Internationale Automobil-Ausstellung

Zwischen SUV und Smartphone

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IAA: Neue Automobile locken die Besucher in Scharen an © Imago
Stefan Bratzel im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 17.09.2015
Ab heute steht mit der Eröffnung der IAA wieder der Deutschen liebstes Spielzeug im Rampenlicht. Der Automobil-Experte Stefan Bratzel ist der Ansicht, dass Fortbewegung zunehmend über das Smartphone organisiert wird und plädiert für das autonome Fahren.
Nach Ansicht von Stefan Bratzel von der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch-Gladbach ist die Zukunft der Fortbewegung "inter-modal" und "verkehrsträgerübergreifend". Die Menschen würden zunehmend in "Mobilitätsketten" denken und ihre Fortbewegung per Smartphone organisieren, sagte er im Deutschlandradio Kultur. "Da spielt der öffentliche Verkehr, da spielt Car-Sharing, da spielen Taxi und U-Bahn eine wichtige Rolle", so der Leiter des Center of Automotiv Management.
Neue Technologien bieten Chancen für mehr Sicherheit und Umweltschutz
Zugleich werden aber nach wie vor jährlich Hunderttausende von SUVs verkauft. Bratzel räumte ein, dass sich das Mobilitätsverhalten nur in kleinen Schritten ändert. Hoffnungen setzt er auf politische Rahmenbedingungen und neue Technologien. Diese böten viele Chancen, um wichtige gesellschaftliche Ziele zu erreichen. So werde das autonome Fahren die Toten und Verletzten im Straßenverkehr erheblich reduzieren.

