Iran hat "Angst vor gut ausgebildeten Frauen"

Katajun Amirpur im Gespräch mit Holger Hettinger · 06.09.2012
Dass Akademikerinnen mehr für ihre eigenen Rechte kämpften, könnte hinter den Studienbeschränkungen für Frauen ab dem neuen Studienjahr im Iran stecken, meint die Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur. Die Herrschenden wollten so das oppositionelle Potenzial im Land vermindern, vermutet die Publizistin.
Holger Hettinger: Akademische Ausbildung im Iran, das ist mehrheitlich Frauensache. Mehr als 2 der 3,5 Millionen iranischen Studierenden sind weiblich. Das wird sich wahrscheinlich ändern, denn viele Universitäten werden mit Beginn des neuen Studienjahres Ende September vor allen Dingen in den technischen Fächern keine Frauen mehr zulassen. Insgesamt 36 Universitäten, dass 77 Studiengänge zukünftig ausschließlich Männern vorbehalten sein werden.

Ist es so, dass der Iran Angst hat vor starken, klugen Frauen? Das ist nun mein Thema mit der Islamwissenschaftlerin und Publizistin Katajun Amirpur. Ich grüße Sie, hallo!

Katajun Amirpur: Guten Tag!

Hettinger: Frau Amirpur, warum wird den Frauen der Zugang zu den Universitäten mit dieser neuen Regelung erschwert? Welche Idee, welches Ziel steckt dahinter?

Amirpur: Na ja, die offizielle Begründung lautet, dass im Moment eben 65 Prozent aller Studierenden im Iran Frauen seien. Das heißt, es gibt deutlich mehr Frauen, die studieren. Auf der anderen Seite gibt es aber nicht so viele Frauen, die dann tatsächlich nachher in diesen Berufen arbeiten, deswegen vor allem auch die Einschränkung bei das, was man im Iran dann Männerberufe nennt. Also es wird argumentiert, dass viele dieser Berufszweige wirklich Männerberufe seien, dass die Frauen das zwar studieren, weil sie häufig besser seien – also sie schneiden häufig besser ab bei den Eintrittsexamina –, und machen dieses Studium dann auch, sich dann aber nachher gegen den Beruf entscheiden. Beziehungsweise wahrscheinlich ist es eher so, dass sie sich nicht gegen den Beruf entscheiden, sondern in dem Beruf einfach nicht unterkommen aus verschiedensten Gründen. Das ist die offizielle Begründung, die jetzt im Moment gegeben wird.

Dem widerspricht aber natürlich die Tatsache, dass auch solche Fächer wie beispielsweise Übersetzen, Hotelmanagement, englische Literatur für Frauen in bestimmten Städten geschlossen werden, und da kann man nun kaum argumentieren, solche Studienfächer würden ja auf reine Männerberufe hinlaufen. Und selbst wenn es so wäre, ist es natürlich einfach eine Sache, dass man einer Frau nicht von vornherein sagen kann, das darfst du nicht studieren, weil das ein Männerberuf ist, und das ist nicht eure Sache.

Hettinger: Gibt es andere Maßnahmen zur Geschlechtertrennung und Frauendiskriminierung, die im Prinzip hier in die ähnliche Richtung gehen? Ist das Teil eines großen Plans im Iran?

Amirpur: Sagen wir es mal so, es ist kein Teil eines neuen großen Planes, es ist eigentlich ein Plan, den es gibt, seit 1978/79, also sprich seit die Islamische Republik existiert, seit es eine islamische Revolution im Iran gab. In diesem Jahr wurde ein neues Familienrecht eingeführt, und das ist ein Familienrecht, das eine Zweiklassengesellschaft etabliert hat. Also es herrscht Geschlechter-Apartheid im Iran – das ist nichts Neues, und diese Geschichte an den Universitäten ist quasi Teil dieses ganzen Bildes.

Sie haben im Iran ein Rechtssystem, das es einer Frau verbietet beispielsweise ohne die Erlaubnis ihres Mannes arbeiten zu gehen, sie darf nicht ohne die Erlaubnis ihres Mannes das Land verlassen, sie bekommt so gut wie nie das Sorgerecht für die Kinder, wenn sie sich scheiden lassen möchte, was sie nach iranischem Recht eigentlich auch nicht darf – also es gibt zig Punkte, wo Frauen extrem benachteiligt sind im Recht.

