Intrigenstadl mit Plastikschwan

Von Jörn Florian Fuchs · 03.04.2011
Für Wagner-Puristen war dieser Abend in mehrfacher Hinsicht horribel. Statt wabernder Grals-Metaphysik hagelte es handfeste Blowjobs und Penetrationen, dazu kamen diverse Leichen und dann wurde es manchmal auch noch bei eigentlich sehr ernsten Stellen richtig lustig. Aber der Reihe nach.
Schon der Spielort ist reichlich schräg. In einer kleinen Halle rechts der tribünenartigen Bühne hängen nicht nur Schwert und Speer als Machtinsignien, sie wird ebenso zum Mausoleum für Telramund und mehrere Kollegen. Bereits während des irrlichternden Vorspiels beginnt eine der spannendsten Wagner-Aufführungen, die der Regietheater-Markt momentan hergibt. Tilman Knabe lässt ein paar Folterknechte auftreten, die einen hilflosen Mann in mittleren Jahren halbtot schlagen. Sobald die zartesten Geigen einsetzen, helfen sie ihm, allerdings muss er ein Schriftstück unterzeichnen. Er ist fortan nur Mittel zum Zweck in einem größeren, erstmal undeutlichen Ganzen.

Man braucht ein Weilchen, um zu verstehen, dass hier Lohengrin als Teil einer Intrige König Heinrichs agiert, auch Elsa ist eingeweiht, ebenso der Heerrufer, mit dem sie übrigens eine Art S/M-Freundschaft beziehungsweise Feindschaft verbindet. Heinrich will seine Macht nach innen wie nach außen absichern und tatsächlich staunt das tumbe Volk über den Helden, der einem Plastikschwan entsteigt.

Beim Tribunal, als Telramund Elsa des Brudermords bezichtigt (- sie ist tatsächlich schuldig, wie eine drastische Rückblende verdeutlicht - ), da siegt Lohengrin nur deshalb, weil man Telramund ein Betäubungsmittel ins Wasserglas gestreut hat. Statt real gekämpft, wird "nur" geredet, Knabe verlegt die Handlung in die heutige Zeit, mit all ihren Rededuellen, Politinszenierungen und Machtspielchen – was mühelos funktioniert.

Ganz neu gedeutet wird Elsa, statt einem harmlosen Dummchen ist sie hier Täterin, Intrigantin und Opfer zugleich. Lohengrin wird für dieses sexuell sehr aktive und attraktive Flittchen zum bloßen Spielzeug, das allerdings nicht mal in der Hochzeitsnacht wirklich ran darf. Stattdessen arbeitet sie sich durch Aktenberge, immer begleitet von einer Dienerinnenentourage. Zu letzterer zählt kurzzeitig auch Ortrud, die böse Partnerin Telramunds, freiwillig ordnet sie sich Elsa unter, um bald brutal zurückzuschlagen.

Tilman Knabe inszeniert ein deftiges, derbes Totaltheater, dessen Stilmittel immer exakt zur Musik passen, die Chöre sind exzellent geführt, alle Solisten stürzen sich mit Verve in ihre Rollen. Der eigentliche Clou kommt am Schluss, nachdem das sich immer schneller drehende Intrigenkarussell bereits einige Leute abgeworfen hat.

Der neue König von Brabant ist nicht Elsas tot geglaubter Bruder aus dem Gralsreich, sondern ein dunkler Deus ex machina, der die ganze Zeit anwesend war und den man doch nicht auf der Rechnung hatte. In grotesker Uniform taucht der Heerrufer auf und sorgt für ein Blutbad, es wird alles niederkartätscht, was ihm nicht zu Diensten ist.

Beim Mannheimer Publikum stiftete dieser kluge, radikale Lohengrin einigen Unmut, die Buh-Chöre steigerten sich nach jedem Aufzug. Uneingeschränkt bejubelt wurden Orchester, Chor und Sänger.

Dan Ettinger dirigierte mit großer Lust am Schroffen, Lauten, Knalligen und lieferte damit den adäquaten Sound zur Szene. Cornelia Ptassek sang eine zwischen Jungmädchencharme und Furie hin und her gerissene Elsa, Rúni Brattaberg überzeugte als König Heinrich, Karsten Mewes gab einen soliden Telramund. Judith Németh holte wieder einmal alles – und noch etwas mehr – aus ihrer Ortrud-Partie heraus, Thomas Berau war als Heerrufer stimmlich wie szenisch überragend. Nur mit dem arg nasalen István Kovácsházi wurde man nicht wirklich glücklich. Sein Lohengrin klang ein wenig wie seine Rolle, recht farblos und eindimensional.