"Insel der Ignoranten"
Weimar - Klassikerstadt, Kulturhauptstadt Europas 1999 … und jetzt? Wunderhübsch saniert ist sie ja, denn das Geld floss in Strömen, zum Beispiel 1999. Doch Geld ersetzt keine Konzeptionen. Daher übte die "Strukturkommission Zukunft Weimarer Klassik" heftige Schelte an dem von "Ignoranten bewohnten Inselreich". Und die Kritiker machten Vorschläge. Wie werden sie umgesetzt? Der renommierte Kunstsammler Paul Maenz jedenfalls geht.
"Gewiss sind es nicht die grazilen Schnitzereien des Rokokosaales, oder die Ledereinbände der alten Bücher. Es ist der Geist, der über zwei, drei Jahrhunderte hin diesen Kosmos hat entstehen lassen. "
Kulturstaatsministerin Christina Weiss zum Richtfest der Anna-Amalia Bibliothek vor wenigen Wochen in Weimar.
"Es sind die Ideen der Aufklärung und des Idealismus, es sind die Ideen der Freiheit und des Fortschritts, der Bildung und der Kultur, der Toleranz und die Ideen, die überall in Deutschland durch und mit Büchern etabliert worden sind. "
Weimar ist ein magischer Ort. Geistreich und beschaulich. Doch die schöne Fassade trügt. Denn das Gutachten der hochkarätig besetzten Strukturkommission, das die Klassikstiftung zu beleuchten hatte, stellt dem wahren Zustand des großen Erbes ein zu Teilen vernichtendes Zeugnis aus.
" Insgesamt sind die Lagerbedingungen völlig unzureichend.
Große Komplexe sind auf säurehaltigen Kartons montiert.
Durchgängig unzureichende Aufbewahrung.
Die konservatorischen Standards sind nicht gegeben.
In etlichen Fällen als akut substanzgefährdend einzuschätzen.
So erweist sich das für die Pflege des umfangreichen Materials nötige Personal als völlig unzureichend. "
94 Seiten stark ist der Kommissionsbericht. 94 Seiten Analyse, Bewertung, Schlussfolgerungen. Goethes Zeichnungen beispielsweise verfallen langsam, heißt es nüchtern. Zehn Blätter würden pro Jahr restauriert. Die Direktion sagt selbst, dass mit einem Abschluss der Maßnahmen in 200 Jahren zu rechnen ist.
" Es liegt keine systematische Planung für die zu erstellenden Bestandskataloge vor.
Die Direktion hat noch kein Forschungskonzept erarbeitet.
Die Stiftung verfügt über keinen guten technischen Stand mit Computern und schnellen Netzen.
Es geht eine nachdrückliche Tendenz zur forschungsstrategischen Verinselung einher. "
Aber das ist nur der Anfang. Die Kommission kritisiert, es fehle eine Gesamtkonzeption, eine Idee, ein Selbstverständnis der Stiftung mit allen Beschäftigten. Sie spricht von "Versäulung" der einzelnen Abteilungen, von zu wenig Mut und zu viel Resignation, von überkommenen Strukturen. So bestehe die Gefahr, dass sich der Mehltau der Nostalgie auf Weimar legt. Das gelte es zu verhindern.
Unterwegs mit Angela Jahn, Sprecherin der Klassikstiftung, auf dem noch halb offenen Dach der Anna-Amalia-Bibliothek. Von was genau sprechen wir eigentlich, wenn wir Klassikstiftung sagen?
"Das ist der Bereich Museen, dazu gehören 24 Literaturmuseen, historische Häuser, Schlösser in Weimar und Thüringen, das Goethe-Schiller Archiv, die Herzogin-Anna-Amalia- Bibliothek. "
24 Museen – das Goethes Wohnhaus, Goethes Gartenhaus, Schillers Wohnhaus, das Wittumspalais, das Römische Haus, das Liszt-Haus, das Nietzsche-Archiv und – erst recht – das Bauhausmuseum.
