Integrationsprojekte in Bayern

Vielfalt in der Busgarage

13:13 Minuten
Ein traditioneller Trachten- und Schützenzug des Festrings München mit teilnehmenden Gruppen aus vielen Ländern am ersten Wiesn-Sonntag von der Innenstadt zur Theresienwiese, München, Bayern.
Eine Vielzahl von Integrationsprogrammen in Bayern möchte kulturelle Vielfalt fördern, zum Beispiel indem durch Begegnungen Vorurteile abgebaut werden. © imago images / Ralph Peters
Von Joseph Röhmel · 29.10.2019
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Die kulturelle Vielfalt zu fördern ist das Ziel einer ganzen Palette von Integrationsprogrammen in Bayern. Menschen ohne Migrationshintergrund sollen Vorurteile abbauen, damit Integration gelingen kann. Allerdings stößt diese Arbeit auch an Grenzen.
Eine dicht befahrene Straße mitten in München am Rosenheimer Platz. Ich bin verabredet mit Sozialarbeiter Iosif Gaspar von der Münchner Einrichtung Madhouse und einem Ehepaar, das er betreut: Petr und Sarina haben drei kleine Kinder, leben seit fünf Jahren in Deutschland und kommen aus Bulgarien. Sarina war gerade im Jobcenter – gemeinsam mit Gaspar, der dort für sie übersetzt hat:
"Jetzt sind wir fertig, ist alles gut gegangen. Bis November können wir die Dokumente vorbereiten für den neuen Bescheid. Schauen wir mal, wie es weitergeht."

Gaspar: "Wir sprechen eine Sprache"

Es regnet. Der Bulgare Petr hat einen Schirm aufgespannt. Er, seine Frau Sarina und Iosif Gaspar gehören zur größten ethnischen Minderheit Europas, den Roma. Gaspar kommt ursprünglich aus Rumänien. Mit dem bulgarischen Ehepaar kann er sich aber verständigen.
"Wir sprechen Romanes. Deswegen können wir uns unterhalten mit allen Roma europaweit, auch weltweit."

Abgeschottet in schwierigen sozialen Verhältnissen

In osteuropäischen Ländern werden Roma häufig als Menschen zweiter Klasse angesehen. Sie leben abgeschottet von der Mehrheitsgesellschaft, oft in schwierigen sozialen Verhältnissen. Viele Roma kommen in der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Deutschland, so wie Petr und Sarina. In Bulgarien fühlten sie sich diskriminiert:
"Du kannst geschlagen werden, kannst Anzeige machen bei der Polizei, dann wird gar nichts gemacht.", übersetzt Iosif Gaspar. Und er sagt auch, dass Petr und Sarina in Deutschland bleiben wollen:
"Deswegen bemühe ich mich, dass sie noch weitere Deutschkurse besuchen können."

Erziehungsberatung für Sinti und Roma

Petr und Sarina sind eine von rund 30 Familien, die Iosif Gaspar betreut. Seinen Arbeitgeber, die Einrichtung Madhouse, gibt es seit den 80er Jahren:
1987 entstand Madhouse als stationäres heilpädagogisches Wohnheim für schwererziehbare Jugendliche. Den eigenwilligen Namen Madhouse wählten die Jugendlichen selbst. Inzwischen ist die Einrichtung gewachsen. Ein Schwerpunkt: die Arbeit in München mit Sinti und Roma – zum Beispiel mit einer Erziehungs-, Paar- und Lebensberatung. Für Madhouse arbeiten Psychologen, Erzieher und Sozialpädagogen. Über zwei Dutzend Planstellen fördert die Landeshauptstadt München.

