Innenpolitik-Experte Wiefelspütz (SPD)

Anti-Terror-Katalog der Union ist "unseriös"

Verschleierte Frauen in Offenbach
Verschleierte Frauen in Offenbach © dpa / picture alliance / Boris Roessler
Dieter Wiefelspütz im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 11.08.2016
Die Unionsparteien fordern zur Terror-Abwehr unter anderem ein Burka-Verbot und die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft. Der Innenpolitik-Experte Dieter Wiefelspütz (SPD) hält dies für gefährlich: Die aktuelle Rechtslage sei ausreichend.
Der Innenpolitik-Experte und ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Dieter Wiefelspütz hält den Maßnahmen-Katalog der Unionsparteien zur Abwendung von Terrorgefahr in großen Teilen für "unsinnig" und "unseriös".
Wiefelspütz sagte zu den Vorschlägen im Deutschlandradio Kultur, schon jetzt gebe es eine Möglichkeit, beispielsweise Beichtgeheimnis und ärztliche Schweigepflicht zu brechen, wenn es "um Leben oder Tod" gehe: "Wir haben jetzt schon eine völlig ausreichende Rechtslage … Und ich kann nicht erkennen, dass wir an dieser Stelle einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf hätten."
Dieter Wiefelspütz, SPD-Bundestagsabgeordneter
Dieter Wiefelspütz, SPD-Bundestagsabgeordneter© picture alliance / ZB / Karlheinz Schindler
Selbstverständlich sei es sinnvoll, die Sicherheitsarchitektur regelmäßig zu überprüfen, betonte Wiefelspütz. Doch der Maßnahmen-Katalog der Union enthalte zum Teil einfach "Unsinn". Dazu gehöre das vorgeschlagene Burka-Verbot. Dann müsse man auch das Tragen von verhüllenden Kapuzenpullis und Sonnenbrille verbieten. "Das kann man nicht verbieten. Man kann gegen Straftaten vorgehen." Wenn jemand aus religiösen Gründen eine Burka trage – "das muss eine entwickelte Gesellschaft, ein demokratischer Rechtsstaat aushalten. Und das halten wir auch aus".
Wiefelspütz sagte weiter, große Sorge bereite ihm der formulierte Wille, die doppelte Staatsbürgerschaft abzuschaffen. Auf Pro-Erdogan-Demonstrationen mit solchen Vorschlägen zu reagieren, sei "Unfug und gefährlich". Dafür werde es keine Mehrheit geben.

Das Interview im Wortlaut:

Korbinian Frenzel: Wenn Ärzte ahnen, ihr Patient könnte zum Gewalttäter oder gar zum Terroristen werden, dann soll ihre Schweigepflicht künftig gelockert werden. Eine Maßnahme ist das, die bereits durchgesickert ist, aus einem Katalog, den der Bundesinnenminister heute vorstellen wird, Thomas de Maizière, ein Katalog unter dem Titel "Erhöhung der Sicherheit in Deutschland". Klingt gut, klingt notwendig nach all dem, was wir in den letzten Wochen erlebt haben, aber ist es das auch, oder eher sicherheitspolitischer Placebo-Verabreichung? Fragen wir einen Politiker, der vielleicht offener sprechen kann als seine aktiven Kollegen: Der langjährige SPD-Innenexperte und frühere Bundestagsabgeordnete Dieter Wiefelspütz. Guten Morgen, ich grüße Sie!
Dieter Wiefelspütz: Guten Morgen!
Frenzel: Brauchen wir all das, oder brauchen das in erster Linie die Politiker, um so etwas wie Handlungsfähigkeit zu demonstrieren?
Wiefelspütz: Unsere Sicherheitspolitik steht in Deutschland sicherlich unter Herausforderungen, die sehr ernsthaft sind, darüber kann man ja gar nicht wirklich streiten. Es ist auch völlig in Ordnung, wenn politische Parteien ihre Vorstellungen vortragen. In diesem extrem wichtigen Bereich, der inneren Sicherheit, wäre es aber doch ganz schön, wenn die Vorstellungen seriös sind und realisierungsfähig sind. Und das ist bei dem Katalog, der da jetzt bekannt geworden ist der Unionsinnenminister, zum Teil doch sehr fragwürdig.

Enttäuscht von de Maizière

Frenzel: Auf den gehe ich gleich gern noch mal ein. Aber vielleicht noch mal zunächst die Frage, wie man so politisch damit umgeht. Dieser Vorstoß mit der Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht zum Beispiel. Das klingt ja ganz vernünftig. Das Interessante ist, genau das, was der Innenminister will, ist ja offenbar jetzt schon Gesetzeslage. Ist das ein alter Politikertrick, auch etwas zu fordern, was es schon längst gibt?
Wiefelspütz: Ich finde das im Grunde nicht wirklich seriös. Oder man könnte es auch schärfer formulieren, das will ich mir jetzt hier schenken. Ich halte Herrn de Maizière für einen sehr seriösen Innenminister, kein Scharfmacher, ein liberaler Konservativer, deswegen enttäuscht mich so etwas. Sie haben völlig recht, dass die ärztliche Schweigepflicht, auch das Beichtgeheimnis, das anwaltliche Berufsgeheimnis sind durchbrochen, wenn es um schwerste Gefahren für Leib und Leben geht.
Das heißt, wir haben jetzt schon eine ausreichende Rechtslage, das heißt, ein Arzt kann und muss Informationen an die Polizei weitergeben, wenn es wirklich um Leben oder Tod geht. Und ich kann nicht erkennen, dass wir an dieser Stelle einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf hätten. Die Rechtslage ist völlig ausreichend und ermöglicht in Extremsituationen das Nötige.
Frenzel: Wie beweist denn Politik dann am besten Handlungsfähigkeit in so aufgeheizten Zeiten, wie wir sie gerade erleben? Es ist ja ziemlich unbefriedigend zu hören, liebe Bürger, am Ende können wir leider auch nichts machen, es gibt schon alle Gesetze, wollen wir hoffen, dass sie wirken.