"Und dann muss man gehen bis Dornburg, dann muss man bis in den Thüringer Wald, Goethemuseum in Stützerbach und das Jagdhaus in Gabelbach und das Schillerhaus in Bauerbach, und man darf natürlich die Schlösser in der Umgebung Weimars nicht vergessen. "
Es ist schier unendlich! Das alles ist die Klassikstiftung. Der geneigte Besucher bräuchte Wochen, um es sich anzusehen.
Das alles soll unter einen Hut, unter eine Dachmarke, eine corporate identity.
Zu viel verlangt?
Emotional ein Aufbruch war – als sekundärer Krankheitsgewinn, wenn man so will – der Brand der Anna-Amalia-Bibliothek.
Jahn: "An solchen Balken hinter der Verkleidung hat sich das Feuer so weit ausgebreitet. "
Mit dem Verlust der verbrannten Bücher entstand quasi über Nacht ein Gefühl für das große Erbe. Wie automatisch öffneten sich Herzen und Geldbörsen.
"Was also weitgehend abgeschlossen ist, ist die Trocknung und Sicherung der Stuckdecke. "
In zwei Jahren ist die historische Anna Amalia Bibliothek wieder hergestellt und als Zentrum des alten Buches umgebaut. Jetzt schon stürmen Gäste den neuen Teil der Anna-Amalia-Bibliothek – das Studienzentrum mit Tiefenmagazin, nebenan. Bis zu sieben Führungen täglich gehen durch das Haus.
Jahn: "Das ist der zentrale Bereich hier, der Bücherkubus, wo die Architekten in moderner Form die Idee der Büchergalerie aufgenommen haben, vier Etagen oberirdisch, zwei Etagen unterirdisch. "
Die neue Anna-Amalia-Bibliothek ist eine Forschungsbibliothek für Literatur und Kulturgeschichte. Die Kommission bewertet sie ausdrücklich positiv, hält aber in Fragen der Forschung fest:
"Allerdings ist auch dieses Forschungskonzept von der in sämtlichen Forschungseinrichtungen der Stiftung vorherrschenden Neigung zur Autarkie in der Forschung geprägt. "
Na gut, sagt Michael Knoche, der Direktor der Herzogin-Anna-Amalia-Bibiliothek. Wir sind eine Forschungsbibliothek im Kreise anderer Forschungsbibliotheken. Wir können nicht nur unter der ‚Klassikphilosophie’ laufen.
Aber: Ist die Wahrnehmung falsch, dass hier Leute in ihren Buchten sitzen, miteinander nur per Dienstmitteilung kommunizieren und sklavisch an unendlichen Dienstanweisungen knabbern, statt mutig große Sprünge zu wagen?
"Ich kann schon begreifen, dass man von außen den Eindruck her haben kann, aber ich denke: die Perspektive aus Binnensicht ist eine andere. Ich denke, dass wir sehr motivierte Personen auf allen Ebenen, von der Leitung bis hin zu den Gärtnern haben, die sich mit ihrer Aufgabe identifizieren. Ich denke, dass wir nur sehr schwierige Rahmenbedingungen haben. "
Die Rahmenbedingungen also. Mitunter fehlten liquide Mittel, sagt er, um selbst neue Ordner für die Büros zu kaufen, so dass das Geld dafür gar aus der Spendenkasse genommen wurde.
"So war es im Grunde in allen Bereichen der Stiftungsarbeit: die finanzielle Ausstattung knapp, die rechtlichen Rahmenbedingungen ungeheuer eng, keine Planungssicherheit, und ein kompliziertes Dienstrecht im öffentlichen Dienst, dass auch Flexibilität nicht unbedingt fördert. "
Die Erwartungen von außen seien groß, der Spielraum dagegen minimal.
