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Norwegen
Paddeln im Fjord

Steile Berge, tiefe Fjorde, magisches Licht: Norwegens Natur begeistert Touristen und Einheimische gleichermaßen. Wer die Landschaft besonders intensiv erleben möchte, steigt ins Kajak – auch weil nicht jeder Ort ans Straßennetz angebunden ist.

Von Dieter Wulf | 30.05.2019
Kajakfahrer in einem norwegischen Fjord
Kajakfahrer in einem norwegischen Fjord (volkerwartmann.de)
"Ja, wir sind jetzt hier im Fyksefjord, das ist ein kleiner Seitenarm vom Hardangerfjord. Es zieht sich ziemlich eng zusammen, so dass die Wände auch ziemlich steil sind, hinten zu, und wir haben auch einige Wasserfälle", erklärt uns Lutz Müller, der seit über 20 Jahren Paddeltouren in norwegischen Fjorden anbietet.
Von der Küste sind wir etwa anderthalb Stunden landeinwärts gefahren, immer entlang des Hardangerfords, der knapp 180 Kilometer ins Land hinein reicht. Damit ist er der viertlängste Fjord weltweit. Rechts und links des Wassers schieben sich die Berge hunderte Meter steil in den Himmel. Wir sind sechs Paddler und gleich, wie das unter Paddlern üblich ist, per Du. Diese unglaubliche Landschaft, erklärt uns Lutz, entstand in der letzten Eiszeit.
"Die Gebirge gab es schon. Es gab da auch Flussläufe, und dann hatten wir einen fast zehn Kilometer dicken Eispanzer hier in Skandinavien, und dieses Eis bewegte sich Richtung Meer, und in diesen Flusstälern fing das dann an zu arbeiten, schob dann so Geröll vor sich her. Man sieht es auch teilweise recht schön an den steilen Fjordwänden, wo so Riefen sind, als wenn jemand da lang gekratzt hat, das war eben halt Eis, das waren Geröllmassen, die dort diese Riefen hinterlassen haben, also, das müssen irrsinnige Kräfte gewesen sein, die diesen harten Stein so aushobeln."
Während wir die Boote für unsere erste Tour vorbereiten, fängt es leicht an zu regnen. Ja, meint Lutz lachend, das hier sei nun mal die feuchteste Gegend Norwegens.
"Aber hier kann man auch paddeln, und das ist ja auch ganz gut, dass das Wasser da ist, so ist alles wunderschön grün und wir haben die Wasserfälle. Die wären ja ohne Wasser auch nicht da. Also das eine bedingt schon das andere."
Paddeln ist Teamwork
Dann, bevor es endgültig losgeht, noch ein letzter Hinweis.
"Grundsätzlich: Paddeln ist Teamwork. Das heißt, wir gucken erst mal aufeinander und gucken auch mal, wo eine fehlende Hand fehlt. Das heißt, wenn wir jetzt die Boote einsetzen, ist am besten, immer die Boote zu viert zu nehmen. Dann beim Anlanden genau das Gleiche, möglichst sich gegenseitig helfen, Paddel annehmen, gucken, dass das Boot sicher ist, und die Tour ist immer dann zu Ende, wenn alle Personen, alles Material sicher an Land steht. Aber solange noch Leute auf dem Wasser sind, würde ich euch immer bitten, dazubleiben und zu helfen."
Dann geht es los. Langsam fahren wir hinein in den Fyksefjord, einen Seitenarm das Hardangerfjords.
Rechts und links fallen die Berge steil ab und erlauben es Wasserfällen, über hunderte Meter hinabzustürzen. Eine Landschaft, wie sie idyllischer, faszinierender, aber auch einsamer nicht sein könnte. Als wir am Ende des Fjords anlanden, warten nur ein paar verlassene Häuser auf uns. Alle, die hier wohnten, erzählt uns Lutz, wanderten zusammen als Dorf Anfang des 20. Jahrhunderts nach Amerika aus. Warum, werden wir später genauer erfahren.
Eine Nacht in Jurten
"Es gibt keine Straßenanbindung. Man kommt hier tatsächlich nur entweder zu Fuß her oder halt mit dem Boot, hier halt mit dem Kajak. Touristen kommen hier in der Regel nicht her, ein kleiner 'Hidden Champion' für mich."
