Interpol

"Der Fall Dogan Akhanli ist leider kein Einzelfall"

Der in der Türkei geborene deutsche Schriftsteller Dogan Akhanli, aufgenommen am 21.08.2017 in Madrid.
Der in der Türkei geborene deutsche Schriftsteller Dogan Akhanli sitzt immer noch in Spanien fest und kann das Land nicht verlassen. © dpa, Emilio Rappold
Katrin Kinzelbach im Gespräch mit Ute Welty  · 26.08.2017
Der Fall des deutschen Schriftstellers Dogan Akhanli zeige, wie leicht autoritäre Regierungen die internationale Polizeibehörde Interpol missbrauchen könnten, kritisiert die stellvertretende Direktorin des Global Public Policy Instituts, Katrin Kinzelbach.
Interpol hat den Dringlichkeitsvermerk für den deutschen Schriftsteller Akhanli gelöscht. Er war in Spanien während seines Urlaubs festgenommen worden, weil die Türkei einen Haftbefehl gegen ihn ausgestellt hatte. Der Autor kann Spanien aber bisher noch nicht verlassen, sagte sein Anwalt.

Bei politischer Verfolgung nicht erlaubt

"Leider ist der Fall auch kein Einzelfall", sagte die stellvertretende Direktorin des Berliner Global Public Policy Instituts, Katrin Kinzelbach, im Deutschlandfunk Kultur. Autoritäre Regierungen führten immer wieder kriminelle Delikte als Vorwand an und verlangten von Interpol das Ausstellen einer sogenannten "Rotecke". Dabei handelt es sich um einen Dringlichkeitsnachweis, der international als "Red Notice" bezeichnet wird. Kinzelbach sagte, eine solche "Rotecke" sei in Fällen politischer Verfolgung, wie im Fall von Alkanli, eigentlich nicht erlaubt.

Der Fall Bill Browder

Es sei schwer zu sagen, wie häufig es solche Vorfälle gebe. Die rund 10.000 Gesuche im Jahr, die Interpol weiterleite, seien in der Regel nicht öffentlich. Aber einige Fälle seien bekannt geworden. "Der vielleicht bekannteste Fall ist der eines britischen Geschäftsmannes, Bill Browder, der gleichzeitig ein sehr prominenter Kritiker von Menschenrechtsverletzungen in Russland ist", sagte Kinzelbach. Gegen Browder sei 2013 erstmals eine "Rotecke" ausgestellt worden und aufgrund des Protests bald wieder zurückgenommen worden. Erst vor wenigen Tagen sei bekannt geworden, dass Russland Interpol erneut aufgefordert habe, eine "Rotecke" auszustellen. "Das heißt, da werden immer wieder Versuche gemacht, trotz internationaler Proteste." Kinzelbach erinnerte auch an den Fall des ägyptischen Journalisten Ahmed Mansur, der 2015 am Flughafen Berlin-Tegel aufgrund einer "Rotecke" von Interpol vorübergehend festgenommen worden war.

Kritik an Unions-Forderung

Trotz solcher Vorfälle widersprach Kinzelbach Forderungen aus der Unionsfraktion, im Zuge einer Reform von Interpol bestimmte autoritäre Staaten auszuschließen. "Ich würde das als Ausdruck der politischen Empörung werten und nicht als wohlüberlegten Vorschlag", sagte sie. Bei Interpol seien 190 Staaten organisiert und diese internationale Organisation könne nur funktionieren, wenn sie global aufgestellt sei. (gem)

Das Interview im Wortlaut:

