Internationale Politik

"Die Ukraine ist nicht Teil Russlands"

 Demonstranten auf dem Maidan, dem Platz der Unabhängigkeit in Kiew.
Für die EU: eine Gruppe von Demonstranten auf dem Maidan, dem Platz der Unabhängigkeit in Kiew. © Jan A. Nicolas / dpa
Andreas Schockenhoff im Gespräch mit Julius Stucke · 11.12.2013
Andreas Schockenhoff (CDU), Koordinator für deutsch-russische Zusammenarbeit, betont das Selbstbestimmungsrecht der Ukrainer. Er bezweifelt, dass die Zusammenarbeit mit der EU russische Interessen verletzen würde.
Julius Stucke: Mehr als 180 Seiten füllt der schwarz-rote Koalitionsvertrag, acht Kapitel. Eines davon, das siebte, trägt die Überschrift "Verantwortung in der Welt", und eine Seite, ein Unterkapitel ist explizit Russland gewidmet, dem Verhältnis von Deutschland und Russland. Das ist zwar nur eine von mehr als 180 Seiten. Das klingt jetzt wenig, es ist aber viel, denn keinem anderen Land wird ein expliziter Absatz gewidmet. Offener Dialog und breitere Zusammenarbeit mit Russland, so ist er überschrieben.
Wie passt das zu den verstimmten Tönen, die gerade in Sachen Ukraine, EU, Russland anklingen? Wie könnte, wie soll die deutsch-russischen Zusammenarbeit aussehen? Darüber habe ich am Anfang der Sendung mit Andreas Schockenhoff gesprochen, CDU Politiker und Koordinator der deutsch-russischen Zusammenarbeit, und ihn zuerst gefragt: Angesichts der aktuellen Lage in der Ukraine - die Polizei ist ja auf den Unabhängigkeitsplatz vorgerückt –, womit rechnet er denn? Eskaliert die Situation oder lässt es sich friedlich lösen?
Andreas Schockenhoff: Es ist vor allem vonseiten der Demonstranten bisher eine friedliche Demonstration, und darin liegt die große Stärke. Die Oppositionsführer, allen voran Vitali Klitschko, haben zur Besonnenheit aufgerufen, haben jede Provokation der staatlichen Macht zurückgewiesen. Darin liegt eben auch der starke politische Wille.
Es geht nicht um Randale, sondern es geht um eine klare Orientierung der Ukraine, während Janukowitsch die politische Führung laviert zwischen EU und Russland und damit zeigt, wie die Ukraine hin- und hergerissen ist zwischen ihren großen Nachbarn, ist die europäische Orientierung in der Bevölkerung eindeutig überwiegend. Das zeigen nicht nur die Demonstrationen auf dem Maidan-Platz.
"Wir wollen ein Zwischeneuropa vermeiden"
Stucke: Und diese Demonstrationen, die werden von der deutschen Politik unterstützt. Die deutsche Politik unterstützt die Opposition, geht damit ja automatisch auf Konfrontation mit Russland. Dimitri Medwedjew hat Guido Westerwelle Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Ukraine vorgeworfen. Das klingt eher nach offenem Schlagabtausch als nach offenem Dialog, oder?
Schockenhoff: Zunächst hat die Ukraine ein Selbstbestimmungsrecht, das die Menschen wahrnehmen wollen. Und klar wird, die Menschen in der Ukraine wollen nicht zurück unter Moskauer Bevormundung. Der massive Moskauer Druck auf die Ukraine macht deshalb deutlich, dass der bisherige Schlingerkurs der Regierung Janukowitsch nicht weiterführt, sondern das Land und die Region insgesamt in eine zunehmende Instabilität zeigt.
Deswegen muss sich die Ukraine jetzt entscheiden: Wir wollen ein Zwischeneuropa vermeiden, in dem es ein Hin und Her zwischen Russland und der EU gibt. Die Stabilisierung und die Stärkung unserer Nachbarschaft liegt in unserem vitalen Sicherheitsinteresse, im Interesse der Europäischen Union, aber gefragt ist die Ukraine selbst. Wir müssten der Ukraine eine klare europäische Orientierung geben.
Stucke: Herr Schockenhoff, aber wie passt das und wie passt dieses Handeln der letzten Zeit dann zu dem, was man in Sachen deutsch-russisches Verhältnis für die Zukunft plant?