Und was sie allerdings bisher immer noch hatten, war eine sehr gute Ausbildung. Also es wird zum Beispiel teilweise wirklich auch argumentiert, dass gerade die islamische Revolution eine emanzipatorische Auswirkung hatte, weil nun eben auch sehr konservative Väter es ihren Töchtern gestattet haben, in die Uni zu gehen. In den 60er-, 70er-Jahren haben sie das nicht getan, weil es da hieß, an die Uni darf man nicht gehen, da darf man kein Kopftuch tragen.

Aber nun, seit 79, muss man eben mit Kopftuch an die Uni, und dementsprechend kamen auch sehr viele Frauen aus konservativen Familien dahin, zu studieren. Das ist der Grund, warum es jetzt so viele extrem gut ausgebildete Frauen gibt, und davor hat man natürlich Angst. Also insofern ist das durchaus der richtige Aufhänger zu sagen, hat die Islamische Republik Angst vor gut ausgebildeten Frauen. Ja, hat sie auf jeden Fall.

Hettinger: 77 Studiengänge sollen künftig den Frauen verschlossen bleiben, eine reine Männersache. Was sagen denn die Frauen im Iran zu diesen restriktiven Maßnahmen?

Amirpur: Nun, es gibt nicht besonders viele Medien, wo sie sich tatsächlich äußern können. Also wir können uns das nicht so vorstellen, als könnte jetzt beispielsweise in dem Äquivalent der "Süddeutschen Zeitung" eine der vielen dort tätigen Journalistinnen etwas schreiben und sagen, das geht nicht, das dürfen wir nicht machen, das widerspricht dem Prinzip der Gleichberechtigung. Also da sind – Frauen haben einfach diese Medien nicht, und vor allem kann einfach keine oppositionelle Stimme sich wirklich äußern. Die Medien sind vollkommen zensiert, man hat einfach gar keinen Zugang da als oppositionelle Stimme.

Wo wir jetzt etwas lesen, ist in den Web-Blogs, ist im Internet, also da gibt es einige hauptsächlich im Ausland hergestellte Domains, und es gibt natürlich zahlreiche Web-Blogs, die von Iranerinnen aus Iran gemacht werden, und die sprechen ganz deutlich davon. Das sei Talibanisierung, das sei der Rückfall in die Steinzeit, was da gemacht werde. Da wenden sich die Frauen schon ganz stark dagegen.

Was eben jetzt nicht passiert ist, ist, dass sie auf die Straße strömen deswegen beispielsweise, und sich da dagegen wenden. Aber das liegt daran, dass man in den letzten Jahren erfahren hat, dass jeglicher Protest gegen das Regime ganz brutal niedergeknüppelt wird – das ist etwas, was wir seit 2009 sehen, seit es da eine große Demokratiebewegung gab, und dementsprechend trauen sich die Leute einfach nicht auf die Straße, um für solche Dinge zu protestieren, wie sie das wahrscheinlich gerne täten.

Hettinger: Findet dieser Protest der Frauen im Internet denn auch eine Resonanz im männlichen Teil der Gesellschaft? Denn auch Männer haben Töchter, Schwestern und so weiter.

Amirpur: Na ja, es geht, also es wurde durchaus – im Parlament wurden auch Stimmen laut, die gesagt haben, was soll das denn jetzt, was bezweckt ihr denn damit, und man kann doch nicht einfach hingehen und das jetzt so reglementieren. Da wurden schon ein, zwei, drei Stimmen laut, aber es hat sich keine wirkliche große, starke Stimme dagegen ausgesprochen, von der man jetzt annehmen könnte, dass die etwas bewirken wird. Also es dürfte darauf hinauslaufen, dass es jetzt tatsächlich umgesetzt wird, was man da vorhat.

