Insel der Freiheit mitten in Budapest

09.08.2013
Es ist das größte Kulturevent des Jahres in Ungarn und auch das größte multikulturelle Musikfestival Europas: das Sziget-Festival auf der Budapester Insel in Obuda unweit der größeren Margaretheninsel. Seit 21 Jahren gibt es dieses Festival bereits und es zieht die Jugend aus ganz Europa nach Ungarn.
Es war die Überraschung der ersten Zugabe im grandiosen Quimby-Konzert am traditionellen "nullten" Tag des Festivals, einen Tag vor der offiziellen Eröffnung. Auf der Bühne spielte Alice, eine junge Frau aus Indonesien, mit "Most mulik pontosan" einen der populärsten, ungarischen Song der letzten Jahre. An diesem Abend war die große Bühne mit circa 50.000 Zuschauern ganz in ungarischer Hand. Die Quimby-Musiker sorgten für eine gute Show gehören aber nicht zu den Künstlern, die sich politisch äußern. Dabei haben die Veranstalter in diesem Jahr ganz bewusst ihr Sziget-Festival "Island of Freedom" getauft. Das gibt die in München aufgewachsene Programmdirektorin Fruzsina Szép gerne zu:

"Das war schon immer unser geheimes Motto. Aber wir haben uns gedacht, wir sollen es nicht weiter geheim halten, wir stehen auch dazu, dass wir die Island of Freedom sind, also die Insel der Freiheit...Wir sind ein privates Festival, in dem Sinne können wir uns so eine kleine Ironie erlauben."

Nach wie vor versuchen die derzeitigen Machthaber in Ungarn Sziget zu behindern. Regierungstreue Medien ignorieren das Festival oder suchen kleinlich nach Skandälchen wie der Lärmbelästigung oder teureren Eintrittskarten, die aber nur um ca. drei Euro gestiegen sind. Fruzsina Szép ärgert sich auch über die Durchsetzung des Tabakmonopols auf der Insel. Überall in Budapest sieht man diese hässlichen Symbole mit der Aufschrift "Nemzeti Dohánybolt" also "Nationaler Tabakladen mit dem erschreckend, faschistoiden rot-schwarzen Symbol "ab 18", das auch für die neue "Law and Order"-Politik steht. Niemand unter 18 darf einen Tabakladen betreten. Alle Konzessionen wurden neu ausgeschrieben, oft an treue Fidesz-Parteimitglieder und ihre nächsten Verwandten. Die Ausweiskontrolle mit Lichtbild auch auf der Insel ist einfach nur lächerlich. Erfreulicherweise steht Sziget für ganz andere Werte.

"Sziget gibt es seit 1993 und diese Offenheit, die war sehr wichtig für uns. Deswegen haben wir auch in diesem Jahr Künstler aus 60 Ländern...Ich find's immer schön zu sehen, dass sich unsere Gäste miteinander sehr gut verständigen können. Egal aus welchem Land sie kommen, egal was für ne Hautfarbe, egal was für eine Sprache sie sprechen oder egal was für eine sexuelle Orientierung sie haben."

Diese Offenheit spürt man auch bei der Musikzusammenstellung. So spielen auf der großen Bühne Bands wie SKA-P aus Spanien, die sich politisch klar und eindeutig präsentieren: ganz links, für die lateinamerikanischen Revolutionen, gegen Israel und für Palästina. Die Musik ist mitreißend, massentauglich, aber die Message kommt schon sehr einseitig, und unreflektiert herüber. Dem Publikum gefällt es trotzdem.

"Die Ärzte" waren in ihrem sehr unterhaltsamen Konzert da schon viel ironischer, auch wenn die Absage nach ihrer Anti-Nazi Hymne "Arschloch" eindeutig auf den Skandal in Ungarn anspielte, das man den Roma in einer Kleinstadt bei 37 Grad das Wasser abdrehte, wegen angeblicher "Wasserverschwendung".

"Mir fällt gerade auf, dass der Text hauptsächlich das Fußvolk der Nazis beschreibt. Es gibt auch Leute, die bieten sehr einfache politische Lösungen an. The Song we just sang was basically about the stupid thugs that you see on TV all the time, but there is a more menacing kind of fascists, the kind that offers very simple solutions to complex problems saying oh this group is to blame...or take away the water from them."

Nicht nur der Wasserskandal beherrscht derzeit die liberale, ungarische Presse. So möchten ein Drittel aller Studenten das Land verlassen. Peinlich für die nationalistische Fidesz-Regierung ist auch, dass die Geburtenrate die niedrigste in ganz Europa ist. Da wirken die Bemühungen von Viktor Orban und seiner Mannschaft um ein starkes, gesundes Ungarn nur hohl.

Glücklicherweise gibt es das andere Ungarn, das sich auch kulturpolitisch manifestiert. Derzeit findet in Budapest eine große Egon Schiele-Ausstellung statt und im September gibt es wieder das große "Jüdische Sommerfestival". Beide Veranstaltungen werden großflächig beworben. Das Potenzial ist da, findet auch der Musikchef von Funkhaus Europa, Francis Gay, der ein ausgesprochener Sziget-Fan ist und mit seinem Sender in diesem Jahr über 30 Stunden lang live berichtet.

"Also erst mal ist für uns total wichtig hier zu sein, weil Sziget das größte Musikfestival in Europa ist. Es ist auch in einer Kulturgegend, über die man im Grunde viel zu oft sehr negativ berichtet. Wir haben den Eindruck, dass Sziget einen Mehrwert hat und zwar für unsere Hörer, für die gesamte Öffentlichkeit und hier wird Bemerkenswertes geleistet. Die Orban-Regierung arbeitet daran, die Freiheit der Menschen zu reduzieren in diesem Land, arbeitet daran eine Grenze zwischen diesem Land und dem restlichen Europa zu bauen. Genau das Gegenteil machen die Macher vom Sziget-Festival und das ist bemerkenswert."

Als Franzose freut sich Francis Gay auch über die starke, musikalische Beteiligung aus Frankreich, wie gestern Abend von Rachid Taha, der auf der Weltmusikbühne die Massen begeisterte. Zu den Höhepunkten bisher gehörte auch der Auftritt der britischen Band "Skunk Anansie".

Erwartet werden noch am Wochenende die russische Kultband "Leningrad" und das neue Pop-Chanson Wunder ZAZ aus Frankreich. Heute spielen dann "Seeed" aus Deutschland erstmals beim Festival und auch Dank einer sehr engagierten Hamburger Marketingagentur sind wieder bis zu 30 Prozent mehr Besucher aus Deutschland beim Festival. Und vielleicht klappt es ja in Zukunft dann endlich mal mit einem "Sonderzug nach Sziget", wie er schon lange geplant ist.