"Genau: wir sollen springen, werden aber immer hinten fest gehalten. "
Auf seinem Schreibtisch von Carl August - mit 500 Holzproben, die man herausziehen kann - liegen bereits andere, ältere Analysen, eigene Reformvorschläge. Auch das Material des Gutachtens der Strukturkommission stamme zu großen Teilen aus dem eigenen Haus, sagt Knoche. Es kann nicht überraschend sein.
Aber: Woran scheiterte es? Daran, dass der öffentliche Druck nicht groß genug war, intern Reformen durchzusetzen?
Wohl möglich. Dieses Gutachten jedenfalls soll nun der Hebel sein, die Dinge in Gang zu bringen, hofft Michael Knoche. Zum Beispiel das umfassende Forschungskonzept, an dem er mitarbeitet. Mit dem könnten - man staune - quer durch die Häuser Themen bearbeitet werden.
Ein paar Schritte über den Markt, vorbei an der Ecke Schillerstraße geht es zum Frauenplan. Hier, in Goethes Wohnhaus, hat Ernst-Gerhard Güse sein Büro, der Direktor aller zur Stiftung gehörender Museen.
"Solange ich in Weimar tätig bin – und das sind zwei Jahre jetzt – wird stiftungsintern über neue Strukturen gesprochen. Und vieles davon ist auch fixiert worden. Es war der Stiftung ganz klar, dass in einzelnen Bereichen sich Dinge verändern mussten, die seit Wende nicht angegangen worden sind. "
So ist kurz nach Erscheinen des Gutachtens die Grafische Sammlung gerettet worden, durch Umzug in ein Interims-Quartier. Kulturstaatsministerin Christina Weiß sei Dank. Eine Hausaufgabe der Strukturkommission wurde also erledigt. Zig andere müssen folgen. Ein zentrales Depot, klimatisiert und gesichert, wurde gefordert, der Ausbau des Schlussmuseums als zentrale Mitte, als Ausgangspunkt. Gern, sagt Güse. Aber wie bezahlen? Von den jährlich zur Verfügung stehenden Investitionsmitteln von 4,6 Mio Euro für die gesamte Stiftung? Die finanziellen Spielräume sehen also nicht ganz so üppig aus.
Güse: "Also die Bezeichnung ‚nicht ganz so üppig’ ist ein Euphemismus. Es sieht eigentlich schlecht aus. "
Der Direktor aller Museen ist also skeptisch. Ebenso bei der Forderung nach internem Controlling, erst recht nach Strategien, nach konkreten Zielen, die kein Geld kosten. Nur Schweiß. Und Lust an der Fortentwicklung.
Doch Lust in Weimar scheint eingegipst.
Einfacher handelbar dagegen ist der Vorschlag, einige Museen von der Liste zu streichen. Dazu zählen das Schillermuseum Bauerbach, wie auch die Häuser in Gabelbach und Stützerbach im Thüringer Wald.
"Es sind Entscheidungen, die unabweisbar sind für die Stiftung. "
Schmerzhafte Schnitte stehen also bevor. Schmerzhafte Abschiede gab es diesen Monat schon. Allerdings anderer Art.
Der Berliner Galerist Paul Maenz, der dem Neuen Museum in Weimar, das natürlich auch zur Stiftung gehört, eine umfangreiche Sammlung zeitgenössischer Kunst zur Verfügung gestellt hat, holt sie wieder ab.
Zuminderst den Teil, den er nicht Weimar geschenkt hat, oder den die Stiftung ihm nicht abgekauft hat. Große flache Pakete, sorgsam beschriftet, werden in den Umzugswagen gebracht.
Das Depot des Neuen Museums, dass auch nach Ansicht der Strukturkommission mit Gegenwartskunst prall gefüllt sein soll, leert sich.