Aber auch das ist, glaube ich, Teil eines größeren Spektrums. Man hat versucht, in den Geisteswissenschaften insgesamt sehr starke Reglementierungen einzuführen, also so hieß es beispielsweise, es soll keine westliche Literatur mehr gelesen werden, es sollen überhaupt Fächer, die westlich anmuten, wie englische Literatur, gestrichen werden. Auch das ist etwas, was sich zum Teil insgesamt gegen eine junge, aufbegehrende Generation und Bevölkerung richtet, und auch nicht nur gegen die Frauen.

Hettinger: Jetzt vielleicht eine Frage aus einem sehr eurozentrischen Blickwinkel, aber warum leistet es sich denn der iranische Staat überhaupt, so viele Frauen an den Universitäten auszubilden und dann dieses Potenzial nicht zu nutzen und sie dann eben nicht im Beruf Fuß fassen zu lassen, sondern sie in die Familie abzuschieben?

Amirpur: Na, es gibt zum Teil auch nicht genug Arbeitsplätze schlicht und ergreifend, also das sind immer noch sehr bevölkerungsstarke Jahrgänge, das hat sich jetzt in den letzten Jahren etwas geändert. Aber es strömen viel zu viele Frauen, die gut ausgebildet sind, auf den Arbeitsmarkt, und deshalb – also man hat zum einen nicht damit gerechnet, dass dann tatsächlich so viele Frauen anfangen würden zu studieren, noch vor einigen Jahren. Also insofern war das eine Entwicklung, die einen überrumpelt hat. Nun waren sie plötzlich da und sind aber auf dem Arbeitsmarkt nicht unterzubringen. Es herrscht eine große Arbeitslosigkeit.

Und eine der Taktiken ist, zu sagen, die wenigen Arbeitsplätze, die wir haben, die sollen dann doch lieber die Männer nehmen, und für die Frauen sehen wir etwas anderes vor, nämlich, dass sie doch lieber zu Hause bleiben und sich um das Großziehen der Kinder kümmern. Das ist natürlich auch etwas, was dahinter steht. Da geht es um eine etwas merkwürdig gedachte Regulierung des Arbeitsmarktes.

Hettinger: Diese Gleichung – man hält die Frauen von der Universität fern, um sie in irgendeiner Weise von der politischen Aktivität auch fernzuhalten –, weiß ich jetzt nicht. Inwieweit geht so was wirklich auf? Wie politisch sind überhaupt diese Universitäten, sind diese Studiengänge?

Amirpur: Die Generation insgesamt ist extrem politisch. Also es ist eine Generation, die zum Beispiel permanent indoktriniert wurde und der gesagt wurde, der Islam ist die Lösung, alles Gute kommt aus dem Islam, aber es ist auch eine Generation, die festgestellt hat, dass das faktisch so nicht ist. Es ist eine Generation, die sehr offen ist – die haben, obwohl es verboten ist, großen Zugang zu westlichen Medien, die informieren sich sehr, sehr stark. Es gibt eine extrem große Internetnutzung im Iran, also da gibt es schon extrem viel oppositionelles Potential, und es ist natürlich auch so, dass je besser ausgebildet Frauen sind, desto stärker kämpfen sie für ihre Rechte.

Und eine Frau, die sagt, ich habe eine Promotion geleistet, die lässt sich nicht mehr damit abspeisen, dass sie das Sorgerecht für ihre Kinder nicht hat. Und insofern ist natürlich die Gleichung, wir müssen Angst haben vor gut ausgebildeten Frauen, weil die auf die Straße gehen und demonstrieren und für ihre Rechte kämpfen, diese Idee geht durchaus auf. Also die Idee des Regimes, man bringt am besten Frauen wieder dazu, man schreckt sie ab, man lässt sie nicht zu den Studiengängen zu, man schickt sie nach Hause und lässt sie Kinder großziehen und hat damit weniger Potenzial für kritische, für oppositionelle Bestrebungen, das ist nachvollziehbar.

Hettinger: Schönen Dank! Das war die Islamwissenschaftlerin und Publizistin Katajun Amirpur über eine Entwicklung im Iran. Dort werden immer weniger Frauen an den Universitäten zugelassen – insgesamt 77 Studiengänge werden zum Semesterbeginn im September nur noch Männer zulassen. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!

Amirpur: Gerne!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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