Ute Welty: Genau eine Woche ist es jetzt her, dass der deutsche Schriftsteller Dogan Akhanli aufgrund eines türkischen Haftbefehls von spanischen Polizisten festgesetzt wurde. Akhanli kam frei, darf aber Spanien nicht verlassen, denn noch kann die Türkei die Auslieferung beantragen. Allerdings hat Interpol den türkischen Dringlichkeitsvermerk, die "red notice", inzwischen gelöscht. Die Diskussion über die Zukunft der internationalen Polizeibehörde ist damit aber noch lange nicht vom Tisch und wir auch im Global Public Policy Institute in Berlin geführt. Stellvertretende Direktorin des Forschungsinstitutes für Sicherheitsfragen und Polizeiarbeit ist Katrin Kinzelbach. Guten Morgen!
Katrin Kinzelbach: Guten Morgen!
Welty: Ist Interpol im Fall Akhanli missbraucht worden?
Kinzelbach: Ja, das kann man so sagen. Leider ist der Fall auch kein Einzelfall. Immer wieder führen autoritäre Regierungen Vorwände an, also kriminelle Delikte, und fordern von Interpol die Ausstellung einer sogenannten Rotecke, die eigentlich bei Fällen politischer Verfolgung wie im Fall von Herrn Akhanli nicht erlaubt ist.
Welty: Warum wird da nicht eingeschritten? Hätten die Spanier beispielsweise einfach nein sagen können?
Kinzelbach: Ja, das hätten sie tun können, wenn sie verstanden hätten, dass es sich hier um einen Fall politischer Verfolgung handelt. Das ist nicht immer ganz einfach zu durchdringen, denn es werden natürlich kriminelle Delikte vorgeschoben, zum Beispiel Raubüberfall, manchmal auch Tötungsdelikte oder Drogenhandel, und insofern müssen diese Gesuche sehr ausführlich geprüft werden. Das ist im Ausland nicht immer so leicht. Das macht sowohl Interpol als auch eigentlich die nationale Verbindungsstelle. In Deutschland ist das das BKA.

Auf dem Papier korrekt

Welty: Das heißt, in diesem konkreten Fall ist was passiert? Ein Versagen, ein Versehen?
Kinzelbach: Ein Versehen. Es fehlte auch von Interpol der sogenannte Artikel-Drei-Hinweis, der also darauf hindeutet, dass es sich um einen Fall politischer Verfolgung handeln könnte. Insofern haben die Spanier hier erst mal nach dem Papier gesprochen, korrekt gehandelt. Allerdings weiß man natürlich im Falle der Türkei, dass dort momentan eine starke Verschlechterung politisch stattfindet, und insofern hätten auch die Spanier hellhörig werden können und diesen Fall doch noch eingehender prüfen müssen.
Welty: Was darf Interpol, was muss Interpol tun, wenn so eine "red notice" die Polizeibehörde erreicht?
Kinzelbach: Interpol prüft diese Gesuche, allerdings haben sie natürlich keine Mittel zur unabhängigen Beweisaufnahme. Das heißt, der Text wird geprüft, ob also formal gesehen ein Haftbefehl ausgestellt wurde, ob Beweise angeführt werden können und ob der Vorwurf politischer Natur ist. Wenn das nicht der Fall ist, dann wird die Rotecke in der Regel ausgestellt.
Welty: Wenn Sie sagen, das ist kein Einzelfall gewesen, was jetzt bei Akhanli passiert ist – in welcher Größenordnung bewegen wir uns da? Wie oft kommt das vor, dass im Grunde genommen politisch motivierte Verhaftungen durchgeführt werden sollen mit dem Vorwand einer Straftat?
Kinzelbach: Das ist sehr schwer zu sagen, denn die Gesuche, die Interpol weiterleitet, sind ja nicht öffentlich in der Regel. Mehr als 10.000 Gesuche im Jahr ungefähr, da wissen wir einfach nicht genau, wie viele derartiger Fälle unter denen schlummern. Es sind einige Fälle bekannt geworden. Der vielleicht bekannteste Fall ist der eines britischen Geschäftsmanns, Bill Browder, der gleichzeitig ein sehr prominenter Kritiker von Menschenrechtsverletzungen in Russland ist. Gegen ihn ist 2013 erstmals eine Rotecke ausgestellt worden.
Dann gab es viel Protest. Die Rotecke ist zurückgenommen worden, und jetzt vor wenigen Tagen ist bekannt geworden, dass Russland also erneut Interpol aufgefordert hat, eine Rotecke auszustellen. Das heißt, da werden immer wieder Versuche gemacht, trotz internationalen Protestes. Es sind auch andere türkische Fälle bekannt. Hier in Deutschland hatten wir es 2015 mit einem ägyptischen Journalisten zu tun, wo auch nicht richtig geprüft worden war und es zu einer kurzfristigen Festnahme gekommen ist. Die Größenordnung ist schwer zu benennen, aber das Prinzip ist bekannt.

