wieder Angriffe auf Rakka, eine der wenigen verbliebenen Hochburgen des IS in der Region. Welche Rolle spielt das? Braucht man jetzt sozusagen neue Ziele vielleicht?
Chrobog: Nein, die braucht man sicher nicht. Der IS wird zurückgedrängt, übrigens auch im Sinne von Katar und dem Golf-Kooperationsrat und allen Ländern in der Region. Ich glaube, das Feindbild ist hier ganz klar. Aber jetzt so ein Land wie Katar zum Sündenbock hier zu machen, ist natürlich völlig unsinnig. Die unterstellte Nähe zu Iran ist eben doch nicht so eng, aber immerhin denkt Katar in einer etwas anderen Richtung, und alles, was in Richtung Iran denkt und sich dort in die Richtung bewegt, ist für Saudi-Arabien das große Feindbild.
Der Hass zwischen Saudi-Arabien und Iran ist ungeheuer groß, und insofern, jede Annäherung oder auch jede verbale Annäherung an Iran oder jedes positive Wort über den Iran ist Teufelszeug im Sinne von Saudi-Arabien. Immerhin hat Iran ja das Atomabkommen geschlossen mit dem Westen. Es hat auch alle Regelungen und alle Forderungen eingehalten bisher. Es ist nicht in unserem Interesse, dass Iran jetzt so ausgegrenzt wird. Das kann die Stabilität zusätzlich sehr verschlechtern in der Region und auch das ganze Atomabkommen und die Beziehungen, die wir im Westen auch aufgebaut mit dem Iran – ohne Iran jetzt eben Saudi-Arabien vorzuziehen – das kann dieses System sehr gefährden.

Eine einseitige Sicht in Washington

Kassel: Glauben Sie denn, dass das, was Sie jetzt zum Teil schon recht deutlich beschrieben haben, dass das so auch in Washington ankommt, also dass dieses eindeutige Bekenntnis zu Saudi-Arabien zumindest von Trump selbst während seiner Reise, dass das etwas ist, was die Lage in der Region deutlich verschärft hat?
Chrobog: Es wird nicht in Washington ankommen. Wir kennen ja die Affinität von Donald Trump zu Saudi-Arabien. Eine Wirtschaftsverflechtung, die sehr eng ist. Es gibt nur ein Trump-Hotel in Saudi-Arabien, aber nicht in den anderen Ländern. Er hat Wirtschaftskontakte, die exzellent sind, dazu. Er hat einen Rüstungsdeal über 110 Milliarden Dollar geschlossen mit Saudi-Arabien.
Saudi-Arabien ist für ihn das geschätzte Land, ohne überhaupt darüber nachzudenken, dass auch dieses Land seine Probleme hat, dass der Wahhabismus sehr nahe an der IS-Ideologie liegt, und dass viel auch von der Finanzierung des "Islamischen Staates" aus Saudi-Arabien gekommen ist, wie auch die ganzen Anschläge damals bei Nine-Eleven. Es ist also eine sehr einseitige Sicht, sehr auch im wirtschaftlichen Interesse von Donald Trump, und das macht einen doch sehr beunruhigt.
Kassel: Apropos beunruhigt: Wie gefährlich ist die Lage aus Ihrer Sicht auch nach diesen Anschlägen gestern. Sie haben gesagt, zum Teil halten Sie das zwar nur für Verschwörungstheorien, aber aus Teheran gab es ja direkt Anschuldigungen in Richtung Saudi-Arabien. Halten Sie zum Beispiel einen militärischen Konflikt zwischen dem Iran und Saudi-Arabien für denkbar.
Chrobog: Ich glaube, es ist nicht sehr wahrscheinlich, würde ich sagen, weil auch die Kräfteverhältnisse sehr schwer einzuschätzen sind. Iran darf auch aufgrund seiner militärischen Stärke nicht unterschätzt werden. So was kann man nicht ausschließen, aber es gibt eben die Stellvertreterkriege zwischen Iran und Saudi-Arabien bereits im Jemen und in Syrien. Da können sich auch neue Gebiete eröffnen, wo man diese Stellvertreterkriege weiter ausführt. Also zur Befriedung der Region wird es jedenfalls nicht beitragen.

EU sollte mäßigend wirken

Kassel: Kann denn Deutschland, kann die Europäische Union zur Befriedung der Region beitragen, oder überschätzen wir uns da?
Chrobog: Wir können nicht so sehr viel machen. Es war interessant, dass zunächst auch Trump gesagt hat, Golf-Kooperationsrat, da braucht man Stabilität, auch Tillerson und der Verteidigungsminister haben in dieser Richtung argumentiert. Sie wurden aber von Trump sofort desavouiert wieder, in ihrer Sicht ganz klar wieder auf die Seite von Saudi-Arabien gestellt hat und sogar hinzugefügt hat, in Iran hat schon so viel an Terror finanziert, jetzt wird man selbst zum Opfer, also fast mit Befriedigung.
Es ist eine sehr schwierige Situation und ich finde auch, eine zu einseitige Betrachtungsweise aus den Vereinigten Staaten. Das kann nicht in unserem Interesse sein. Wir müssen versuchen, von uns aus mäßigend einzuwirken auf diese ganze Region, aber der Ball liegt leider im Augenblick zu stark in Washington.
Kassel: Sagt der langjährige deutsche Spitzendiplomat Jürgen Chrobog zur Konfliktlage im Nahen Osten auch nach den Anschlägen gestern im Iran. Herr Chrobog, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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