Insekten als Lebensmittel

Geröstete Grillen, frittierte Maden und Insektenburger

Frittierte Würmer
Frittierte Würmer sollen wegen des hohen Proteingehaltes sehr gesund sein. © imago stock & people
Von Udo Pollmer · 02.02.2018
In vielen Ländern der Welt gelten Insekten als ein wichtiger Bestandteil der Ernährung. Bei den meisten Europäern ruft der Gedanke, Insekten zu essen, noch Ekel hervor. Und das hat auch einen guten Grund, meint Udo Pollmer.
Es hat geklopft! Die nächste Ernährungsmode begehrt Einlass: "Wir wollen Insektenessen alltäglich machen", flötet der nette Herr und bietet Käferklopse und Madenburger zum Verkosten. Auf der Grünen Woche hatten die Leckereien ihren großen Auftritt.
Nur weil die kleinen Krabbler in den Lebensmittelpackungen bisher nicht in der Zutatenliste aufgeführt waren, heißt das noch lange nicht, dass sie nicht drin gewesen wären: Seit jeher bereichern Motten, Käfer und Mäuseköttel unser Brotgetreide, um schließlich feinvermahlen im Mehl zu enden. Mittlerweile sind Insekten dank des Hygienemanagements der Betriebe zwar auf dem Rückzug, aber nicht wirklich totzukriegen.

Alternative zum Fleisch?

Nun kommen die verhassten Schädlinge unter großem Hallo zurück, diesmal als Alternative zum Fleisch. Die Mehlwürmer sollen das Ende der "Massentierhaltung" einläuten. Der Widersinn blieb im Rahmen der Begeisterung vielfach unbemerkt: Wenn irgendetwas das Etikett Massentierhaltung verdient hat, dann die Insektenmast. Um einen Bullen zu ersetzen, braucht man Millionen von Mehlwürmern, gemästet mit Getreide. Während man den Mastbullen erst betäubt und dann schlachtet, werden die zahllosen Wurm-Individuen durch Erfrieren ins Jenseits befördert.
Die Branche hält diese Art der Tötung für ethisch okay. Doch die stille Zustimmung zum Tod durch Erfrieren kann schnell in Empörung umschlagen. Beispiel: "Tragik im Flohzirkus – 300 Tiere sterben Kältetod." Die Nachricht vom Schicksal der Blutsauger sorgte im Netz für Erstaunen. Nur unsere Tierrechtler dürften erleichtert gewesen sein. Denn damit blieb den sportlichen Hüpfern das Leid erspart, an einer Drahtschlinge Wägelchen ziehen zu müssen. Schon fragen Experten: Darf man Insekten überhaupt nutzen? Gilt hier nicht das Gleiche wie für Rinder?
Der neue Fleischatlas erklärt, warum Insekten dennoch besser sind: Sie brauchen weniger Platz, weniger Wasser und weniger Futter. Das stimmt garantiert – bezogen aufs Einzeltier. Insekten sind wechselwarm. Die Kalorien, die ein Rind frisst, um seinen Körper warmzuhalten, der mit einem Fell isoliert ist, muss man bei Insekten per Heizung zuführen. Abstrus ist die Behauptung des Fleischatlas, Insekten enthielten gewöhnlich 60 Prozent Eiweiß. Fangfrische Grillen enthalten 7 Prozent, Heuschrecken und Termiten 15 Prozent, Mehlwürmer bringen es auf bis zu 20 Prozent. Während vom Rind oder Schwein heute praktisch alles verwertet wird, bleiben bei Insekten die wertlosen Panzer, Flügel und Beine übrig.

Der Ekel hat gute Gründe

Vor dem Verzehr von Maden muss erst der Ekel überwunden werden. Der aber hat gute Gründe: Malariamücken, Läuse und Zecken übertragen furchtbare Krankheiten. Stubenfliegen waschen sich nicht die Füßchen, wenn sie vom Katzenklo den Kartoffelsalat ansteuern. Deshalb ist der erlernte Ekel vor potentiellen Hygieneschädlingen äußerst nützlich. Anders in tropischen Regionen mit unsicherer Nahrungsversorgung und niedrigem Hygienelevel: Dort lassen sich fette Insekten mühelos in rauen Mengen ernten.
Manchmal sind auch kleinere Happen willkommen. Vor 40 Jahren lernten die Kambodschaner ihre Spinnen kennen und lieben. Ursprung dieser kulinarischen Leidenschaft war die legendäre Agrarwende. Der damalige Präsident Saloth Sars war vom einfachen Leben der Bergvölker angetan und wünschte sich diese Naturerfahrung auch für seine Mitbürger. Alle mussten nun auf den Reisfeldern an der frischen Luft arbeiten, sie kochten gemeinsam und bekamen das gleiche Essen, meistens ein Schälchen Reis. Es gab weder Zuckerzeug noch Fleisch.
Aufgrund der mageren Ernte wurden den Bürgern nur so viele Kalorien zugestanden, wie bei einer Brigittediät. Um den kargen Speiseplan anzureichern, begann die Bevölkerung, heimische Taranteln zu braten. Bis heute eine Spezialität.
Die Wertschätzung für Insekten teilt sogar die Unterwelt: In der Not frisst selbst der Teufel Fliegen. Mahlzeit!

Literatur:
EU: Verordnung (EU) 2015/2283 des Europäischen Parlaments und des Rates über neuartige Lebensmittel. Amtsblatt der EU 11.12.2015, L 327, (8)
Kienzl P: Fünf Gründe, warum wir Insekten statt Geflügel und Rind essen sollten. Ze.tt vom 10. Januar 2018
Anon: Insekten als Nahrung: Lebensmittel-Trendsetter im Dschungelcamp. Stiftung Warentest 28. Jan. 2014
Wildermuth V: Das Fleisch der Zukunft hat sechs Beine. Deutschlandfunk Kultur 8. April 2012
Menzel P, D’Alusio F: Man Eating Bugs. Ten Speed Press, Berkely 1998
Van Hius A et al: Edible Insects. FAO Forestry Paper 171, Rome, 2013
Pollmer U: Der "Insektenburger" ist ethisch problematisch. Deutschlandfunk Kultur: Mahlzeit vom 22. Juli 2016
Heinrich-Böll-Stiftung / BUND / Le Monde Diplomatique (Hrsg): Fleischatlas. Berlin 2018.
Defalco RC: Justice and starvation in Cambodia: The Khmer Rouge famine. Cambodia Law & Policy Journal 2014; 2: 45-84
Platthaus M: Insektenlarven verstärken Klimaerwärmung. Laborpraxis 22. März 2017
Michail N: Danish supermarket pulls insects from shelves. Food Navigator.com 20. März 2015
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