Im Gutachten heißt es:
"Alles in allem bleibt zu betonen, dass das Neue Museum als Ort zeitgenössischer Kunst die Möglichkeiten bieten würde, in Weimar mit seinem immensen Erbe den Anschluss an die Gegenwart zu gewinnen. "
Und als Sofortmaßnahme empfiehlt die Kommission:
"Mit Maenz verhandeln. "
"Der Sammler hat für sich entschieden, dass der weitere Verbleib seiner Kunstwerke dort für ihn persönlich nicht mehr vorderes Interesse hat. "
Jens Goebel ist als Thüringer Kultusminister der Vorsitzende des Stiftungsrates Weimarer Klassik. Er hat mit Maenz vielleicht nicht verhandelt, aber geredet.
"Und er hat aber gleichzeitig gesagt, dass dann, wenn wir in der Entwicklung einer Konzeption für das Neue Museum auf seine Bestände zurückgreifen wollen, er immer wieder zur Verfügung steht. "
Paul Maenz sagt: Das waren zwölf Jahren ohne jedes Konzept. Die einzige Frau, die Ahnung mitbringe, nämlich die Museumchefin, habe nichts zu bestellen. Er sei es leid, auf Watte zu beißen, freundliches Bedauern zu ernten. Er habe er nun keine Lust mehr.
Während sich die Feuilletons überschlagen, bleibt die Klassik-Stiftung wortkarg.
Das Neue Museum ist eine klaffende Lücke. Und noch scheint keiner zu wissen, wie sie zu füllen ist.
Unterwegs mit Hellmut Seemann, dem Direktor der Klassikstiftung Weimar, nach Oßmannstedt. Dem Vorzeigeobjekt. Ein Kulturort, der Bildungsort ist.
Er zeigt ihn viel lieber, als Details des Gutachtens zu diskutieren. Denn Seemann steht für die großen Linien...
Das frisch sanierte Wielandgut Oßmannstedt: Hier wohnte der Dichter, Verleger und Herausgeber Christoph Martin Wieland.
"Hier haben wir drei Räume, die die historischen Räume sind, in denen Wieland gewohnt hat. Die haben wir bestimmten Themen zugeordnet. Musik, Gäste – er hat einen europäischen Salon unterhalten – im letzten Raum geht’s um sein Arkanum: das Arbeitszimmer. "
Jan Phillip Reemtsma hat hier Herzblut gelassen, und viel Geld. Das Wielandgut wird Bildungsstätte.
"Hier können jetzt 20 Leute im Haus übernachten. Wir haben Tagungsräume, Aufenthaltsräume, Küche und Essraum. Das ist alles vorgesehen. Ist doch prima. "
Hier zeige sich, worum es eigentlich geht bei der Stiftung, schwärmt Seemann. Nämlich um die eigene Auseinandersetzung.
"Wenn sie Texte von Wieland mit Schülern besprechen, wird deutlich, was kulturelle Bildung so gut kann, nämlich das Erlebnis von Bildung als etwas, dass mit historischen Zusammenhängen zu tun hat, mit Selbstentwürfen, mit kollektiven Identitäten, mit nationalen Mentalitäten zu tun hat. Und wir wollen hier in Oßmannstedt so eine erste kleine Bildungszelle entwickeln. "
Dass sich die Stiftung öffnet, aus sich herausgeht, ist Forderung der Strukturkommission. Querschnittsaufgabe. Nicht umsonst sollen neben dem Präsidenten auch zwei Posten geschaffen werden. Nämlich einen für Forschung und einen für Öffentlichkeitsarbeit. Das sollen die beiden Stoßrichtungen. Doch konzeptionell ist noch kein großer Wurf in Sicht. Stiftungschef Seemann benennt mit Oßmannstedt und dem Kolleg Friedrich Nietzsche lediglich zwei weitere Inselchen.
