"Integration hat viel mit Gefühl zu tun"

Bülent Arslan im Gespräch mit Gabi Wuttke · 15.01.2011
Der Vorsitzende des Deutsch-Türkischen Forums der CDU Nordrhein-Westfalen, Bülent Arslan, hat einen neuen Patriotismus-Begriff und mehr Deutschlandfahnen an Schulen gefordert. Er schlägt vor, sich klassische Einwanderungsländer wie die USA und Kanada als Vorbild zu nehmen.
Gabi Wuttke: Wir brauchen ein Wir-Gefühl, einen verbindenden Patriotismus – dieser Satz steht im ersten Grundsatzprogramm des Deutsch-Türkischen Forums der CDU. Was sich die Christdemokraten dieses Gremiums darunter vorstellen, kann uns jetzt Bülent Arslan erklären. Er ist der Vorsitzende des DTF in Nordrhein-Westfalen. Guten Morgen!

Bülent Arslan: Guten Morgen!

Wuttke: Sie plädieren zum Beispiel für Fahnen an Schulen, um mit patriotischen Symbolen mehr gemeinsame Identität zu stiften. Wie sollte das genau aussehen?

Arslan: Also zum Ersten ist ganz wichtig, dass wir festhalten: Integration hat viel mit Gefühl zu tun. Wir müssen es schaffen, dass wir die Menschen in Deutschland emotional stärker zusammenführen, und es gibt einige klassische Einwanderungsländer in der Welt, beispielsweise in den Vereinigten Staaten oder in Kanada, wo dies funktioniert. Und in Deutschland ist es natürlich vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte etwas schwierig, mit Patriotismus zu argumentieren.

Wuttke: Allerdings.

Arslan: Aber wir meinen, dass das genau der springende Punkt ist, und dass wir für eine erfolgreiche Integrationspolitik auch über solche Maßnahmen nachdenken müssen.

Wuttke: Gut, aber wie soll es denn nun genau aussehen?

Arslan: Also zum einen, indem natürlich im öffentlichen Leben, in der Politik, aber auch beispielsweise in Schulen Patriotismus eine größere Rolle spielt. Ich muss vorwegschicken: Das bedingt natürlich einen anderen Patriotismusbegriff als den, den wir im Moment haben, weil im Moment sprechen wir über Patriotismus in erster Linie bezogen auf die ethnischen Deutschen. Und wir sind der Auffassung, in Zukunft wird dieses Patriotismusverständnis nicht mehr aufrechtzuerhalten sein. Das heißt: Patriot muss in Zukunft jeder sein können, der sich von den politischen Werten her für Deutschland entscheidet.

Wuttke: Herr Arslan, trotzdem noch mal: Wie sollte das aussehen mit Fahnen an den Schulen?

Arslan: Also indem zum Beispiel in der Schule, dieses Gruppengefühl, dass die Schüler unterschiedlichster Herkunft Deutsche sind, zu Deutschland zu gehören, vermittelt wird. Wir haben ja ein schönes Vorbild gehabt im Rahmen der letzten beiden Weltmeisterschaften, wo jetzt nicht kopfgesteuert, sondern wo emotional mit Euphorie die Menschen mit Fahnen in der Öffentlichkeit zusammengestanden haben. Und das ist eigentlich das, was wir uns vorstellen.

Wuttke: Aber im DTF-Grundsatzprogramm wird unterstrichen: Die kulturelle Vielfalt soll nicht aufgegeben werden. Folgerichtig müssten dann die Schulen alle Länder flaggen, aus denen ihre Schüler kommen.

Arslan: Nein, das ist genau der springende Punkt, weil das widerspricht sich nicht. Wenn wir einen anderen Patriotismusbegriff, ein anderes Nationenverständnis haben als den, der im Moment in Deutschland verbreitet ist – im Moment, Sie können zwar die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben als Migrant, aber Sie sind, wenn wir ehrlich sind, in den Köpfen der Menschen sind Sie noch nicht Deutscher. Und genau da, meinen wir, brauchen wir eine Veränderung. Das ist nicht einfach, das hat etwas mit einer sehr tief gehenden kulturellen traditionellen Vorstellung in diesem Land zu tun, aber wir meinen, dass das ein ganz wichtiger Punkt ist und dass wir darüber reden müssen.

Wuttke: Aber Sie sagen auch, der zentrale Wert für ein gelungenes Zusammenleben sei die Freiheit. Aber genau diese Freiheit ist doch dann gar nicht mehr gegeben.

