"...io son' un uomo di teatro"

09.10.2013
Noch zu Lebzeiten musste sich Giuseppe Verdi manch nachteiligen Vergleich mit seinem angeblichen Antipoden Richard Wagner gefallen lassen. Die gesamte Musikkritik Europas, so kritisierte Franz Werfel in seinem Verdi-Roman, hatte es sich angewöhnt, das Werk des italienischen Maestro an dem des deutschen Meisters zu messen und es in eine Welt von gestern zu verweisen.
Dem hält der Autor entgegen: "Die Sendung Verdis war es, die traditionelle Oper, die Oper an sich, das Werk des Gesangs zu retten und ihre Entwicklung für die Zukunft zu sichern. Seinem Genius hatte die Geschichte die schwere Doppelaufgabe anvertraut, die alte leergewordene Form zu wahren, sie der Menschen-Wahrheit zu versöhnen und dennoch nicht an das musikalische Drama des Nordens zu verraten."

Bei aller Gebundenheit an die realen zeitgenössischen Opernverhältnisse war Verdi nur begrenzt zu Kompromissen bereit: zu Rücksichten auf den Geschmack des Publikums oder gar auf Gewohnheiten der Sängerinnen und Sänger. Vehement stritt er für eine Opernreform (ohne den Begriff zu benutzen), die ihr Kernstück in einem neuen Verhältnis von Gesang und szenischer Aktion hatte. Kurzum, er entwickelte und praktizierte eine Idee von Musiktheater als "Kunst der Darstellung mit den Mitteln des Singens" (Jürgen Kesting), die sich bis heute als tragfähig erweist.

Die dramatische Intensität, die Verdi in seinen Opern entfacht, ist vom Furor des Risorgimento, des Kampfes um die Unabhängigkeit und Einheit Italiens im 19. Jahrhundert, getragen. Doch wäre es verfehlt, den Musikdramatiker Verdi auf eine politische Symbolfigur, auf den Schöpfer der inoffiziellen Nationalhymne Italiens zu reduzieren. Seine Bedeutung ist über die Popularität hinausgewachsen, die er mit "Va pensiero sull’ali dorate" ("Flieg, Gedanke, auf goldenen Schwingen") und anderen berühmten Chören erlangte.

Im Laufe eines mühevollen Reifeprozesses fand der Komponist zu jener subtilen psychologischen Charakterisierungskunst, die ihn an die Seite eines Shakespeare, eines Schiller oder Victor Hugo stellte – Autoren, deren Vorlagen er besonders schätzte und die ihm zum Maßstab des eigenen musikdramatischen Schaffens wurden. So sind denn die Protagonisten in Verdis Opern – anders als die mythischen Helden bei Wagner – zwar historisch-konkret "geerdet", doch lassen sich ihre Schicksale gleichsam als "zeitlos-gegenwärtige", mithin uns auch heute noch bewegende erleben. Eben dafür findet Verdi den treffenden Ton: den Ton innerer Anteilnahme, der Leidenschaft, der Erregung, der Trauer, des Trostes.

Doch findet er diesen Ton nicht nur in Gestalt überaus einprägsamer Melodien. Fast wichtiger noch: Verdi weiß Situationen und Konstellationen mit verblüffender Schärfe und Knappheit zu umreißen. Vor allem hierin, in der instinktsicheren Beherrschung szenischer Wirkungen mit den Mitteln der Musik, erweist sich sein Genie. Dass Verdi sich dessen bewusst war, ist anekdotisch überliefert: Als er im Anschluss an die Premiere seines "Falstaff" als der größte lebende Komponist bejubelt wurde, winkte der greise Meister bescheiden und zugleich klarstellend ab: "No, no, lasci andare il grand musicista – io son‘ un uomo di teatro! – "Nein, nein, lassen Sie den großen Komponisten beiseite – Ich bin ein Mann des Theaters!"


"...io son' un uomo di teatro"
Gesang und Darstellung in den Opern Giuseppe Verdis
Zum 200. Geburtstag des Komponisten

Gäste: Riccardo Chailly (Gewandhauskapellmeister)
und Arne Langer (Chefdramaturg am Theater Erfurt)

Moderation: Uwe Friedrich