Integration von Flüchtlingen

Im Tandem in den Arbeitsmarkt

Ausbilder unterhält sich mit einem afghanischen Flüchtling.
Verständigung über das Handwerk: Manche Betriebe stellen ganz bewusst Geflüchtete ein. © picture alliance/ dpa/ Jens-Ulrich Koch
Von Christoph Richter  · 12.10.2016
Im Harz gibt es ein wegweisendes Projekt: In einwöchigen Seminaren können Flüchtlinge handwerklich arbeiten. Davon profitieren beide die Flüchtlinge, aber auch die Handwerker, die mit ihnen in Tandems arbeiten.
Der 56-jährige Maurer Klaus-Dieter Mehlhorn leitet afrikanische Flüchtlinge an. Die jungen Männer stehen auf einem Gerüst, tragen weiße Schutzanzüge, einen Mundschutz und verputzen die Wand eines denkmalgeschützten aus dem 16. Jahrhundert stammenden Renaissance-Adelshofs in Osterwieck, am nördlichen Harzrand. Das liegt an der Grenze zu Niedersachsen. Maurer Mehlhorn nickt zufrieden.
"Da ist richtig Potential, die haben auch fachliches Wissen. Also man braucht es nur kurz zu zeigen, dann wissen die auch gleich, was gemacht werden soll. Und wie die auch mit Werkzeug umzugehen haben, funktioniert wunderbar."
Die Flüchtlinge, die helfen einen herrschaftlichen Fachwerkpalast zu sanieren, kommen aus Ländern wie Eritrea, Guinea-Bissau, Afghanistan, Irak oder Syrien. Die einen arbeiten mit der groben Maurerkelle, andere mit Pinzette, Skalpell und Glasfaserpinsel, um vorsichtig jahrhundertealte Farbschichten und Zeichnungen freizulegen, die die Menschen früher auf den Wänden und Balken des Fachwerkpalastes hinterlassen haben. Einer von ihnen ist der aus der Casamance, dem Süden Senegals, stammende Jan Kuba Baqri Souamé. Eigentlich ein Lehrer für Geografie und Geschichte.
"Sie haben davor die Wand aus dem 16. Jahrhundert rot gestrichen. Im Fachwerkbereich. Und weil die Farbe jetzt erstmal trocknen muss, wird der Putz aus dem 16. Jahrhundert gereinigt."
Die 49-jährige Kunsthistorikerin Claudia Christina Hennrich ist die Geschäftsführerin des Deutschen Fachwerkzentrums in Quedlinburg und Initiatorin der bundesweit einzigartigen Initiative.

Ein ungeheurer Kraftakt

Das Ganze wird in Form von einwöchigen Seminaren organisiert, in denen die Flüchtlinge nicht nur arbeiten, sondern auch Exkursionen machen, um mehr zu den kulturhistorischen Hintergründen zu erfahren. Einige der Flüchtlinge, die schon lange auf ihre Asyl-Anhörung warten, wollen wiederholt mitmachen. Einen ungeheuren Kraftakt nennt es Claudia Christina Hennrich, weil die Flüchtlinge aus den Sammelunterkünfte abgeholt und wieder zurückgebracht werden und obendrein verpflegt werden müssen. Finanziell unterstützt wird das ehrenamtliche Engagement von der Commerzbank-Stiftung und der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, die das Ganze für dieses und das nächste Jahr mit knapp 100.000 Euro fördern. Während im Hintergrund die Baumaschinen brummen, erzählt Hennrich, dass die Flüchtlinge immer im Tandem mit deutschen Handwerkern zusammenarbeiten.
"Wir versuchen hier schon auf Augenhöhe zusammen zu arbeiten. Das heißt der Dialog ist immer gegeben."
Eines dieser Tandems bilden der Flüchtling Ouli Karim und der 20-jährige Azubi Moritz Krüger. Karim kommt aus Algerien. Er arbeitet konzentriert an einer historischen Tür und verkittet kunstvoll die verzierten Buntglasöffnungen. Krüger schaut genau hin, denn offensichtlich versteht der Algerier sein Handwerk.
"Ich kenne all die Techniken. Überhaupt kein Problem. Das ist meine Arbeit, mein Metier."
In Algier hat Ouli Karim 14 Jahre auf dem Bau gearbeitet und zeigt dem Auszubildenden nun, worauf er bei der Sanierung zu achten hat. Es klappt, auch wenn keiner die Sprache des anderen spricht.
Krüger: "Genau, ich bin ja in diesem Fachgebiet noch nicht allzu weit geschult. Er selber ist ja in mehreren Fachbereichen tätig. Auch wenn die Kommunikation nicht so stimmt, wie sie sollte, dennoch kann er mir alles beibringen. Er macht seine Arbeit super."

Jeder Flüchtling erhält ein Zertifikat

Bei diesem Projekt, sagt Fachwerkspezialistin Claudia Christina Hennrich gehe es nicht um eine profane paternalistische Beschäftigungstherapie, sagt Fachwerkspezialistin Hennrich noch, sondern um Zusammenarbeit, im wahrsten Sinne des Wortes. Integration soll hier keine Einbahnstraße sein. Denn es finde gegenseitiger Austausch statt, man erfahre etwas über deren Kulturdenkmäler, die Bauweisen vor Ort. Im Gegenzug bekämen die Flüchtlinge durch das Projekt auch Einblicke, wie man ressourcenschonend mit alten Handwerkstechniken saniert. Erkenntnisse, die sie auch später in ihren Heimatländern einsetzen können. Die ihnen aber auch bei der Jobsuche in Deutschland helfen könnten.
Hennrich: "Wir erstellen immer für jeden Flüchtling ein Zertifikat. Was beschreibt, was für handwerkliche Fähigkeiten er hier umgesetzt hat. Und wir legen eine große Fotodokumentation an, beim Arbeiten."
Die Initiatorin des Projekts lädt auch immer wieder Unternehmer aus der Region ein. Um ihnen – die Arbeitnehmer oder Auszubildende suchen – die Fähigkeiten der Flüchtlinge zu präsentieren.
"Und ich denke schon, dass es ihnen weiterhilft. Es ist ein sehr, sehr langer Weg. Am 1. Oktober wird das Deutsche Fachwerkzentrum einem Flüchtling auch eine Chance geben zu arbeiten, im Bundesfreiwilligendienst."
Mehr zum Thema