Inszenierte Beerdigung

Dürfen Künstler ertrunkene Flüchtlinge begraben lassen?

Imam Abdallah Hajjir (r) betet am 16.06.2015 auf dem muslimischen Teil des Friedhofs Berlin-Gatow am Grab einer im Mittelmeer ertrunkenen Syrerin. Die Beerdigung ist eine Aktion des "Zentrum für Politische Schönheit" die damit gegen die EU-Flüchtlingspolitik protestiert.
Imam Abdallah Hajjir (rechts) auf dem muslimischen Teil des Friedhofs Berlin-Gatow am Grab einer im Mittelmeer ertrunkenen Syrerin. Die Beerdigung ist eine Aktion des "Zentrum für Politische Schönheit" die damit gegen die EU-Flüchtlingspolitik protestiert © picture alliance / dpa / Gregor Fischer
Ein Pro und Contra von Kolja Mensing und Korbinian Frenzel · 16.06.2015
Kunst, Wichtigtuerei oder Verteidigung westlicher Werte? Die Beerdigung von im Mittelmeer ertrunkenen Flüchtlingen auf einem Friedhof in Berlin polarisiert. Organisiert wurde das Begräbnis von der Künstlergruppe "Zentrum für Politische Schönheit".
PRO – von Kolja Mensing
Erinnert sich eigentlich noch jemand? Am 7. Januar stürmten islamistische Terroristen die Redaktionsräume des französischen Satire-Magazins "Charlie Hebdo" und ermordeten elf Menschen. Der Anlass: Mohammed-Karikaturen. Nach dem Attentat gab es überall in Europa Solidaritätsbekundungen. Alle wollten "Charlie" sein, alle waren sich einig: Die Freiheit der Kunst darf nicht angetastet werden.
Und jetzt: wieder ein Attentat. Diesmal – so wird behauptet! – auf den guten Geschmack. Die Aktionskünstler vom "Zentrum für politische Schönheit" bringen Leichen von Flüchtlingen, die im Mittelmeer ertrunken sind, nach Deutschland, um sie in Berlin zu bestatten. Und plötzlich werden alle die, die vor einem halben Jahr die ach-so-lange und ach-so-westliche Tradition der Freiheit der Kunst gegen den gewaltbereiten Islamismus verteidigt haben, nervös: Ob das wohl noch Kunst ist?
Die Frage geht in die falsche Richtung. Der Skandal ist ja nicht die Kunstaktion, sondern eine Politik, die Flüchtlinge pauschal zum "Problem" erklärt und am liebsten gleich mit einem robusten Militärmandat gegen Schlepperbanden vorgehen würde. Dabei geht es um Menschen, die ihr Leben aufs Spiel setzen, um in Deutschland oder einem anderen europäischen Land eine zweite Heimat zu finden. Die toten Flüchtlinge sind tragische Helden. Um das zu sehen, brauchen wir die Kunst. Und zwar: bedingungslos.
Literaturredakteur Kolja Mensing
Kolja Mensing© Deutschlandradio - Bettina Straub

CONTRA – von Korbinian Frenzel

Freiheit der Kunst – was für ein hohes Ross. Die Aktion des selbsternannten Zentrums für Politische Schönheit ist vor allem eins: politischer Aktionismus, möglicherweise auch nur eine Wichtigtuerei – eine Aktion, bei der man sich ernsthaft fragen muss: Handeln da Künstler wirklich im Sinne derer, in deren Namen sie sprechen wollen? Oder ziehen sie mit Hilfe der Provokation vor allem und in erster Linie Scheinwerferlicht auf sich selbst?
Um eines klar zu sagen: Ich bin gegen ein Verbot solcher Aktionen. Lasst sie machen! Aber bitte lasst uns dann auch ehrlich debattieren: Zum Beispiel über einen Satz, der so wunderbar einfach ist, dass er zurecht an allererster Stelle unseres Grundgesetzes steht: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Wer Tote zu Zeugen seiner eigenen Botschaft macht, der bedient sich ihrer. Er macht sie zu Objekten.
Helden sollen sie sein – wenn es für mich eine Botschaft aus der tragischen Flüchtlingssituation gibt, dann ist es die: Ich sehe weder anonyme Flüchtlingsströme, vor denen so mancher rechter Scharfmacher warnt, ich sehe aber auch keine Helden. Ich sehe Menschen. Und das ist die wahre Tragödie, die in ihrer Ernsthaftigkeit viel stärker ist als jede Kunstaktion.
Und überhaupt – worauf zielt diese Aktion? Bewusstsein schaffen für das Flüchtlings-Problem? Das ist nun wirklich da – auch und gerade in den politischen Eliten. Soll die Politik unter Druck gesetzt werden, endlich zu handeln? Das wäre legitim, weil dringend geboten. Nur wäre es dann das stärkere Signal, statt Särgen Lösungsvorschläge zu präsentieren – so wie es viele Flüchtlingsverbände immer wieder tun – viel zu häufig ohne Scheinwerferlicht.
Korbinian Frenzel
Korbinian Frenzel© Deutschlandradio - Bettina Straub
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