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Mein Klassiker
"Ein sehr düsteres, aber auch amüsantes Buch"

Das aktuelle Projekt des tschechischen Schriftstellers Jaroslav Rudiš' ist die musikalische Umsetzung seines Lieblingsromans von Franz Kafka: "Das Schloss". Der Roman fesselt ihn, weil er das Gefühl des Protagonisten gut kennt: Als Fremder in ein Dorf zu kommen - und zu wissen, dass man dort nichts verloren hat.

Von Anette Selg | 24.06.2014
    Der tschechische Schriftsteller Jaroslav Rudiš posiert in Leipzig auf der Leipziger Buchmesse.
    Der tschechische Schriftsteller Jaroslav Rudiš (picture-alliance/dpa/ Jens Kalaene)
    "Mein Name ist Jaroslav Rudiš. Ich bin Schriftsteller, Drehbuchautor und ab und zu auch Musiker. Ja, mein Klassiker, das ist "Das Schloß" von Franz Kafka. Ein Roman, zu welchem ich immer wieder zurückkehren muss sogar."
    Aus "Das Schloß":
    Es war spät abends als K. ankam. Das Dorf lag in tiefem Schnee. Vom Schloßberg war nichts zu sehn, Nebel und Finsternis umgaben ihn, auch nicht der schwächste Lichtschein deutete das große Schloß an. Lange stand K. auf der Holzbrücke die von der Landstraße zum Dorf führt und blickte in die scheinbare Leere empor.
    "Allein, diese Geschichte : Ein Fremder kommt in ein verschneites Dorf am Ende der Welt. Ich kenne dieses Gefühl sehr gut. Man kommt in eine Stadt und man kommt in eine Kneipe rein und du bist der Fremde dort. Du kuckst dir die Leute an, die kucken dich an, und du weißt, du hast hier nichts zu suchen."
    Aus "Das Schloß":
    Im Ausschank, einem großen, in der Mitte völlig leeren Zimmer, saßen an den Wänden ... einige Bauern ... Nur mit den Blicken verfolgten sie den Eintretenden, aber langsam und gleichgültig. Trotzdem übten sie, weil es so viele waren und weil es so still war, eine gewisse Wirkung auf K. aus.
    "Diese Figur von diesem Landvermesser wird mir immer sympathischer. Ein Mann, der ziemlich viel hinter sich hat, sehr viele Geheimnisse mit sich trägt, wir wissen nicht so viel über ihn. Der kommt da noch mit ein bisschen Kraft in dieses Dorf, und nach ein paar Tagen ist er völlig fertig. Der verliebt sich in so eine Frau, die ihn fertigmacht, also in diese Frieda."
    Aus "Das Schloß":
    Der Wirt konnte das Zimmer noch gar nicht verlassen haben, schon hatte Frieda das elektrische Licht ausgedreht und war bei K. unter dem Pult, "Mein Liebling! Mein süßer Liebling!" flüsterte sie, aber rührte K. gar nicht an, wie ohnmächtig vor Liebe lag sie auf dem Rücken und breitete die Arme aus, die Zeit war wohl unendlich vor ihrer glücklichen Liebe ... Dann ... fing sie an wie ein Kind ihn zu zerren: "Komm, hier unten erstickt man ja", sie umfassten einander, der kleine Körper brannte in K.'s Händen, sie rollten in einer Besinnungslosigkeit, aus der sich K. fortwährend aber vergeblich zu retten suchte, ein paar Schritte weit, ... und lagen dann in den kleinen Pfützen Bieres und dem sonstigen Unrat, von dem der Boden bedeckt war.
    "Insgesamt ist das ein sehr düsteres, aber auch sehr amüsantes Buch. Es wird auch sehr viel Bier getrunken, wie wir das auch sehr gut können in Tschechien. Auch der K. trinkt sehr viel."
    Aus "Das Schloß":
    Sollte das Kognac sein?" fragte sich K. zweifelnd und kostete aus Neugier. Doch, es war Kognak, merkwürdiger Weise, und brannte und wärmte. Wie es sich beim Trinken verwandelte, aus etwas das fast nur Träger süßen Duftes war in ein kutschermäßiges Getränk. "Ist es möglich?" fragte sich K., wie vorwurfsvoll gegen sich selbst und trank noch einmal . Da – K. war gerade in einem langen Schluck befangen – wurde es hell, das elektrische Licht brannte, innen auf der Treppe, im Gang, im Flur, außen über dem Eingang. Man hörte Schritte die Treppe herabkommen, die Flasche entfiel K.s Hand, der Kognak ergoß sich über den Pelz, K. sprang aus dem Schlitten, gerade hatte er noch die Tür zuschlagen können, was einen dröhnenden Lärm gab, als kurz darauf ein Herr langsam aus dem Hause trat.
    "Und ich finde auch schön, und das macht dieses Buch auch sehr zeitlos: Dieses Gefühl, in jedem tschechischen Dorf hat man eine Kneipe, die wie das Wirtshaus "Zur Brücke" in Kafkas Buch aussieht. Und über jeder Stadt gibt es so eine Art Schloss, Schlösschen oder mindestens eine kleine Burgruine. Und auch in jeder kleinen Stadt, in jedem Dorf hat man eine gewisse Oberschicht, die alle da im Griff hat. Und das ist so ein ewiges böhmisches Gefühl. Immer, wenn ich das Buch lese, sag ich mir, hei, so viel hat sich hier doch nicht verändert, in der Gegend, wo ich herkomme. Diese Geschichte könnte hier auch jetzt spielen."
    Jaroslav Rudiš, geboren 1972, ist ein tschechischer Schriftsteller, Drehbuchautor und Dramatiker. Sein (vierter Roman) "Vom Ende des Punks in Helsinki" ist im Frühjahr 2014 in deutscher Übersetzung erschienen. Ende 2013 lief die Verfilmung seiner Graphic Novel "Alois Nebel" in den deutschen Kinos an. 2012/13 hatte Jaroslav Rudiš die Siegfried-Unseld-Gastprofessur an der Humboldt-Universität zu Berlin inne.