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Terrorismus
"Nicht überall wo IS draufsteht, ist es auch drin"

Bei Paris hat ein Attentäter einen Polizisten und dessen Frau getötet. Ist es nun eine neue Art von Terror, dass zunehmend Einzeltäter aktiv werden? Nein, sagte der Terrorismusexperte Rolf Tophoven im DLF. Aber dass sich die Angreifer wie der Mann in Frankreich zunehmend auf die Terrororganisation IS berufen, sei neu.

Rolf Tophoven im Gespräch mit Christiane Kaess | 14.06.2016
    Der Terrorismus-Experte Rolf Tophoven.
    Die Angriffe von Einzeltätern erfahren eine Aufwertung, wenn sie im Namen des IS geschehen, meint Terrorismus-Experte Rolf Tophoven. (Imago / Mauersberger)
    Die Angriffe von Einzeltätern würden derzeit eine Aufwertung erfahren, wenn sie unter der Flagge des IS stattfänden, so Tophoven. Eine umfassende Identifikation der Täter mit der Terrororanisation sei trotzdem nicht immer gegeben: "Es ist vielleicht im Inneren der Täter nicht alles IS, was draufsteht", so Tophoven.
    Für die Behörden seien Einzeltäter im Vorfeld nur schwer zu entdecken. Wenn Angreifer aus der kompletten Anonymität zuschlagen, lasse sich das womöglich auch nicht durch die beste polizeiliche Aufklärung verhindern.
    Im Vergleich zu Deutschland sei Frankreich zudem schlechter aufgestellt als Deutschland, was die Terrorabwehr angehe. So hake es etwa beim Austausch sicherheitsrelevanter Daten mit dem Ausland, meint Tophoven. Außerdem gebe es ein höheres Gefährdungspotenzial durch Migranten in Frankreich.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Nach dem blutigen Ende einer Geiselnahme bei Paris mit drei Toten gehen die französischen Ermittler einem möglichen islamistischen Hintergrund nach, denn der Täter soll sich zur Terroristenmiliz Islamischer Staat bekannt haben. Er hatte in der Nacht in einem Pariser Vorort zunächst einen Polizisten erstochen, wobei er nach Zeugenberichten "Allahu Akbar" gerufen haben soll. Danach nahm er Frau und Kind des Polizisten als Geisel und verschanzte sich in deren Wohnung. Sondereinheiten der Polizei stürmten diese dann und töteten dabei den Geiselnehmer. Die Frau des getöteten Polizisten, die als Beamtin für das Innenministerium gearbeitet hatte, ist tot aufgefunden worden.
    Am Telefon ist jetzt der Terrorismus-Experte Rolf Tophoven. Guten Morgen, Herr Tophoven.
    Rolf Tophoven: Guten Morgen, Frau Kaess.
    Kaess: Herr Tophoven, dieser, ich nenne es mal in Anführungsstrichen, "neue Terror radikalisierter Einzeltäter", ist das jetzt das, womit wir uns in nächster Zeit beschäftigen werden müssen?
    Tophoven: Den radikalisierten Einzeltäter, Frau Kaess, hat es schon immer gegeben. Neu ist, dass viele dieser Täter in letzter Zeit sich für die Tat das Logo "Islamischer Staat" aufkleben, dass sie sozusagen sich in einer Art Aufwertung befinden, wenn sie unter dem Logo, unter der Kampfführung des Islamischen Staates hier kämpfen. Das hängt damit zusammen, dass der Islamische Staat schon seit längerem angebliche Kämpfer in Europa und in den USA aufgerufen hat, Einzelaktionen zu unternehmen, wie die Experten sagen als einsame Wölfe zu agieren, und das ist das Gefährliche. Es ist vielleicht im Innern der Täter nicht alles IS, was draufsteht bei der Tat, aber die Gefährdung für die Öffentlichkeit liegt darin, dass sehr vieles auch unter dem Schlagwort IS subsumiert wird.
    Kaess: Jetzt ist ja Frankreich besonders betroffen davon. Das Bild der französischen Sicherheitsbehörden ist nicht das Beste, um nicht zu sagen einfach schlecht. Zurecht?
    Tophoven: Das ist die Frage. Der Einzeltäter, ob sie ihn vorab aufklären und kennen, das ist eine sehr sensible Geschichte für die Sicherheitsbehörden. Es gibt das Wort des Präsidenten unseres Bundesverfassungsschutzamtes, Herrn Dr. Maaßen. Der sagte: "Das große Problem für uns sind jene Täter, die wir nicht auf dem Schirm haben." Das heißt, die plötzlich aus der Anonymität, aus der Deckung herauskommen und die Tat begehen. Das ist wahrscheinlich auch möglicherweise durch die beste polizeiliche Aufklärung kaum zu verhindern.
    "Das ist eine sehr, sehr schwierige Güterabwägung"
    Kaess: Dennoch ist es immer wieder so, dass Täter doch schon mal vorher irgendwo auf dem Radar der Sicherheitsbehörden waren. Wie können die denn überhaupt unterscheiden, wer wirklich gefährlich ist?
    Tophoven: Exakt das ist das Problem. Viele sind ja aus dem Drogenmilieu, aus der sogenannten Kleinkriminalität kommend, schon polizeilich vernommen worden. Man kannte sie, aber man hatte nicht jene Erkenntnisse, um sie in die terroristische Szene einzuordnen. Also ließ man sie laufen, oder sie wurden nach einer kurzen Haftstrafe freigelassen. Das ist immer das Problem bei Hunderten Anschlagsdrohungen, die Sie haben, bei Hunderten Gefährdern, sie jetzt so aufzuklären, dass die innersten Gedanken, die Tatvorbereitung jetzt für eine terroristische Operation erkannt wird. Das ist eine sehr, sehr schwierige Güterabwägung auch für die Polizeibehörden.
    "Wir sind ganz gut aufgestellt"
    Kaess: Noch kurz zum Schluss: Ist die Situation in Frankreich vergleichbar mit der in Deutschland?
    Tophoven: Wir haben eine völlig andere Sicherheitslage. Das hängt auch damit zusammen, dass wir in Deutschland seit dem 11. September 2001, was die Kenntnis über den militant-islamistischen Terrorismus betrifft, bei den Sicherheitsbehörden aufgerüstet haben. Wir sind ganz gut aufgestellt. In Frankreich ist eine andere Situation auch durch das riesige Potenzial an Migranten im Vergleich zu Deutschland und es fehlt auch wohl möglicherweise der polizeiinterne Austausch mit Behörden aus dem Ausland. Vieles fließt an Erkenntnissen von Frankreich nicht nach Deutschland; umgekehrt ist es da sicher besser.
    Kaess: ... sagt der Terrorismus-Experte Rolf Tophoven. Vielen Dank für diese Einschätzung heute Morgen.
    Tophoven: Gerne! - Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.