Seemann: "Da gibt es viele, viele interessante Ansätze. Aber alle diese Ansätze in ein wirkliches, die Institute übergreifendes Konzept zu gießen, das ist etwas, dass jetzt beginnen kann, weil wir jetzt die strukturellen Grundlagen dafür gelegt haben. Aber was wirklich auch erst beginnt. "
Der Klassikstiftungspräsident sieht im Gutachten der Strukturkommission das Signal zum Aufbruch. Seine Aufgabe ist nun, eben dieses nach außen und vor allem nach innen zu kommunizieren.
In vier Jahren wird Bilanz gezogen.
Die Stiftung hat eine Chance. Und eine Verpflichtung.
Kulturstaatsministerin Christina Weiss zum Richtfest der Anna-Amalia Bibliothek vor wenigen Wochen in Weimar.
"Es sind die Ideen der Aufklärung und des Idealismus, es sind die Ideen der Freiheit und des Fortschritts, der Bildung und der Kultur, der Toleranz und die Ideen, die überall in Deutschland durch und mit Büchern etabliert worden sind. "
Weimar ist ein magischer Ort. Geistreich und beschaulich. Doch die schöne Fassade trügt. Denn das Gutachten der hochkarätig besetzten Strukturkommission, das die Klassikstiftung zu beleuchten hatte, stellt dem wahren Zustand des großen Erbes ein zu Teilen vernichtendes Zeugnis aus.
" Insgesamt sind die Lagerbedingungen völlig unzureichend.
Große Komplexe sind auf säurehaltigen Kartons montiert.
Durchgängig unzureichende Aufbewahrung.
Die konservatorischen Standards sind nicht gegeben.
In etlichen Fällen als akut substanzgefährdend einzuschätzen.
So erweist sich das für die Pflege des umfangreichen Materials nötige Personal als völlig unzureichend. "
94 Seiten stark ist der Kommissionsbericht. 94 Seiten Analyse, Bewertung, Schlussfolgerungen. Goethes Zeichnungen beispielsweise verfallen langsam, heißt es nüchtern. Zehn Blätter würden pro Jahr restauriert. Die Direktion sagt selbst, dass mit einem Abschluss der Maßnahmen in 200 Jahren zu rechnen ist.
" Es liegt keine systematische Planung für die zu erstellenden Bestandskataloge vor.
Die Direktion hat noch kein Forschungskonzept erarbeitet.
Die Stiftung verfügt über keinen guten technischen Stand mit Computern und schnellen Netzen.
Es geht eine nachdrückliche Tendenz zur forschungsstrategischen Verinselung einher. "
Aber das ist nur der Anfang. Die Kommission kritisiert, es fehle eine Gesamtkonzeption, eine Idee, ein Selbstverständnis der Stiftung mit allen Beschäftigten. Sie spricht von "Versäulung" der einzelnen Abteilungen, von zu wenig Mut und zu viel Resignation, von überkommenen Strukturen. So bestehe die Gefahr, dass sich der Mehltau der Nostalgie auf Weimar legt. Das gelte es zu verhindern.
Unterwegs mit Angela Jahn, Sprecherin der Klassikstiftung, auf dem noch halb offenen Dach der Anna-Amalia-Bibliothek. Von was genau sprechen wir eigentlich, wenn wir Klassikstiftung sagen?
"Das ist der Bereich Museen, dazu gehören 24 Literaturmuseen, historische Häuser, Schlösser in Weimar und Thüringen, das Goethe-Schiller Archiv, die Herzogin-Anna-Amalia- Bibliothek. "
24 Museen – das Goethes Wohnhaus, Goethes Gartenhaus, Schillers Wohnhaus, das Wittumspalais, das Römische Haus, das Liszt-Haus, das Nietzsche-Archiv und – erst recht – das Bauhausmuseum.
"Und dann muss man gehen bis Dornburg, dann muss man bis in den Thüringer Wald, Goethemuseum in Stützerbach und das Jagdhaus in Gabelbach und das Schillerhaus in Bauerbach, und man darf natürlich die Schlösser in der Umgebung Weimars nicht vergessen. "
Es ist schier unendlich! Das alles ist die Klassikstiftung. Der geneigte Besucher bräuchte Wochen, um es sich anzusehen.
