Innenleben eines Kriegers

05.10.2006
In "Gottes kleiner Krieger" verhandelt der Schriftsteller ein Phänomen, dem sich in dieser Saison etliche seiner Kollegen widmen: Yasmina Khadra in "Die Attentäterin", John Updike in "Terrorist" und Christoph Peters "Ein Zimmer im Haus des Krieges". Es geht um religiösen Extremismus, um das Innenleben eines Kriegers, der zwar die Fronten und damit die Religionen wechselt - doch dabei seine radikale Weltsicht immer mitnimmt.
Als Familienerzählung in Bombays besseren muslimischen Kreisen beginnt der Roman - mit viel situativer Komik und einer sehr genauen Charakterisierung des Spannungsfeldes zwischen liberaler Weltläufigkeit und verbotsgeladener Religiosität. Allerdings erliegt Zia schon sehr früh der Faszination von Begriffen wie Schicksal und Berufung, er spürt die Attraktion des Bösen geradezu körperlich und schlägt sich auf die andere Seite, verfolgt seine Mission als "Auserwählter".

Das Buch entwickelt weder die Demütigungsgeschichte eines Deklassierten, noch die Heilsgeschichte eines Entwurzelten, es sucht auch nicht nach historischen und politischen Gründen eines wie auch immer fehl geleiteten Widerstandes. Kiran Nagarkar interessiert sich ausschließlich dafür, wie jemand tickt, der zum Äußersten bereit ist. Er konzentriert sich auf den Innenraum aus Unbedingtheit, Dunkelheit und Destruktion, auf den Umschlag von Hingabe in Fanatismus. Das erklärt seine Distanz zu Gewaltszenen.

Zia Khan, der in England erste akademische Erfolge für sich verbucht und selbst eine Liebesgeschichte als Bekehrungsprojekt anlegt, sucht in Kashmir und Afghanistan Einsatzfelder als Kämpfer und wird zu einem geachteten Anführer. Aus diesem Leben steigt er wieder aus - wegen einer noch größeren Sache. Er bekehrt sich nämlich zum Christentum und findet als Mönch in ein amerikanisches Trappistenkloster. Bald genügt es Bruder Lucens, wie er nun heißt, jedoch nicht mehr, eifriger Diener der Gemeinschaft zu sein. Sein absoluter von jeder Empathie gereinigter Anspruch, die Glaubensideale perfekt umzusetzen, schlägt erneut durch. Als Gesinnungspolizist treibt er einen Mitbruder mit homosexuellen Neigungen in den Tod, beginnt außerhalb des Klosters Jagd auf Abtreibungsärzte zu machen und entwirft die Vision eines christlichen Amerika: generalstabsmäßig durchgeplant wie ein riesiges Umerziehungslager. Das Geld dafür sollen Waffengeschäfte bringen und eine seltsame Allianz mit einem Hindu- Guru, einem tandrischen "Herrn der Finsterniss", dem sich der Pater in ambivalenter Angst-Lust überantwortet. So lassen sich Versagensängste zurückdrängen und sämtliche Aktionen als Mittel zum Zweck rechtfertigen.

Nicht nur wegen der voneinander so entfernt liegenden Schauplätze und Kulturen ist Kiran Nagarkars Roman ein großer, ein wichtiger Roman. Seine Erkundungen des gefährlichen Potentials von abgeschotteten Glaubenssystemen machen deutlich, dass es sich nicht allein um ein Problem des Islam handelt. Auch im Konvertitentum lauert die Gefahr der Besserwisserei, der Unbedingtheit, des Machtanspruchs aufgrund einer neu gefundenen Wahrheit.
Seine Fragen nach Moral und Politik, nach Geschäftstüchtigkeit und persönlicher Integrität ergänzt der Schriftsteller um positive Gegenbilder: Zweifler und Zauderer, Ästheten und Spötter, zur Freundschaft fähige Melancholiker - und weitherzig Gläubige wie der Abt des Klosters. Außerdem ist der Roman aus vielen Formen und Stimmen zusammengesetzt: Da gibt es Bücher im Buch - die ersten schriftstellerischen Projekte Amanats, Briefwechsel mit der Familie. Christliche Werbespots für sexuelle Abstinenz und gegen Abtreibung verraten den Werbefachmann, als der Kiran Nagarkar lange Zeit seinen Unterhalt verdient hat. Auch Amanats vergebliche Versuche, mit Drehbüchern in der Filmbranche zu landen, ähneln den Erfahrungen des Autors, der im Übrigen mit dem einstigen Bollywood-Kinderstar Sagari eine bemerkenswert autonome Frauenfigur geschaffen hat.

Einem Dichter des 14. Jahrhunderts, Kabir, legt Kiran Nagarkar das Motto seines Romans in den Mund: "Es gibt nur eine einzige Gottheit, und sie heißt "Leben". Sie ist die einzige, die Verehrung verdient. Alles andere ist ohne Belang."

Rezensiert von Barbara Wahlster


Kiran Nagarkar:
Gottes kleiner Krieger

Aus dem Englischen von Giovanni und Ditte Bandini,
A 1 Verlag, München - 707 Seiten,
28,90 Euro.