Oberbürgermeister Reiter: Madhouse ein Glücksfall für München

Unter den Angestellten sind Roma wie Gaspar, die als sogenannte Kultur- und Sprachvermittler tätig sind. Gaspar sucht bewusst die Nähe zu den Familien. Er geht mit ihnen zum Arbeitsamt, zum Arzt und er ist ein Ansprechpartner für die Ängste und Nöte. Iosif Gaspar glaubt an die Familien, die er betreut:
"Wenn die Leute sich in westlichen Ländern befinden und bereit sind, sich an die Gesetze in dem Land anzupassen, dann sind sie integriert."
2017 hat Madhouse dreißigjähriges Bestehen gefeiert. In einer Festschrift sprach Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter von einem wahren Glücksfall für die Stadtgesellschaft.
Die Einrichtung hat sich längst fest etabliert: Schon lange vor 2015, als viele Flüchtlinge nach Bayern kommen. Es ist die Geburtsstunde zahlreicher Integrationsprojekte – zum Beispiel in Augsburg in einer umgebauten Busgarage.

In einer Busgarage in Augsburg

Als ich das geräumige Gebäude betrete, hängt an der Wand ein Schal vom Fußballbundesligisten FC Augsburg, in einer Vitrine liegt Kuchen. Auf Bänken und Tischen haben sich die Besucher ausgebreitet. Lernatmosphäre im Café "Tür an Tür", in dem Ehrenamtliche Nachhilfeunterricht für zuwanderte Menschen anbieten:
"Eigentlich aus der Not heraus hat man gesagt, wir können nicht so viel Einzelnachhilfe geben, wir fassen das hier in einem offenen Deutschcafé zusammen, wo Lernende mit den Deutsch-Hausaufgaben kommen, wo dann je nach Bedarf unterstützt wird.", sagt Corinna Höckesfeld. Sie ist Ansprechpartnerin für die Ehrenamtlichen. Einer von ihnen ist Karl Lutz, ein pensionierter Mittelschullehrer:
"Und hier, das sind schon Situationen, wo man fröhlich lachen kann und Spaß hat an der Sache. Also nicht bloß lernen, dass man stur irgendwas paukt, sondern auch Freude hat."
Menschen, die sich unterhalten und lachen, sitzen im Lerncafé "Tür an Tür" des gleichnamigen Vereins in Augsburg. Auf den Tischen liegen Unterlagen wie Hausaufgaben.
2016 startete das Lerncafé im Café "Tür an Tür", bei dem sich Asylsuchende und Geflüchtete mit Helfenden austauschen und Nachhilfe erhalten.© Annette Zoepf / Tür an Tür Augsburg
Ähnlich geht es Nachhilfelehrerin Barbara Husmanns:
"Das ist hier ein sehr offener Raum. Die Menschen kommen gerne – egal woher."

Hausaufgaben mit Nina

Im Augsburger Deutschcafé treffe ich ein Mädchen mit großer Brille. Es lernt gerade Adjektive. Die Zehnjährige nennt sich Nina. Das Mädchen hat Wurzeln in Somalia und besucht die fünfte Klasse einer Mittelschule:
"Die Mama ist hier hergekommen, als ich ein Jahr alt war. Wir sind mit Booten hierhergekommen. Und das war eine gefährliche Reise."
Nina lernt fleißig. Sie will eine gute Schülerin sein, die weiterkommt und Erfolg hat:
"Darum komme ich hierher, um meine Hausaufgaben zu machen."

Geschäftsführerin: Wollen nicht nur akut Brände löschen

Das Café gehört zum Augsburger Verein "Tür an Tür", der im Mai 1992 gegründet wurde. Der Verein setzt sich ein für mehr Chancen von zugewanderten Menschen. Und das geht weit über den Deutschunterricht hinaus, sagt Geschäftsführerin Tülay Ates-Brunner, eine Volkswirtin mit Migrationshintergrund:
"Wir wollen nicht nur akut Brände löschen, sondern wir wollen Strukturen und ein Bewusstsein etablieren, das nachhaltig ist. Wir sind ein Einwanderungsland und wir sind vielfältig. Und diese Vielfalt hat auch die Freiheit und jeder hat seinen Platz."