Auf dem Rückweg haben wir Glück. Der Regen hat aufgehört, und die abendliche Sonne kommt nochmal heraus. Übernachtet wird in Osa am Ende eines anderen Seitenfjords in Jurten, wie man sie aus der Mongolei kennt.
Der Regen, der jetzt wieder eingesetzt hat, ist unüberhörbar. Am nächsten Morgen gibt es Pfannkuchen mit selbstgemachter Marmelade.
"Das ist vom Löwenzahn, Blume gemacht, schmeckt ein bisschen wie Honig. Das ist die schwarze Apfelbeere oder lateinisch aronia , sehr kräftig. Das sind wilde Pflaumen, Marmelade, und dieses hier ist von Nadeln vom Tannenbaum hergestellt, schmeckt ein bisschen sauer, süßsauer, das ist wegen dem Überfluss von Vitamin C. Also, Tannenbaumnadeln sind immer sehr gut für Vitamin C, lassen Sie es sich schmecken", wünscht uns Robert Kusharto, der hier ein ganz besonderes Programm für Naturliebhaber entwickelt hat. Vor einigen Jahren hat der Belgier sich hier niedergelassen.
"Ich liebe die Natur, und ich möchte auch mehr in der Natur tun. Das geht nicht in Belgien, da gibt's eigentlich keine Natur mehr, und hier ist noch wirklich freie Natur, und mein Wunsch war irgendwohin zu gehen, wo ich in der Natur etwas tun konnte und damit auch mein Brot verdienen."
Bei ihm kann man in Kursen lernen, wie man Feuer macht, sich von Beeren und Kräutern ernähren kann, und man lernt nebenbei in seinem alten urigen Café, wo er die Pfannkuchen für uns brutzelt, die Geschichte dieses Ortes.
"Dieses Café ist gebaut 1918. Das war das Café für die Arbeiter, 2.200 Arbeiter die hier gelebt haben. Jetzt sind es nur ein paar Häuser, aber ich kann euch Bilder zeigen, wo das eine ganze Stadt war mit nur Baracken zum Schlafen, Schule, das ganz voll gebaut mit Häusern. Diese Geschichte erzählen wir. Das ist alles weg, aber eine sehr, sehr interessante Geschichte."
Extreme Kontraste
Eine ganze Stadt hatte man hier geplant rund um ein riesiges Kraftwerk. 1912 fing man an und wollte über riesige Tunnel und das herabstürzende Wasser Strom erzeugen. Einige der Schächte sind noch im Berg zu sehen, aber sonst gibt es hier außer diesem romantischen Café fast nichts mehr. Außer eben diese überwältigende Natur von der auch Lutz, unser Reiseleiter nach über 20 Jahren Norwegen immer noch mit Begeisterung schwärmt.
"Diese Kontraste sind in Norwegen extrem stark, die klare Luft, das Licht gerade in den Fjorden, auch das wechselnde Licht, schnell ziehende Wolken. Mal so einen Lichtfleck. Man hat Weltuntergangsstimmung und dann hat man auf einmal so einen Spot von einem Lichtschein auf dem Berghang, so was finde ich ganz toll."
Paddeln in norwegischen Fjorden
Paddeln in norwegischen Fjorden (volkerwartmann.de)
Am nächsten Tag sind auf einem Campingplatz in der Nähe von Norheimsund, wo uns der Besitzer Geiermund Nes am Rande des Campingplatzes zu einem alten Holzhaus führt, das die Geschichte seiner Familie, aber auch die Geschichte des Lebens hier am Fjord erzählt.
"Das gehört meiner Familie seit 1620, jedenfalls ist das der Ursprung, den wir kennen. Hier haben zwölf Generationen gelebt."
Der 64-Jährige führt uns sichtlich stolz in das alte Holzhaus.
"So, hier ist die Vorstube. Immer dunkel in solchen alten Häusern. In einem Zimmer wie diesem hat der Norweger ungefähr 1.000 Jahre gelebt, und es ist ein Typ von Konzentration von den Lebensverhältnissen. Da ist der Haupttisch, wo die größte Familie zusammen saß. Hier ist die Küche, da ist das Schlafzimmer so alles, das ganze Leben findet statt in einem Zimmer kann man sagen."
Dann erklärt uns Geiermund Nes, warum diese alten Blockhäuser so viele Jahrhunderte überstehen konnten.
