Südsudan-Konflikt

"Es bedarf einer Lösung der Menschen"

Ein Foto des Kinderhilfswerks UNICEF zeigt drei Kinder in der südsudanesischen Stadt Mingkaman, während sie erschöpft darauf warten, als Hilfesuchende registriert zu werden.
Mehr als 375.000 Kinder mussten im Südsudan ihre Heimat aufgrund des Konflikts verlassen. © dpa picture alliance / Kate Holt/ Unicef Handout
Moderation: Ute Welty · 26.04.2014
Der ehemalige deutsche Botschafter im Sudan, Peter Mende, glaubt nicht, dass eine Aufstockung der UNO-Blauhelmtruppen die Gewalt im Südsudan stoppen kann. Nur eine politische Lösung innerhalb des Landes, die die verschiedenen Interessen der Stämme berücksichtigt, könne erfolgreich sein.
Ute Welty: Reich an Öl und trotzdem eines der ärmsten Länder der Welt und auch eines der jüngsten! Erst 2011 hat sich der Südsudan vom Sudan abgespalten und für unabhängig erklärt. Seitdem schwelt ein Konflikt, der inzwischen eskaliert ist. Hilfsorganisationen berichten von Vergewaltigungen und Lynchjustiz, Tausende sind getötet worden, Hunderttausende auf der Flucht. Die Vereinten Nationen haben zwar Blauhelme geschickt, der deutsche Menschenrechtsbeauftragte war gerade im Land, aber was nutzt das alles? Diese Frage stelle ich jetzt einem, der sich im Land auskennt. Lange Jahre war Peter Mende Botschafter im Sudan, bevor der Südsudan selbstständig wurde. Guten Morgen, Herr Mende!
Peter Mende: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Die Bilder aus dem Südsudan, die uns hier in Deutschland erreichen, sind brutal und grausam, die lassen keinen kalt und schon gar keinen, der sich im Sudan so auskennt und sich so verbunden fühlt. Wie nehmen Sie die Geschehnisse und die Meldungen darüber derzeit wahr?
Mende: Im Grunde genommen bin ich immer traurig, wenn ich diese Meldungen hier vor allem sehe, nicht höre, sondern sehe. Das Problem heutzutage ist, wir können es jeden Abend im Wohnzimmer haben, was bereits seit '83, seit Beginn des ersten Bürgerkrieges im Sudan leider, leider zur Geschichte dieses Teiles des Landes dazugehört.
Welty: Einen solchen Konflikt zu verstehen, dabei hilft es zu wissen, wer gegen wen kämpft. Ist das die Auseinandersetzung zwischen einem Präsidenten und seinem ehemaligen Vize, ist das die Auseinandersetzung zwischen Stämmen?
"Stammeszugehörigkeit ist entscheidend"
Mende: Wenn das so leicht zu beantworten wäre, hätte man vielleicht auch eher an Lösungen denken können. Tatsächlich spielt die Stammeszugehörigkeit aus meiner Sicht die Hauptrolle, und zwar - ich wiederhole es - das seit 30 Jahren. Es gibt bei den großen Stämmen, die wir schon gehört haben, die Dinka und die Nuer, und es gibt eben insgesamt wohl, sagen die Ethnologen, um die 90 Stämme mit unterschiedlichen Sprachen und unterschiedlichen Siedlungsbereichen.
Welty: Trotzdem die Frage, warum die Situation jetzt so eskaliert?
Mende: Das ist aus meiner Sicht furchtbar schwierig zu beantworten. Ich möchte mich nicht an diese Theorien anhängen, dass alles vom Öl abhängt oder Außenkräfte diesen Konflikt führen. Es ist wohl auch eine persönliche Fehde zwischen den beiden, die jetzt die Dinka und die Nuer leiten, das heißt, sie sind Staatschef und Regierungschef geworden.
Welty: Überrascht Sie die Massivität des Gewaltausbruchs oder sagen Sie, das hätte man schon ahnen können, schon auch beispielsweise in der Zeit, als ich Botschafter war?
Mende: Es gab immer Gewaltausbrüche in diesem Raum, mehr oder weniger groß, mehr oder weniger ursächlich auf Stammesthemen bezogen. Es gab immer den Kampf um Wasser, Weideland und Ackerland, das ist eine Tradition. Was neu ist in den letzten 30 Jahren, ist eben die moderne Bewaffnung, die Waffen, die in den Händen der Menschen sind und die zu diesen Massakern führen.
"Wirkung des deutschen Engagements schwer einzuschätzen"
Welty: Wenn die Fakten so offensichtlich auf dem Tisch liegen, wen sehen Sie denn dann in erster Linie in der Verantwortung, nicht gehandelt zu haben oder eben jetzt mehr handeln zu müssen?