Hochschulen als Kooperationspartner

"Tür an Tür" wird gefördert mit Geldern der Europäischen Union und der Stadt Augsburg. Mehrere Millionen Euro bekommt der Verein Jahr für Jahr. Zum Beispiel kümmert er sich um Fachkräfte aus dem Ausland, hat bayernweit rund 50 Kooperationspartner.
"Das meiste Geld bleibt nicht bei uns, sondern wird weitergleitet an die Partner, mit denen wir zusammenarbeiten. Das sind Hochschulen, Unternehmen, IHKs, kleine Bildungsträger, Caritas, Diakonie."
Tülay Ates-Brunner nennt als Beispiel einen Sozialpädagogen aus der Ukraine, der in Bayern arbeiten will:
"Also haben wir Hochschulen, Universitäten gewinnen können, die dann auch bereit waren, da einzusteigen. Die sagen: Wir bieten genau die Module an, die diese Personengruppen brauchen und sparen uns ein vierjähriges Studium. Und in ein oder in zwei Semestern haben sie alle Lücken gefüllt. Damit können sie auch auf dem Arbeitsmarkt adäquat arbeiten und müssen nicht Jobs nachgehen, die für Unqualifizierte vielleicht interessant wären."

Wie kann Toleranz gefördert werden?

Am Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft: Vorurteile können Integration verhindern. Davon ist Tülay Ates-Brunner überzeugt. Es braucht Verständnis zwischen den Kulturen und Religionen. Dieses Verständnis fördert der Münchner Verein "Freundschaft zwischen Ausländern und Deutschen" schon seit 1985 – mit inzwischen über 100 Ehrenamtlichen und rund 25 Honorarkräften. Teresa Niessen arbeitet für ein Projekt des Vereins:
"Wir werden hauptsächlich unterstützt vom Sozialreferat der Stadt München und dann noch von der evangelischen Landeskirche."
Der Arbeitsplatz von Teresa Niessen ist die sogenannte "Nachbarschaftshilfe – deutsche und ausländische Familien".
"Uns geht es darum, dass wir Veranstaltungen machen, um Leuten eine andere Perspektive auf Dinge zu geben – vielleicht auch, was Kultur und Religion betrifft."

Speed-Dialoge: Muslime treffen auf Nichtmuslime

Organisiert hat Niessen zum Beispiel die Speed-Dialoge.
Ein Montagabend im Oktober: Ich bin in einem Café in der Münchner Innenstadt. An sieben Tischen sitzen sich jeweils gegenüber: Nichtmuslime und Muslime. Acht Minuten können sie sich austauschen. Dann geht es zu neuen Ansprechpartnern, zum nächsten interreligiösen Speed-Dialog. Die Teilnehmer machen einen offenen, neugierigen Eindruck. Keine Spur von extremistischem Denken auf beiden Seiten:
"Vielleicht sogar hier diese Veranstaltung. Das sind vielleicht Leute, die sich schon für das Thema interessieren oder offen für Austausch sind. Das ist ja nicht bei allen Leuten, denen man auf der Straße begegnet."
"Welchen Bedeutung hat Religion für dich im Alltagsleben?"
"Ich bin ganz christlich erzogen worden. Und irgendwann im Studium hat sich das verloren. Gerade kommt das ein bisschen zurück."

Die "Münchner Muslime" gegoogelt

Jeder kann zu den Speed-Dialogen kommen. An diesem Abend im Oktober ist es die dritte Veranstaltung. Partner der Nachbarschaftshilfe ist die Initiative "Münchner Muslime". Teresa Niessen hat sie im Internet entdeckt:
"Durch googeln. Ich habe mich einfach informiert, welche Initiativen es dazu in München gibt."
Maiwand Shaida stoppt die Zeit. Er beobachtet die Dialoge. Shaida kommt von den Münchner Muslimen:
"Die 'Münchner Muslime' ist einfach eine Initiative von jungen Muslimen, die aktiv einen gesellschaftlichen Beitrag leisten wollen und keiner expliziten Moscheegemeinde zugehörig sind. Wir wollen einen positiven Beitrag leisten im Sinne von interreligiös, kulturell. Primär eben darum, dass die Muslime gesellschaftlich wahrgenommen werden."