"Hier sind diese Balken, die waren riesig, aber das meiste das Holz selber musste abgehobelt werden, weil nur der Kern davon konnte sich gegen die kleinen Insekten, die das Holz fressen. Die Kombination von dem Rauch, dem Kamin und dem Kernholz, das ist der Grund, warum es so lange hier gestanden ist."
Ein Dorf wandert aus
Und dann erzählt uns Geiermund die Geschichte von Botne, dem kleinen verlassenen Geisterdorf, das wir mit unseren Booten besucht hatten.
"Botne war ja ein Kulturerbe in der Vergangenheit, wo die erste Hardangerfidel, also unser Nationalinstrument erstmals, die Tanztradition aufgenommen wurde. Es war gar nicht so isoliert damals als jetzt."
Damals, das war die Zeit bis Anfang des 20. Jahrhunderts, als es hier noch nirgendwo Straßen gab. Jeder Handel, überhaupt alles am Fjord, wurde mit Booten organisiert. Als dann die Straßen kamen, war man sich in Botne ganz sicher, dass auch sie am Ende des Fyksefjords eine Verbindung bekämen.
"Die Leute in Botne hatten sogar ein Hotel aufgebaut in der Vermutung, dass ein Weg dort vorbeikommen müsste, und dann ist das Hotel verbrannt und dann sind einige Kinder im Fjord ertrunken, und die Leute fühlten sich plötzlich ziemlich isoliert… und dann hatten sie sich kollektiv entschieden nach Amerika auszuwandern."
Der Eidfjord, ein Teil des Hardangerfjords, mit Spiegelung der Berge
Der Eidfjord, ein Teil des Hardangerfjords, mit Spiegelung der Berge (imago / Chromorange)
Sie waren nicht die Einzigen. Mehrere hunderttausend Norweger wanderten damals in die USA und nach Kanada aus. Das ist mittlerweile natürlich ganz anders. Norwegen ist heute eines der reichsten Länder der Welt und Einwanderungsland geworden. Nur die Landschaft, die habe sich natürlich nicht geändert, meint Geiermund Nes.
"Ich denke, unsere Landschaft hat uns immer sehr tief beeinflusst. Die Gebirge gehen bis 1.600 Meter, und die Hälfte von der Höhe ist immer in der Tiefe vom Fjord runter. Normalerweise ist das Verhältnis zwischen der Höhe vom Gebirge und die Tiefe vom Fjord ist die Hälfte sozusagen."
"Du musst erst mal nass werden"
Das heißt: Bei 1.600 Metern, die die Berge hier aus dem Wasser ragen, kann man davon ausgehen, dass der Fjord, der an manchen Stellen nur einige hundert Meter breit ist, 800 Meter in die Tiefe reicht. Was wiederum bedeutet, dass es nur ganz wenige Brücken gibt, die die Fjorde überqueren. Genau das aber haben wir jetzt am letzten Tag noch mal vor. Das Queren des Fjords mit unseren Kajaks. Alle freuen sich jetzt, noch mal aufs Wasser zu kommen.
"An einer ziemlich ungewöhnlichen Stelle neben der Fähre setzen wir jetzt die Boote ein und ich freue mich ziemlich, denn wir queren heut mal den Hardangerfjord. Auf der anderen Seite sehen wir unter den Wolken noch die Berge herausgucken, auf denen ziemlich viel Schnee liegt, sehr schön."
"Du bist in so einem Seekajak so wasserdicht verpackt. Das einzige Problem ist, du kommst nicht trocken rein, du musst einfach erst mal nass werden."
Dann geht es doch los, raus auf den Fjord, den wir langsam queren. Etwas Wind und einige Wellen sind dabei. Mit langsamen Paddelschlägen geht es voran, immer mit dem Blick auf eine Naturlandschaft die einem den Atem stocken lässt. Jetzt fällt mir ein, was Lutz mir vorher erzählt hatte:
"Beim Paddeln, diese rhythmische Bewegung, dieses Naturerlebnis, dieses ganze Paket zusammen, hab ich immer das Gefühl, hinterlässt so eine ganz tiefe Zufriedenheit und auch lange Erinnerungen an diesen Urlaub."
Ich jedenfalls bin begeistert. Bei den anderen hört sich das nach der Rückkehr dann so an.
"Das Feeling ist klasse, die Wellen waren super. Hohe Wellen, kalter Wind, es war toll."
"Einfach nur geilomat."