Insolvenzexperte: Schuldenschnitt wird nicht an Hedgefonds scheitern

Christoph Paulus im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 20.01.2012
Können in Griechenland getätigte Investionen vor dem Europäischen Gerichtshof eingeklagt werden? Der Berliner Jurist und Insolvenzexperte Christoph Paulus bezweifelt dies. Der politisch beschlossene Schuldenschnitt werde an solchen Klagen nicht scheitern - andernfalls wäre Griechenland pleite.
Jan-Christoph Kitzler: Da nützen dann am Ende alle Rettungspakete nichts. Um eine Pleite Griechenlands noch abzuwenden, müssen auch die privaten Gläubiger mitspielen und im großen Stil Schulden erlassen. Auf rund 100 Milliarden Euro sollen Banken, Hegdefonds, Versicherer verzichten, die in griechische Staatsanleihen investiert haben. Zwar soll es Annäherungen, Zeichen der Annäherung geben, aber die Verhandlungen, sie ziehen sich hin. Und die Zeit drängt: Bis zum Ende des Monats muss eine Einigung stehen, sonst wollen die EU und der Internationale Währungsfonds keine weiteren Hilfsgelder mehr zahlen und dann wäre Griechenland spätestens im März pleite. Und dann, die griechische Regierung hat noch einen Trumpf in der Hand: Ministerpräsident Papademos hat angekündigt, man wolle die Gläubiger notfalls per Gesetz zum Schuldenerlass zwingen. Kann das funktionieren? Darüber spreche ich jetzt mit Christoph Paulus, Professor und Experte für Insolvenzrecht an der Berliner Humboldt-Universität. Schönen guten Morgen!

Christoph Paulus: Schönen guten Morgen!

Kitzler: Herr Paulus, ist das ein realistisches Szenario, kann Griechenland denn die privaten Gläubiger zum Schuldenverzicht zwingen?

Paulus: Ich befürchte, ja. Befürchten tu ich das aus der Sicht der Gläubiger. Es ist tatsächlich eine Möglichkeit.

Kitzler: Die griechische Regierung droht ja damit, ein Gesetz zu erlassen, um den Schuldenverzicht einzuleiten. Ist das denn so einfach?

Paulus: Erstaunlicherweise ja. Das ist eine Möglichkeit, dass man all den jetzt bestehenden Schuldanleihen, also Schuldverschreibungen, die seit teilweise Jahren schon in der Welt sind, dass man denen jetzt nicht nachträglich, sondern ab kurze Zeit nach Erlass, dem Tag nach Erlass dieses Gesetzes, eben eine Klausel hinzufügt, die sogenannten Collective Action Clauses oder, wie es auf Deutsch heißt, Umschuldungsvereinbarung, dass man die denen anfügt, damit also keine Rückwirkung hat. Und in diesen Klauseln, in diesen Vertragsklauseln, die dann neu in den Verträgen drin sind, steht drin, dass die Anleihebedingungen abgeändert werden können, wenn die erforderliche Mehrheit der Gläubiger dem zustimmt.

Kitzler: Das heißt, eigentlich können die Bedingungen verändert werden, für die die Staatsanleihen zunächst ausgegeben wurden?

Paulus: Ja, das ist unterm Strich richtig formuliert. Nur ist es in der juristischen Ausgestaltung ein klein wenig trickreicher. Also, es ist nicht so, dass Griechenland diktieren könnte und sagen könnte, hört mal zu, ihr zahlt jetzt nur noch 50 Prozent, sondern das ist immer noch, oder als Zwischenschritt ist immer noch erforderlich, dass die Mehrheit – und in diesem Fall die qualifizierte Mehrheit – der Gläubiger zustimmt. Aber diese Zustimmung, die – das scheinen die jetzigen Verhandlungen zu signalisieren –, die bekommen die Griechen hin.

Kitzler: Dass man diese Zustimmung braucht, ist das auch der Grund dafür, dass das nicht schon längst passiert ist?

Paulus: Das ist eine spannende Frage, die ich nicht zu beantworten wage. Ich habe eher die Befürchtung – und Befürchtung sage ich diesmal aus meiner eigenen persönlichen Sicht –, dass wir Juristen bislang zu einfallslos gewesen sind. Dieses Modell oder diese Vorgehensweise, die wirklich etwas Kreatives an sich hat, also nicht so schnöde Juristerei, die immer nur alles im Nachhinein dann beurteilen, sondern da ist ein Jurist – ich weiß auch, welcher das ist, das ist ein Anwalt aus New York, der die griechische Regierung berät und der vor Kurzem einen Aufsatz zu diesem Thema veröffentlicht hat –, das ist wirklich kreative juristische Schöpfung, dass eben ohne eine Rückwirkung herbeizuführen, aber gleichwohl eben im Nachhinein, die vertraglichen Bedingungen geändert werden können.