Mende: Es gibt ganz sicher in jedem Bürgerkrieg Interessenten, die von außen auf die Kämpfe der Beteiligten schauen und möglicherweise - ich will mich fernhalten von allen Verschwörungstheorien - auch unterstützen. Das gilt auch für den jetzt offen ausgebrochenen, neu ausgebrochenen Konflikt im Süden des Sudans.
Welty: Was nützt in diesem Zusammenhang der Besuch des deutschen Menschenrechtsbeauftragten Christoph Strässer im Land?
Mende: Es ist gut, dass wir Interesse zeigen, das haben wir schon immer für den Sudan gezeigt, wir, die deutsche Regierung. Was es vor Ort bewirkt, ist sehr schwer einzuschätzen. Der Südsudan ist im Wesentlichen ein Bereich der internationalen NGOs, die dort tätig sind, die sich humanitär engagiert haben, die immer etwas für die Menschen getan haben, nur stoßen die jetzt an Grenzen. Und nur ein Halbsatz dazu: 5.500 UNO-Soldaten oder UNMIS-Soldaten werden ein Land, was zweimal so groß ist wie Deutschland, kaum befrieden können, wenn die Menschen es nicht wollen.
Welty: Das heißt, Sie sind wie Strässer der Meinung: mehr Militär?
Mende: Das gilt sicher nur für die wenigen städtischen Regionen, also für die Hauptstadt Juba und für die zwei, drei Provinzstädte, die jetzt in der Diskussion sind. Ich glaube nicht, dass man mit Militär in der Fläche - die Fläche besteht aus Savanne, aus Trockenwald, aus Regenwald -, dass man in der Fläche mit Militär aus anderen afrikanischen Staaten die Menschen zu friedlichem Verhalten bringen kann. Es bedarf einer Lösung der Menschen.
"Regierung muss Interessen ausbalancieren"
Welty: Einer Lösung der Menschen, die wie dann aussehen könnte?
Mende: Sie werden ihre Interessen besser erkennen müssen. Das ist eine Aufgabe der Regierung, die versuchen muss, die Interessen auszubalancieren. Und dann kommt natürlich das Stichwort Öl, natürlich das Stichwort Verteilung der Ressourcen auf die einzelnen Gruppierungen und die einzelnen Regionen des Landes. Und da kann das Ausland, da kann die internationale Gemeinschaft ganz sicher beratend zur Seite stehen.
Welty: Die Bilder gleichen sich ja, wenn wir an Ruanda denken, so warnt Human Rights Watch auch vor einem Völkermord im Südsudan. Ist das auch Ihre Befürchtung?
Mende: Ich glaube, nicht. Wir denken an einen anderen afrikanischen Staat, der in dem Zusammenhang gerne genannt wird, wo zwei große Volksgruppen aufeinander einschlugen mit dem furchtbaren Ergebnis der 800.000 Toten. Ich glaube es deshalb nicht, weil der Südsudan einmal größer ist und damit die Menschen nicht so eng aufeinander leben, und weil der Südsudan, wie ich eben sagte, in doch zahlreiche Stämme zerfällt und ein oder die zwei großen Hauptstämme gedämpft werden oder moderiert werden durch die Interessen der vielen kleinen, aber ebenfalls vorhandenen Stämme, wenn man schon die Ethnien, die Stämme als Ursache anschaut.
Welty: Wenn Sie mit Menschen aus dem Südsudan, aus dem Sudan reden, zeichnet sich da eine Figur ab, die die Situation entspannen könnte?
"Es gibt Krisen, die man nicht ad hoc lösen kann"
Mende: Das ist furchtbar schwer aus der Ferne zu sagen, das können auch die - soweit ich das lese und höre - internationalen Gruppen vor Ort bisher nicht richtig ausmachen, wer als Person infrage käme.
Welty: Das heißt, es gibt erst mal keine Möglichkeit, die Situation so, wie sie jetzt gerade ist, in den Griff zu bekommen?
Mende: Es gibt einfach Krisen, sagt der erfahrene Diplomat, die einer Zeit bedürfen, die man nicht ad hoc, wie wir Europäer es gerne sehen würden, ad hoc lösen kann. Hier braucht man Zeit, Geduld und ständiges Begleiten der dortigen politischen Kräfte.
Welty: Der Südsudan vor der Zerreißprobe. Einschätzungen zur Lage von Peter Mende, ehemals Botschafter im Sudan. Ich danke Ihnen sehr!
Mende: Danke Ihnen, Frau Welty! Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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