Inklusion am Arbeitsplatz

Blumen verkaufen in Gebärdensprache

Ein bunter Blumenstrauß
Ein bunter Blumenstrauß © Deutschlandradio / Ellen Wilke
Von Anna Goretzki · 09.09.2015
Markus Klinke ist Florist und betreibt seinen eigenen kleinen Blumenladen in Berlin. Und: Markus Klinke ist gehörlos. Lange musste er gegen das Vorurteil kämpfen, er könne keinen Beruf ausüben, bei dem es auf Kommunikation mit Kunden ankommt.
- "Er empfiehlt weiße Blumen."
- "Ja."
- "Oder sommerliches Gesteck kann er auch machen."
- "Nee, dann würde ich lieber weiß nehmen. Weiß."
- "Ja, empfiehlt er auch. Das ist gut."
- "Mit Calla zum Beispiel. Mit Calla oder mit Lilien."
- "Na, dann würde ich lieber Lilien nehmen."
Weiße Lilien für ein Trauergesteck. Markus Klinke zeigt seinen Kunden auf einem Computermonitor eine Auswahl an Kränzen. Seine Assistentin Sarah Schwartz spricht die Worte aus, die Markus Klinke in Gebärdensprache formuliert.
- "Er hat ein Blatt und dann schreibt er das mit Gold drauf, was Sie mögen."
- "Ach so, statt Schleife."
- "Ja. Das war seine Idee, das so zu machen."
- "Ja, finde ich juht."
Markus Klinke bittet seinen Kunden, aufzuschreiben, was in Goldschrift auf dem großen Pflanzenblatt stehen soll:
- "Hier, schreibe uff."
- "Icke nich, ick kann nicht lesen."
- "E -i- n s- -t- i- l- l- e- r G- r- u - ß ...«
Markus Klinke, 37 Jahre alt, ist seit seiner Geburt taub. Er schloss eine Ausbildung zum Elektroinstallateur ab. Sein Traum war aber immer, Blumen zu verkaufen. Zuerst versuchte er das von zuhause aus, seit Januar hat er einen eigenen kleinen Laden. Klinkes Weg in die Selbstständigkeit war steinig:
"Alle haben gedacht, ich bin taub und ich schaff das nicht. Also für viele war das auch ein Schock. Ich bin halt taub und das ist in Ordnung. Manche hören und manche hören halt nicht. Ich bin handwerklich sehr gut. Ich habe goldene Hände. Ich male gerne und bastele. Und das macht mir sehr große Freude."
"Floristik" in der Schweiz: beide Hände und die Ellen zusammen und die formen einen Kelch
Dass seine berufliche Selbstständigkeit erfolgreich ist, verdankt Klinke auch Enterability, einer Berliner Agentur, die Menschen mit Schwerbehinderung bei der Unternehmensgründung berät. Neun Stunden pro Woche übersetzt Sarah Schwartz für ihn. Dabei schaut sie ihm in die Augen, liest gleichzeitig seine Gebärden und fasst in Worte, was er sagt.
Die zierliche 27-Jährige und der kräftige Florist wirken vertraut, eingespielt. Wenn er alleine im Laden steht, schiebt er seinen Kunden ein Blatt Papier über den Tresen. Darauf steht: »Ich bin taub. Können Sie bitte schreiben?« Bestellungen nimmt er auch per Textnachricht auf seinem Smartphone entgegen. Mit tauben Kunden gebärdet er über Videochat.
Ein paar Worte zu artikulieren, das hätte er wohl schaffen können, gibt Klinke heute zu. Aber Gebärdensprache ist seine Muttersprache: auch seine Eltern sind taub.
Typisch für Taube, erzählt Klinke, seien die vielen Kontakte zu anderen Tauben weltweit. Dafür habe er extra die internationale Gebärdensprache gelernt. Denn schon in der Schweiz sind die Gebärden andere:
"Hier in Deutschland hat man zum Beispiel Floristik. Floristik. Die linke Hand ist fest und die rechte, die dominante Hand, mit der man gebärdet, je nachdem ob Rechts- oder Linkshänder führt die Bewegung aus, so als ob man was bindet. In der Schweiz sagt man Floristik zum Beispiel so: man packt die beiden Hände und die Ellen zusammen und die formen einen Kelch."
Drei Tage später. Ein sommerlicher Samstagmorgen. Markus Klinke ist mit seinem verbeulten Kombi vor die Heilige Geist Kirche in Berlin-Moabit vorgefahren. Freunde von Sarah Schwartz haben ihn mit dem Blumenschmuck für ihre Hochzeit beauftragt.
Klinke zieht resolut Kisten und Birkenzweige aus dem Kofferraum und verteilt – ehe Sarah Schwartz zu übersetzen beginnen kann – per Gebärdensprache an die Umstehenden Aufgaben.
"Er sagt, es sei immer ganz gut, zwei von den Birken zusammen zu machen."
Freunde und Verwandte des Brautpaares helfen. Markus Klinke erklärt, wie er sich die Dekoration vorstellt:
"Also zuerst, glaube ich, ist es wichtig, dass wir den Altar mit Stoff bedecken, dass das fertig ist und dass dann die Musik anfangen kann, zu proben. Ich erkläre euch dann, wie ihr das macht, einfach mal mit den Hortensien, dass die angeschnitten werden und in die Röhrchen machen."
Markus Klinke räumt behutsam Kerzen, Kreuz und Bibel vom Altar ab, schaut plötzlich Sarah Schwartz an und gebärdet eine Frage:
"Er hat gerade gefragt, ob das laut ist. Und da habe ich ihn gefragt, woher er das weiß?! Und da hat er gesagt: an der Bibel – die hat richtig vibriert. Und hier spielt aber jemand gerade Orgel."
Zwei Stunden lang bringt Klinke Birkenzweige und Efeu an, knüpft kleine Gebinde an die Kirchenbänke. Dann lässt er sich auf eine Bank nieder und schaut den Musikern zu.
Er sieht zufrieden aus.
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