Arslan: Natürlich ist diese Freiheit gegeben. Also das, was wir fordern, kann ja gar nicht über Zwang geschehen, und das kann auch nicht über eine kopfgesteuerte, rationale Ebene geschehen. Also es gibt ja auch viele Leute, die sagen, wir müssen den Migranten erst mal ein Seminar über das Grundgesetz und so geben. Also das ist alles schön und gut, aber das wird nicht funktionieren, wenn nicht auch viel mehr Symbolik und Emotionalität in die Integrationspolitik eingebaut wird.

Wuttke: Die andere Seite der Medaille in Deutschland, Sie haben es ja schon angesprochen, hat man mit Fahnenhofappellen und dem gemeinsamen Absingen von Kampfliedern und Hymnen keine guten Erfahrungen gemacht. Nicht zuletzt Bürger aus der DDR bekommen allein bei der Vorstellung eine Gänsehaut. Also Sie haben gesagt, man müsste den Patriotismus in einer anderen Form, mit einem anderen Inhalt definieren. Wie?

Arslan: Ja, ich glaube - also erst einmal möchte ich das noch mal unterstreichen: Wir können nicht so tun, als würden wir dieses Thema in einem luftleeren Raum behandeln, sondern das geschieht vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte. Und natürlich ist es für ethnische Deutsche vielleicht sogar ein bisschen schwieriger, dieses Thema auch ein bisschen frei zu behandeln. Wir meinen, dass das für Migranten eher möglich ist, und das ist auch eine Aufgabe von uns, oder so definieren wir das zumindest für uns, dass wir einen Beitrag in diese Richtung dann auch leisten.

Wuttke: Und was macht Sie so sicher, dass die Migranten, dass die Deutsch-Türken mit Ihrem Konzept Fahnenappell tatsächlich mitgehen?

Arslan: Nein. Die Migranten werden nicht mit dem Konzept Fahnenappell mitgehen. Also das ist uns ja sehr bewusst. Ich habe eine ganze Menge von Gesprächen geführt in den letzten Tagen, wo gerade Migranten, auch Freunde von mir, gesagt haben: Mensch, das, was wir da gelesen haben, da mussten wir aber erst mal schlucken, wie du das so gemeint hast.

Wuttke: Kann ich mir denken, ja.

Arslan: Das ist doch - da brauchen wir uns doch überhaupt nichts vorzumachen - das ist natürlich nicht so ein Nebenthema, was wir da führen wollen. Und im Moment ist es so, dass wir uns alle miteinander – Migranten und Einheimische – um die Frage herumdrücken. Das kann es nicht sein, also das ist eine ganz elementare Frage, und in diesen ganzen Problemdebatten über Integration geht es doch aus meiner Sicht um diese übergeordnete Frage, was in Zukunft in diesem Land Deutschsein heißt. Und wir meinen: Wir müssen über diese Frage auch als Gesellschaft diskutieren können.

Wuttke: Und Sie meinen, es ist der richtige Weg, es über Dinge zu tun, die gerade möglicherweise sagen Sie mir eben gerade weil das in Deutschland so durchaus schwierig ist?

Arslan: Nein, das will ich nicht damit sagen, aber wir meinen in erster Linie, dass es über Symbolik gehen muss und dass es über Emotionen gehen muss. In anderen Ländern und in den meisten Herkunftsländern der Migranten ist es so - und deswegen haben diese Menschen auch vielleicht auch ein Stück mehr Erfahrung damit – wird viel mehr Symbolpolitik gemacht, und in Deutschland ist das nicht der Fall, sondern in Deutschland versucht man, das eher sachlich anzugehen. Aber machen wir uns nichts vor: Integration ist ein emotionaler Prozess, und deswegen brauchen wir mehr auch Symbolik und Gefühl.

Wuttke: Das heißt, wenn es jetzt für Sie um Emotionen geht, ich sage, es geht bei den Deutschen möglicherweise eben auch um die Mentalität, dann wollen Sie allen ethnisch Deutschen beibringen, dass das Glas immer halb voll zu sein hat?

Arslan: Beibringen ist der falsche Begriff. Aber vielleicht kann das auch ein positiver Beitrag von bestimmten Migrantengruppen sein, dass sie natürlich auch vielleicht einen etwas positiveren Ansatz wählen, dass sie vielleicht eine etwas lockerere Herangehensweise aus kulturellen Gründen mitbringen. Wir müssen solche Dinge, auch solche Andersartigkeit und Vielfalt müssen wir zulassen, und das geht nur, indem man darüber spricht.

Wuttke: Das Deutsch-Türkische Forum der CDU und ihr erstes Grundsatzprogramm, dazu in der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur Bülent Arslan, der DTF-Vorsitzende von Nordrhein-Westfalen. Ich danke Ihnen sehr für die Auskünfte und wünsche Ihnen einen schönen Tag!

Arslan: Danke, Ihnen auch!
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