Intensive Augenblicke mit großen Literaten

15.11.2011
Er traf Jorge Luis Borges, Salman Rushdie und Heiner Müller: Der italienische Publizist Mario Fortunato schildert in essayistischen Prosastücken seine Begegnungen mit berühmten Schriftstellern - und liefert so einen heiteren Querschnitt durch das literarische Leben der vergangenen drei Jahrzehnte.
Es ist eine Porträtgalerie, eine kleine Schau etlicher berühmter Schriftsteller und ein privates Fotoalbum zugleich, das Mario Fortunato hier vor uns aufblättert. Mit beiläufiger Eleganz geschrieben, liefern seine Essays einen sehr heiteren Querschnitt durch das literarische Leben der vergangenen drei Jahrzehnte. Dabei beschränkt sich Fortunato nicht nur auf italienische Gefilde, sondern bezieht auch internationale Größen mit ein. Spaziergang mit Ferlinghetti nennt der Kenner der Szene, Jahrgang 1958, selbst Verfasser einer Reihe von Romanen, Journalist und um die Jahrtausendwende vier Jahre lang Leiter des Italienischen Kulturinstituts in London, seine Sammlung. Dass er sie lauter Kollegen widmet, hängt mit der Bedeutung zusammen, die diese Menschen für seinen eigenen Werdegang hatten. In der Tat schlägt er vor, den Band "wie einen Roman" zu lesen. Und so kann man Spaziergang mit Ferlinghetti auch verstehen: als einen Bildungsroman der besonderen Art.

Da begegnen wir dem gerade einmal 20-jährigen Fortunato, einem sich für die lateinamerikanische Moderne begeisternden Philosophiestudenten, wie er zitternd vor Ehrfurcht eine Veranstaltung mit Jorge Luis Borges aufsucht. Es kommt zu einer zweiten Begegnung mit dem großen argentinischen Dichter, dann bereits als Reporter des Wochenmagazins L'Espresso: dieses Mal hält der blinde Borges lange seine Hände und rät ihm, diese nicht an den Journalismus zu verschwenden, sondern etwas Anständiges damit anzustellen. Ein wegweisender Händedruck.

Ein anderer Essay erzählt von Salman Rushdie, den Fortunato kurz vor der Fatwa in London besucht. Mit dem mythischen Turiner Verleger Giulio Einaudi verband ihn ebenso wie mit dem Romancier Alberto Moravia eine innige Freundschaft. Beide Männer werden zu väterlichen Begleitern und echten Lehrern des Lebens. Außer bedeutenden Italienern, zu denen auch der skurrile Giorgio Manganelli und die unangepasste, herzerwärmende Natalia Ginzburg gehören, tauchen Gestalten wie Joseph Brodsky, Doris Lessing, Tahar Ben Jelloun, Paul Bowles, Amos Oz, Heiner Müller und sein deutscher Verleger Klaus Wagenbach auf.

Der Titel der Sammlung entpuppt sich allerdings als Chiffre. Zwar stattete Mario Fortunato dem Beat-Poeten Lawrence Ferlinghetti tatsächlich einen Besuch in San Francisco ab, aber sie saßen die meiste Zeit in dessen berühmter Buchhandlung City Lights Books und unternahmen metaphorische Spaziergänge, durch die Geschichte der amerikanischen Lyrik.

Der Reiz der Prosastücke liegt in dem sehr persönlichen Blickwinkel: Jeden der hier Porträtierten hat Mario Fortunato tatsächlich getroffen, mit manchen verband ihn eine enge Beziehung, mit anderen teilte er intensive Augenblicke. Die Texte sind mitunter kleine Werkeinführungen und liefern mehr als nur ein Bild des Künstlers. Zugleich entsteht ein Eindruck des literarischen Lebens in Rom, das vor allem aus geselligen Abendessen bestanden haben muss. Aber am wehmütigsten stimmt einen folgende Erkenntnis: Noch Anfang der 80er-Jahre gab es für ambitionierte und kluge Studenten nichts Größeres als Literatur.

Besprochen von Maike Albath

Mario Fortunato: Spaziergang mit Ferlinghetti
Aus dem Italienischen von Jan Koneffke
Schöffling & Co, Frankfurt 2011
349 Seiten, 22,95 Euro