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Wenn Hoffmann von Fallersleben sein "Deutschlandlied" ein bisschen später geschrieben hätte, dann hätte er in der vierten Strophe vielleicht nicht den deutschen Wein oder die deutschen Frauen besungen, sondern ganz sicher – so nahe, wie er nun mal bei Wolfsburg geboren war – die deutschen Autos! Kein Land hat ein solch inniges Verhältnis zum Automobil und kein Land muss sich wahrscheinlich deshalb mehr daran gewöhnen, dass sich die gute alte Automobilität langsam, aber sicher verändert. Helfen könnte dabei die IAA, die Internationale Automobilausstellung, heute wird sie eröffnet in Frankfurt am Main. Und da gibt es erstmals eine neue Plattform, die New Mobility World, bei der die Ingenieure wahrscheinlich in der Minderheit sein dürften: Mobilitätsbedürfnisse der Zukunft, darum geht es. Die IT-Branche ist da groß vertreten, aber auch Städte und Carsharing-Anbieter zum Beispiel. Ja, wie sieht sie aus, die Mobilität der Zukunft? Darüber spreche ich jetzt mit Stefan Bratzel, er ist Professor an der Fachhochschule für Wirtschaft in Bergisch Gladbach und Leiter des Instituts Center of Automotive Management. Guten Morgen!
Stefan Bratzel: Schönen guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Tja, ist die Zukunft vielleicht gar nicht mehr in erster Linie Auto-mobil?
"Die Zukunft wird zunehmend intermodal sein"
Bratzel: Ja, in der Tat. Und da sehen wir erste kleine Pflänzchen auf der IAA. Ja, die Zukunft wird zunehmend eben intermodal sein, das heißt verkehrsträgerübergreifend. Die Menschen sozusagen müssen nicht immer nur ein Auto besitzen und dann nur mit diesem eigenen Auto fahren, sondern sind, ja, sie denken zunehmend in Mobilitätsketten. Und da spielt der öffentliche Verkehr, da spielt Carsharing, da spielt Taxi oder U-Bahn eine wichtige Rolle und da müssen sich die Automobilhersteller, auf dieses neue Mobilitäts- und auch Interaktionsverhalten, wo das Thema Smartphone oder Smartphonisierung eine Rolle spielt, einstellen.
Frenzel: Ja, sie müssen es. Aber andererseits müssen sie es offenbar nicht, ich habe extra noch mal nachgeguckt: Letztes Jahr wurden 540.000 SUVs verkauft, also so ungefähr das Gegenteil von Smart Mobility. Und wenn man das mal vergleicht, wenn man eine Vergleichszahl hat: Also, auf ein Elektroauto, das im letzten Jahr verkauft wurde, sind es 36 dieser SUVs. Das zeigt doch offenbar: Da gibt es irgendwie ein Pflänzchen Zukunft, was Sie beschrieben haben, aber so richtig geerntet wird es von den Verbrauchern nicht!
Bratzel: Ja, in der Tat, das ist noch ein, sagen wir mal, sehr schwieriges Verhältnis. Auf der einen Seite haben wir tatsächlich neue Fahrzeugaufbauformen wie SUVs, die werden geliebt, das muss man sagen. Nicht nur in Deutschland, auch in Wachstumsmärkten wie China sozusagen will man diese Sport Utility Vehicles haben, aber nicht nur die großen, es gibt ja mittlerweile auch die kompakten. Und auf der anderen Seite auch das Thema Elektromobilität, da war ja eine Rieseneuphorie vor einigen Jahren und jetzt, wenn man so will, haben wir marktmäßig den Gipfel der Ernüchterung erreicht. Aber das Thema Elektromobilität ist nicht tot, die Automobilhersteller arbeiten intensiv an der nächsten Batteriegeneration. Und sie müssen auch aus dem Thema CO2 hinaus versuchen, das Thema ... eben Grenzwerte, CO2-Grenzwerte erreichen.
Frenzel: Aber gerade diese CO2-Grenzwerte, die zeigen ja: Der Verkehr hat ein unglaubliches Wachstum erlebt, der individuelle Verkehr in den letzten 20, 30 Jahren. Also, während die Industrie ja CO2-Emissionen reduziert hat, sind sie um ein Drittel gestiegen im Verkehrsbereich. Haben Sie denn den Eindruck, dass wir mit diesen Sachen, die Sie da angesprochen haben – also mehr Carsharing und dergleichen –, dass wir das wirklich in den Griff kriegen?
"Das Mobilitätsverhalten ändert sich nicht schlagartig"
Bratzel: Ja, nun, wir müssen es in den Griff kriegen. Und diese Themen, wenn man so will, der öffentliche Individualverkehr mit Carsharing und Taxi-Apps und Ähnliches wird nur einen Teil liefern. Sicher ist in Städten, wenn man in Peking oder Shanghai unterwegs ist – und wir waren gerade mal wieder ein, zwei Wochen dort –, da erstickt man a) an der schlechten Luft und zum anderen sozusagen an Verkehrsstaus. Sicher ist sozusagen, dass die zukünftigen Verkehrsprobleme von Metropolen nur auch mit Massenverkehrsmitteln auch erledigt werden können. Und insofern dürfen wir sozusagen das Taxi nicht überhöhen, aber diese neuen Nutzungsformen bieten eben eine Möglichkeit, eine gewisse Form von Individualität bei der Fortbewegung auch noch hinzubekommen, ohne dass jeder ein eigenes Auto auch besitzen muss. Und das sind schon einige Vorteile. Aber schon richtig: Das Mobilitätsverhalten ändert sich nicht schlagartig, sondern nur, ja, in kleinen Schritten. Und wir müssen sehen, ob sozusagen die Verkehrsprobleme und die Mobilitätsprobleme uns nicht einholen, bevor sozusagen der Mensch es schafft, auch sein Verhalten zu ändern.
Frenzel: Wenn der Autofahrer so ungerne aussteigt aus seinem Auto, muss dann der Staat was tun, um ihm das zu erleichtern oder vielmehr das Autofahren zu vergrätzen?
Bratzel: Na, es muss auf jeden Fall entsprechende Rahmenbedingungen geben, die eben diese gesellschaftlichen Ziele wie Umweltschutz, aber auch eine lebenswerte Stadtumwelt schaffen. Das ist sicher. Ich meine, da wurde in den letzten Jahren schon einiges getan, wir haben eben die CO2-Grenzwerte beispielsweise angesprochen, da muss und wird auch noch mehr passieren. Das heißt, bei diesen 95 Gramm CO2, die schon hohe Schwellen auch sind für die Automobilhersteller, da wird es ja nicht bleiben. Es wird weitergehen und es muss auch weitergehen, wir müssen das Thema Sicherheit weiter verbessern, um weniger Verkehrstote zu haben, da spielt zum Beispiel auch ein weiteres Zukunftsthema der Messe, das Thema autonomes Fahren schon eine Rolle, wenn das Fahrzeug immer mehr auf den Fahrer und auf die Umwelt aufpasst, dann wird das schon die Verkehrstotenzahlen und auch Verletzten erheblich reduzieren. Das heißt, in neuen Technologien sind auch große Chancen drin, um eben wirklich interessante gesellschaftliche Ziele und wichtige gesellschaftliche Ziele zu erreichen.
Frenzel: Chancen, die man sich schon mal auf der IAA, auf der Internationalen Automobilausstellung anschauen kann, die heute beginnt. Stefan Bratzel, herzlichen Dank für das Gespräch!
Bratzel: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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