Schockenhoff: Wir reden von zwei unabhängigen und souveränen Staaten. Die Ukraine ist nicht Teil Russlands, und es gibt auch keine privilegierten Einflusszonen mehr. Das Problem Russlands ist, dass Russland in einem alten Nullsummendenken verhaftet ist und den Eindruck erweckt, als ob eine engere Zusammenarbeit der Ukraine mit der EU die Macht Russlands beschränken würde oder gar russische Interessen verletzen würde. Das Gegenteil ist der Fall.
Eine engere wirtschaftliche Anbindung an den europäischen Binnenmarkt bietet auch der Ukraine, bietet auch für Russland große Chancen. Deswegen ist dieses Denken, was dir nützt, schadet mir, eigentlich im 21. Jahrhundert kein konstruktiver Beitrag für Wettbewerbsfähigkeit und für eine Modernisierung in Europa und in der östlichen Nachbarschaft Europas.
Andreas Schockenhoff
Andreas Schockenhoff© schockenhoff.de
Stucke: Aber es macht doch das Verhältnis zwischen Deutschland und Russland gerade nicht einfach?
"Russland ist geprägt vom alten Nullsummendenken"
Schockenhoff: Aber das liegt nicht an Deutschland. Deutschland hat Russland immer eine Modernisierung angeboten. Wir haben immer gesagt, dass wir kein Zwischeneuropa wollen zwischen Russland und der EU, und dass wir auch mit Russland enger kooperieren wollen. Übrigens stammt der Vorschlag einer gesamteuropäischen Freihandelszone von Wladiwostok bis Lissabon von Putin selbst.
Und wenn dann in der Mitte mehr wirtschaftliche und politische Integration vorangetrieben wird, dann ist das doch ein Beitrag zu diesem großen Vorhaben, das Putin selbst ins Spiel gebracht hat. Und es geht nicht darum, dem einen Einfluss zu nehmen, um dem anderen mehr Einfluss zu sichern. Die Ukraine ist kein Spielball.
Russland ist geprägt vom alten Nullsummendenken, das in einer vertraglichen Bindung der Ukraine oder anderer Staaten an die EU einen Machtverlust sieht. Wir sehen darin die Chance, eine gemeinsame Ordnung, auch gemeinsam mehr Sicherheit zu schaffen, und deswegen sind Drohkulissen eben kein konstruktiver Beitrag zu einer guten Entwicklung.
Stucke: Sie haben das Thema Wirtschaft jetzt ein-, zweimal angesprochen. Ist denn diese explizite Erwähnung des deutsch-russischen Verhältnisses im Koalitionsvertrag, ist das zum großen Teil dem Thema Wirtschaft geschuldet, der wirtschaftlichen Zusammenarbeit.
Denn man kann so ein bisschen den Eindruck bekommen, es gibt hier zwei Ebenen. Es gibt die politische, auf der man eher kritisiert und auf der das Verhältnis gerade schwierig ist, und dann gibt es die wirtschaftliche, wo das Verhältnis eher offen und gut ist.
Schockenhoff: Nein, man kann das überhaupt nicht trennen. Zunächst ist es für die rein wirtschaftliche Entwicklung Russlands wichtig, dass Russland auf eine Bevölkerung setzt, auf eine kreative, kritische, eigenständige Bevölkerung und nicht nur auf Öl und Gas. Und andererseits steht im Koalitionsvertrag drin, dass wir eine kohärentere europäische Politik wollen.
Das heißt, dass wir nicht eine rein bilaterale Zusammenarbeit wollen, die ist auch wichtig, aber wir wollen eben, dass die EU mit einer Stimme spricht gegenüber Russland. Und wir haben in den Koalitionsvertrag ausdrücklich reingeschrieben, dass unsere Russlandpolitik den berechtigten Interessen unserer gemeinsamen Nachbarn, also gerade in der Region zwischen Russland und der EU Rechnung trägt.
Stucke: Das deutsch-russische Verhältnis. Dazu der CDU-Politiker und Russland-Koordinator Andreas Schockenhoff. Herr Schockenhoff, vielen Dank für das Gespräch!
Schockenhoff: Bitteschön, Herr Stucke, schönen Tag!
Stucke: Ja, Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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