Debatte über Sinn und Zweck von Interpol nötig

Welty: Ist diese Rotecke, die "red notice", das schärfste Instrument, was Interpol zur Verfügung steht?
Kinzelbach: Ja, es gibt natürlich noch andere Formen des Informationsaustausches, die aber nicht auf Haft ausgerichtet sind. Insgesamt muss man noch mal festhalten, dass Interpol die Haft ja nicht veranlasst, sondern nur Informationsaustausch betreibt und es dann wirklich die nationalen Behörden sind, die entscheiden müssen, wie sie weiter vorgehen.
Welty: Aus der Unionsfraktion wurde jetzt die Forderung laut, man müsse bestimmte Staaten aus dem Netzwerk entfernen. Ist vorstellbar, dass eine Reform auch diesen Punkt beinhaltet?
Kinzelbach: Also ich würde das als Ausdruck der politischen Empörung werten und nicht als wohlüberlegten Vorschlag. In Interpol sind ja 190 Mitgliedsstaaten organisiert. Es ist eine weltweite Organisation, die auch nur funktionieren kann, wenn sie eben global aufgestellt ist. Die Türkei – in dem Zusammenhang wurde ja diese Forderung laut – ist sicherlich nicht der einzige Mitgliedsstaat, der rechtsstaatliche Prinzipien und auch die Menschenrechte nicht achtet. Insofern hätten wir es dann wirklich mit einer Zerschlagung von Interpol zu tun. Das halte ich nicht für sinnvoll. Man sollte eher die politische Auseinandersetzung darüber führen, was eigentlich Sinn und Zweck von Interpol ist und auf diesem Wege den Einfluss autoritärer Staaten und ihre Versuche, das System zu missbrauchen, zurückzudrängen.

Gute Entwicklung

Welty: Wie muss Interpol denn umgestaltet werden, um ebenso sicher wie effektiv arbeiten zu können?
Kinzelbach: Also die gute Nachricht ist, dass der derzeitige Generalsekretär, ein Deutscher, Jürgen Stock, ehemaliger Vizepräsident des BKA, bereits einiges auf den Weg gebracht hat, um Interpol besser aufzustellen, und vor Kurzem ist auch die sogenannte Datenkontrollkommission gestärkt worden, also eine Kommission, die Fälle überprüft und auch Beschwerden annimmt. Ich halte das alles für eine sehr gute Entwicklung.
Man könnte natürlich auch darüber nachdenken, noch Personal aufzustocken, aber zentral wird, wie gesagt, die politische Auseinandersetzung sein, und da sind die Mitgliedsstaaten gefordert. Deutschland sollte im Rahmen der Generalversammlung also deutlich machen, dass die Unterstützung von Interpol, für die wir ja auch finanziell einiges zahlen, nur dann erfolgen kann, wenn es also ein gemeinsames Verständnis gibt, für welche Fälle diese Organisation genutzt werden kann, und man muss auf jeden Fall darauf achten, dass die zentralen Posten, also der Generalsekretär, aber auch der Präsident, von Personen besetzt werden, die rechtsstaatlichen Prinzipien verpflichtet sind. Und da mache ich mir schon Sorgen, dass der aktuelle Präsident Interpols ein chinesischer Polizist und Beamter ist.
Welty: Die Zukunft von Interpol – darüber habe ich gesprochen mit Katrin Kinzelbach vom Global Public Policy Institute in Berlin, und ich danke herzlich für die Informationen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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