Die Sicherheitsbehörden stehen unter Druck

Wiefelspütz: Nein, es macht durchaus Sinn, immer wieder aufs Neue, und das darf auch nie aufhören, die Sicherheitsarchitektur unseres Landes zu überprüfen und zu würdigen, wo können wir und wo müssen wir besser werden. Und ich glaube, in diesem Katalog steht ja auch das eine oder andere drin, was Konsens ist im politischen Berlin oder im politischen Deutschland. Unsere Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern benötigen mehr Personal. Das ist ein großer Konsens zwischen allen wichtigen politischen Parteien in Deutschland, und das wird jetzt auch angegangen oder ist auch schon angegangen. Allerdings dauert das auch einige Jahre, bis dann Schritt für Schritt das Personal ausgebildet ist und sozusagen eingesetzt werden kann.
Aber das ist so ein Punkt, den man natürlich besprechen muss und der auch vorgetragen werden muss. Unsere Sicherheitsbehörden stehen unter Druck, und damit muss man umgehen können, und wir müssen auch an der einen oder anderen Stelle besser werden, obwohl, insgesamt gesehen, finde ich, ohne irgendetwas zu beschönigen, wir eigentlich eine sehr tüchtige Polizei haben, die auch sehr leistungsfähig ist insgesamt.
Frenzel: Das ist sozusagen die seriöse Beschreibung, die Sie gerade vorgenommen haben, die seriösen Maßnahmen aus Ihrer Sicht. Sie haben ja schon angesprochen, die Sie finden bei den CDU-Innenministern, die da nächste Woche in der Berliner Erklärung veröffentlicht werden sollen. Machen wir doch mal ein kleines Ranking: Was ist denn für Sie der unsinnigste Vorschlag Ihrer CDU-Kollegen?
Wiefelspütz: Das unsinnigste ist das Burka-Verbot, weil das mit innerer Sicherheit überhaupt nichts zu tun hat. Ich bin also nun kein Fan von dieser Bekleidung, aber, schauen Sie, jeder junge Mann könnte heute einen Kapuzenpullover tragen und eine schwarze Sonnenbrille – und das tun sie ja auch manchmal, also auch Gewaltbereite ganz links und ganz rechts tun so etwas. Das kann man nicht verbieten. Man kann gegen Straftaten vorgehen. Aber jemand, der aus religiösen Gründen eine Burka trägt – das muss eine entwickelte Gesellschaft, ein demokratischer Rechtsstaat aushalten, und das halten wir auch aus.
Frenzel: Was ist der unsinnigste Vorschlag Nummer zwei?
Wiefelspütz: Sehr ernsthaft, und das macht mir schon Sorgen, dass so was überhaupt thematisiert wird, das ist die Behauptung oder der Wille, die doppelte Staatsbürgerschaft abzuschaffen. Auch da gibt es keinen Zusammenhang mit der inneren Sicherheit. Weil es da jetzt Erdogan-Demonstrationen in Deutschland gegeben hat, über die man sicherlich auch kritisch diskutieren kann, gleich die ganze doppelte Staatsbürgerschaft nicht nur in Frage zu stellen, sondern abzuschaffen, halte ich für Unfug, im Grunde auch für gefährlich. Hier werden Erwartungen geweckt, die völlig unrealistisch sind. Es wird niemals eine Mehrheit geben in Deutschland, um so etwas zurückzudrehen. Es ist auch von der Sache her völlig unsinnig, weil es keinen Zusammenhang mit Sorgen im Bereich der inneren Sicherheit gibt.

Wo ist der Wirklichkeitsgehalt

Frenzel: Glauben Sie denn, dass Ihre CDU-Kollegen an der Stelle denken, das würde was bringen, also, dass sie das wirklich ernst meinen, oder dass sie das sagen, weil sie denken, so was kommt in der Bevölkerung gut an?
Wiefelspütz: Das ist im Grunde das, was ich wirklich nicht sehr seriös finde. Noch mal: Dass politische Parteien ihre Positionen vortragen, auch schärfen, zuspitzen – völlig in Ordnung. Aber sie sollten schon Wirklichkeitsgehalt haben. Sie sollten seriös sein, und das ist eben halt bei der einen oder anderen Forderung erkennbar nicht der Fall. Die Fachleute, auch auf der Unionsseite, wissen ja auch ganz genau, dass das nicht realisierbar ist. Fast alles, was wirklich wichtig ist im Bereich der inneren Sicherheit in Deutschland, bedarf breitester Mehrheiten im Bundestag und im Bundesrat.
Und das heißt, da muss es ein Okay geben auch der SPD, auch der Bündnisgrünen, und das ist erkennbar ja bei zahlreichen dieser Positionen nicht der Fall. Dieser Konsens wird also niemals Wirklichkeit. Könnte man deswegen an die Seite legen als niemals realisierbare Forderungen, aber trotzdem meine ich, es wird an der einen oder anderen Stelle zu sehr, werden zu sehr Stimmungen bedient in der Hoffnung, damit Punkte zu machen, statt seriöse und nachhaltige Sicherheitspolitik.
Frenzel: Maßnahmen gegen den Terror. Der SPD-Politiker Dieter Wiefelspütz über den Sinn und Unsinn der Katalogitis. Herr Wiefelspütz, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Wiefelspütz: Schönen Tag und danke sehr!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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