Das alles soll unter einen Hut, unter eine Dachmarke, eine corporate identity.
Zu viel verlangt?
Emotional ein Aufbruch war – als sekundärer Krankheitsgewinn, wenn man so will – der Brand der Anna-Amalia-Bibliothek.
Jahn: "An solchen Balken hinter der Verkleidung hat sich das Feuer so weit ausgebreitet. "
Mit dem Verlust der verbrannten Bücher entstand quasi über Nacht ein Gefühl für das große Erbe. Wie automatisch öffneten sich Herzen und Geldbörsen.
"Was also weitgehend abgeschlossen ist, ist die Trocknung und Sicherung der Stuckdecke. "
In zwei Jahren ist die historische Anna Amalia Bibliothek wieder hergestellt und als Zentrum des alten Buches umgebaut. Jetzt schon stürmen Gäste den neuen Teil der Anna-Amalia-Bibliothek – das Studienzentrum mit Tiefenmagazin, nebenan. Bis zu sieben Führungen täglich gehen durch das Haus.
Jahn: "Das ist der zentrale Bereich hier, der Bücherkubus, wo die Architekten in moderner Form die Idee der Büchergalerie aufgenommen haben, vier Etagen oberirdisch, zwei Etagen unterirdisch. "
Die neue Anna-Amalia-Bibliothek ist eine Forschungsbibliothek für Literatur und Kulturgeschichte. Die Kommission bewertet sie ausdrücklich positiv, hält aber in Fragen der Forschung fest:
"Allerdings ist auch dieses Forschungskonzept von der in sämtlichen Forschungseinrichtungen der Stiftung vorherrschenden Neigung zur Autarkie in der Forschung geprägt. "
Na gut, sagt Michael Knoche, der Direktor der Herzogin-Anna-Amalia-Bibiliothek. Wir sind eine Forschungsbibliothek im Kreise anderer Forschungsbibliotheken. Wir können nicht nur unter der ‚Klassikphilosophie’ laufen.
Aber: Ist die Wahrnehmung falsch, dass hier Leute in ihren Buchten sitzen, miteinander nur per Dienstmitteilung kommunizieren und sklavisch an unendlichen Dienstanweisungen knabbern, statt mutig große Sprünge zu wagen?
"Ich kann schon begreifen, dass man von außen den Eindruck her haben kann, aber ich denke: die Perspektive aus Binnensicht ist eine andere. Ich denke, dass wir sehr motivierte Personen auf allen Ebenen, von der Leitung bis hin zu den Gärtnern haben, die sich mit ihrer Aufgabe identifizieren. Ich denke, dass wir nur sehr schwierige Rahmenbedingungen haben. "
Die Rahmenbedingungen also. Mitunter fehlten liquide Mittel, sagt er, um selbst neue Ordner für die Büros zu kaufen, so dass das Geld dafür gar aus der Spendenkasse genommen wurde.
"So war es im Grunde in allen Bereichen der Stiftungsarbeit: die finanzielle Ausstattung knapp, die rechtlichen Rahmenbedingungen ungeheuer eng, keine Planungssicherheit, und ein kompliziertes Dienstrecht im öffentlichen Dienst, dass auch Flexibilität nicht unbedingt fördert. "
Die Erwartungen von außen seien groß, der Spielraum dagegen minimal.
"Genau: wir sollen springen, werden aber immer hinten fest gehalten. "
Auf seinem Schreibtisch von Carl August - mit 500 Holzproben, die man herausziehen kann - liegen bereits andere, ältere Analysen, eigene Reformvorschläge. Auch das Material des Gutachtens der Strukturkommission stamme zu großen Teilen aus dem eigenen Haus, sagt Knoche. Es kann nicht überraschend sein.
Aber: Woran scheiterte es? Daran, dass der öffentliche Druck nicht groß genug war, intern Reformen durchzusetzen?