Kitzler: Es gibt auch welche, die sind gar nicht einverstanden mit dieser Kreativität, die es da gibt, die Hedgefonds zum Beispiel. Die gehen auf Konfrontationskurs, wollen vor dem Europäischen Gerichtshof zur Not auch auf ihre Menschenrechte klagen. Welche Chancen hat denn eine solche Klage überhaupt?

Paulus: Also, ich bin nicht ganz sicher, ob die Hegdefonds das gestern verlautbart haben – meines Wissens war das, dass sie es gestern verlautbart haben – und ob sie nicht dabei Rückgriff genommen haben auf etwas, was ich am Vortag in einem Interview meinerseits geäußert habe. Das kam bei diesem Interview nicht klar genug heraus: Das ist wenn dann die letzte Chance, die man vielleicht haben könnte vor dem Europäischen Menschengericht in Straßburg, eine Eigentumsverletzung einzuklagen. Die Chancen sind … ich sage das mal in aller Vorsicht, sind doch ziemlich minimal. Weil, es ist eben das Kreative, das wirklich Ingeniöse an diesem Vorschlag, dass eben keinerlei grundlegende Prinzipien des Vertragsrechts verletzt werden.

Kitzler: Jetzt ist man natürlich wieder schnell dabei und sagt, na ja, klar, die Hedgefonds, die sind immer so. Aber haben nicht auch Hedgefonds ein Recht auf Eigentum?

Paulus: Natürlich haben sie ein Recht auf Eigentum. Aber noch mal: Das Eigentum, das ist nicht auf Ewigkeit gewährt. Und wenn es eben durch eine legale, sogar legitime Art und Weise per Gesetzesbeschluss zumindest möglicherweise eingeschränkt wird, indem eben eine solche Vertragsklausel hinzugefügt wird, dann ist der Eigentumsschutz eben insoweit minimiert, ist verringert.

Kitzler: Die Frage ist, ob sich die Kreativität durchsetzt, die sich da jetzt gerade Bahn bricht möglicherweise. Wenn nicht, dann geht Griechenland pleite. Staatspleiten gab es schon des Öfteren, aber es gibt bisher, so sehe ich es richtig hoffentlich, keine Regelungen für eine geordnete Staateninsolvenz, stimmt das?

Paulus: Das sehen Sie völlig richtig.

Kitzler: Warum ist das denn so?

Paulus: Jetzt muss ich ein drittes Mal in diesem Interview mit einer Befürchtung kommen, und die trifft wiederum mich selber: Ich befürchte, wir Juristen sind bislang aus Gründen, die mir nicht einsichtig sind, wirklich zu träge gewesen. Wir haben, obwohl es eine Geschichte – das darf ich vielleicht noch ergänzend zu Ihrer Äußerung gerade eben hinzufügen –, obwohl wir eine Geschichte von mindestens 500 Jahren pleite gehender Staaten haben … Wenn wir zurückblicken, dann hat es praktisch jeden Staat irgendwann mal, mehrere Staaten oder die meisten Staaten vielfach sogar erwischt, im Wege einer Staatspleite eben nicht mehr zahlen zu können. Und wir Juristen haben noch nie eine Regelung dazu entworfen. Ich denke mal, dass das auch damit zu tun hat, dass die Politik diese Handlungsoption beziehungsweise die Lösungsoption immer in der Hand haben wollte und dass die kein juristisches Verfahren haben wollte.

Kitzler: Sind Sie denn optimistisch, dass es jetzt nach diesem Fall Griechenland möglicherweise so eine Regelung gibt?

Paulus: Ich war es bis vor zwei, drei Wochen, fast kann ich sogar sagen, bis vor einer Woche, als ich an der Humboldt-Universität eine große internationale Tagung zu dem Thema gemacht habe. Seither bin ich wieder sehr nüchterner geworden. Ich befürchte, dass erneut die Politik das Heft des Handelns nicht aus der Hand geben will und es eine Staatspleite, so teuer und so mühsam und so unangenehm die ist, doch lieber in eigener Regie über die Bühne bringen will. Einfach deswegen, um das Heft des politischen Handelns in der Hand behalten zu können.

Kitzler: Das heißt dann auch, dass wir bei der nächsten Staatspleite wieder von vorne anfangen müssen.

Paulus: Exakt, ganz genau.

Kitzler: Christoph Paulus war das, Professor und Experte für Insolvenzrecht an der Berliner Humboldt-Universität. Haben Sie vielen Dank und einen schönen Tag!

Paulus: Ebenso, danke!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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