Wie harmlos sind die "Münchner Muslime"?

Das klingt erstmal harmlos. Im Internet aber stoße ich auf Veranstaltungen, die die "Münchner Muslime" bewerben - auch mit Personen, die Verfassungsschützern bekannt sind, als Islamisten, als muslimbrudernah. Maiwand Shaida kann sich nicht dazu äußern:
"Ich bin weder der Pressesprecher noch werde ich mich hier als Sprachrohr zu verstehen geben. Ich bin einfach nur ein Mensch, der versucht, einen positiven Beitrag in der Gesellschaft zu leisten und deswegen unterstützend tätig ist, wo Unterstützung notwendig ist."
Muslimbrüder sind Teil einer weltweiten Bewegung, die 1928 gegründet wurde. Laut bayerischem Verfassungsschutz geben sie sich nach außen offen und dialogbereit, wollen aber in Wahrheit einen Gottesstaat auf Basis der Scharia errichten.

Islamismusforscherin: Versuchen, Islam in Deutschland zu implementieren

Auf ihrer Homepage schreiben die "Münchner Muslime", dass sie keiner ideologischen Strömung angehören. Susanne Schröter vom Forschungszentrum Globaler Islam an der Goethe Universität in Frankfurt am Main hat da große Zweifel. Schröter sagt, dass die "Münchner Muslime" die Nähe von Personen suchen, die dem Umfeld der Muslimbruderschaft zugerechnet werden. Und auch der Ruf zum Islam, die sogenannte Dawah, spiele eine große Rolle in einer Videoreihe:
"Da versuchen sie sehr schön und anschaulich darzustellen, wie sie das machen mit der Dawah, wie sie den Islam versuchen hier in Deutschland zu implementieren. Letztendlich geht es darum, dass man Menschen zur Konversion bewegt."

Nachbarschaftshilfe: Missionierung hat keinen Platz

Die Nachbarschaftshilfe sagt auf Anfrage, dass Missionierung und Fundamentalismus bei den Speed-Dialogen keinen Platz habe. Darüber sei man sich mit den "Münchner Muslimen" einig.
Laut Homepage der "Münchner Muslime" wird die Initiative vertreten von Taha Ali Zeidan. Vor einigen Monaten hat er Deutschlandfunk Kultur geschrieben, dass er die Muslimbruderschaft und Begriffe wie Missionierung ablehne.
"Mein allgemeines Islamverständnis ist es, mit allen Menschen, egal welcher Glaubensrichtung, in Kontakt zu treten und mich für ein friedliches Miteinander auszutauschen. Das verstehe ich unter dem Begriff Dawah, nämlich Austausch und Dialog; den Menschen die wundervolle Vielfältigkeit des Islam zu zeigen."

Verfassungssschutz: "Münchner Muslime" kein Beobachtungsobjekt

Ist am Ende alles nur in Missverständnis? Für den bayerischen Verfassungsschutz sind die "Münchner Muslime" bisher kein Beobachtungsobjekt. Islamismusforscherin Susanne Schröter kann das nicht nachvollziehen:
"Die Nachbarschaftshilfe trifft auch keine Schuld. Woher sollen sie denn wissen, dass es sich dabei möglicherweise um Extremisten handelt. Und sie ist wie alle zivilgesellschaftlichen Einrichtungen natürlich darauf angewiesen, dass die Sicherheitsbehörden Informationen zur Verfügung stellen, mit wem man eigentlich zusammenarbeiten kann - ohne dass man die Falschen fördert."
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