Wohl möglich. Dieses Gutachten jedenfalls soll nun der Hebel sein, die Dinge in Gang zu bringen, hofft Michael Knoche. Zum Beispiel das umfassende Forschungskonzept, an dem er mitarbeitet. Mit dem könnten - man staune - quer durch die Häuser Themen bearbeitet werden.
Ein paar Schritte über den Markt, vorbei an der Ecke Schillerstraße geht es zum Frauenplan. Hier, in Goethes Wohnhaus, hat Ernst-Gerhard Güse sein Büro, der Direktor aller zur Stiftung gehörender Museen.
"Solange ich in Weimar tätig bin – und das sind zwei Jahre jetzt – wird stiftungsintern über neue Strukturen gesprochen. Und vieles davon ist auch fixiert worden. Es war der Stiftung ganz klar, dass in einzelnen Bereichen sich Dinge verändern mussten, die seit Wende nicht angegangen worden sind. "
So ist kurz nach Erscheinen des Gutachtens die Grafische Sammlung gerettet worden, durch Umzug in ein Interims-Quartier. Kulturstaatsministerin Christina Weiß sei Dank. Eine Hausaufgabe der Strukturkommission wurde also erledigt. Zig andere müssen folgen. Ein zentrales Depot, klimatisiert und gesichert, wurde gefordert, der Ausbau des Schlussmuseums als zentrale Mitte, als Ausgangspunkt. Gern, sagt Güse. Aber wie bezahlen? Von den jährlich zur Verfügung stehenden Investitionsmitteln von 4,6 Mio Euro für die gesamte Stiftung? Die finanziellen Spielräume sehen also nicht ganz so üppig aus.
Güse: "Also die Bezeichnung ‚nicht ganz so üppig’ ist ein Euphemismus. Es sieht eigentlich schlecht aus. "
Der Direktor aller Museen ist also skeptisch. Ebenso bei der Forderung nach internem Controlling, erst recht nach Strategien, nach konkreten Zielen, die kein Geld kosten. Nur Schweiß. Und Lust an der Fortentwicklung.
Doch Lust in Weimar scheint eingegipst.
Einfacher handelbar dagegen ist der Vorschlag, einige Museen von der Liste zu streichen. Dazu zählen das Schillermuseum Bauerbach, wie auch die Häuser in Gabelbach und Stützerbach im Thüringer Wald.
"Es sind Entscheidungen, die unabweisbar sind für die Stiftung. "
Schmerzhafte Schnitte stehen also bevor. Schmerzhafte Abschiede gab es diesen Monat schon. Allerdings anderer Art.
Der Berliner Galerist Paul Maenz, der dem Neuen Museum in Weimar, das natürlich auch zur Stiftung gehört, eine umfangreiche Sammlung zeitgenössischer Kunst zur Verfügung gestellt hat, holt sie wieder ab.
Zuminderst den Teil, den er nicht Weimar geschenkt hat, oder den die Stiftung ihm nicht abgekauft hat. Große flache Pakete, sorgsam beschriftet, werden in den Umzugswagen gebracht.
Das Depot des Neuen Museums, dass auch nach Ansicht der Strukturkommission mit Gegenwartskunst prall gefüllt sein soll, leert sich.
Im Gutachten heißt es:
"Alles in allem bleibt zu betonen, dass das Neue Museum als Ort zeitgenössischer Kunst die Möglichkeiten bieten würde, in Weimar mit seinem immensen Erbe den Anschluss an die Gegenwart zu gewinnen. "
Und als Sofortmaßnahme empfiehlt die Kommission:
"Mit Maenz verhandeln. "
"Der Sammler hat für sich entschieden, dass der weitere Verbleib seiner Kunstwerke dort für ihn persönlich nicht mehr vorderes Interesse hat. "
Jens Goebel ist als Thüringer Kultusminister der Vorsitzende des Stiftungsrates Weimarer Klassik. Er hat mit Maenz vielleicht nicht verhandelt, aber geredet.
"Und er hat aber gleichzeitig gesagt, dass dann, wenn wir in der Entwicklung einer Konzeption für das Neue Museum auf seine Bestände zurückgreifen wollen, er immer wieder zur Verfügung steht. "
Paul Maenz sagt: Das waren zwölf Jahren ohne jedes Konzept. Die einzige Frau, die Ahnung mitbringe, nämlich die Museumchefin, habe nichts zu bestellen. Er sei es leid, auf Watte zu beißen, freundliches Bedauern zu ernten. Er habe er nun keine Lust mehr.
Während sich die Feuilletons überschlagen, bleibt die Klassik-Stiftung wortkarg.
Das Neue Museum ist eine klaffende Lücke. Und noch scheint keiner zu wissen, wie sie zu füllen ist.
Unterwegs mit Hellmut Seemann, dem Direktor der Klassikstiftung Weimar, nach Oßmannstedt. Dem Vorzeigeobjekt. Ein Kulturort, der Bildungsort ist.
Er zeigt ihn viel lieber, als Details des Gutachtens zu diskutieren. Denn Seemann steht für die großen Linien...
Das frisch sanierte Wielandgut Oßmannstedt: Hier wohnte der Dichter, Verleger und Herausgeber Christoph Martin Wieland.
"Hier haben wir drei Räume, die die historischen Räume sind, in denen Wieland gewohnt hat. Die haben wir bestimmten Themen zugeordnet. Musik, Gäste – er hat einen europäischen Salon unterhalten – im letzten Raum geht’s um sein Arkanum: das Arbeitszimmer. "
Jan Phillip Reemtsma hat hier Herzblut gelassen, und viel Geld. Das Wielandgut wird Bildungsstätte.
"Hier können jetzt 20 Leute im Haus übernachten. Wir haben Tagungsräume, Aufenthaltsräume, Küche und Essraum. Das ist alles vorgesehen. Ist doch prima. "
Hier zeige sich, worum es eigentlich geht bei der Stiftung, schwärmt Seemann. Nämlich um die eigene Auseinandersetzung.
"Wenn sie Texte von Wieland mit Schülern besprechen, wird deutlich, was kulturelle Bildung so gut kann, nämlich das Erlebnis von Bildung als etwas, dass mit historischen Zusammenhängen zu tun hat, mit Selbstentwürfen, mit kollektiven Identitäten, mit nationalen Mentalitäten zu tun hat. Und wir wollen hier in Oßmannstedt so eine erste kleine Bildungszelle entwickeln. "
Dass sich die Stiftung öffnet, aus sich herausgeht, ist Forderung der Strukturkommission. Querschnittsaufgabe. Nicht umsonst sollen neben dem Präsidenten auch zwei Posten geschaffen werden. Nämlich einen für Forschung und einen für Öffentlichkeitsarbeit. Das sollen die beiden Stoßrichtungen. Doch konzeptionell ist noch kein großer Wurf in Sicht. Stiftungschef Seemann benennt mit Oßmannstedt und dem Kolleg Friedrich Nietzsche lediglich zwei weitere Inselchen.
Seemann: "Da gibt es viele, viele interessante Ansätze. Aber alle diese Ansätze in ein wirkliches, die Institute übergreifendes Konzept zu gießen, das ist etwas, dass jetzt beginnen kann, weil wir jetzt die strukturellen Grundlagen dafür gelegt haben. Aber was wirklich auch erst beginnt. "
Der Klassikstiftungspräsident sieht im Gutachten der Strukturkommission das Signal zum Aufbruch. Seine Aufgabe ist nun, eben dieses nach außen und vor allem nach innen zu kommunizieren.
In vier Jahren wird Bilanz gezogen.
Die Stiftung hat eine Chance. Und eine Verpflichtung.