Inhaftierter Wikileaks-Gründer

Julian Assanges Hinrichtung auf Raten

04:13 Minuten
Protestierende in Paris am 05.11.2019 beim "Million Mask March" halten ein Schild von Julian Assange in die Höhe, auf dem er mit der amerikanischen Fahne geknebelt ist.
"Million Mask March" in Paris für Solidarität mit Julian Assange © Joris van Gennip/laif
Ein Kommentar von Milosz Matuschek · 13.01.2020
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Wikileaks-Gründer Julian Assanges sitzt in einem Hochsicherheitsgefängnis in Großbritannien. Dass sich trotz Vorwürfen psychologischer Folter so wenige Journalistenverbände für seine Freilassung einsetzen, ist ein Totalversagen, meint der Journalist Milosz Matuschek.
Der Fall Assange wird immer mehr zu einer grotesken Mischung aus Justiz- und Medienversagen. Sagen wir es, wie es ist: Wäre Julian Assange in einem Keller über Monate eingesperrter, gequälter Hund – wir hätten vermutlich längst einen Prozess gegen die Tierquäler, eine Verschärfung des Tierschutzgesetzes und "Donnerstage für Doggen"-Demos gesehen. Doch Assange ist – zu seinem Pech – leider ein Mensch. Und zwar einer, der sich bei Mächtigen nicht beliebt gemacht hat.
Der Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks wird gerade vor den Augen der Weltöffentlichkeit in einem britischen Hochsicherheitsgefängnis psychologisch gefoltert – wie der UN-Folterbeauftragte Nils Melzer immer wieder betont hat.
"Psychologische" beziehungsweise "weiße Folter" ist die Bezeichnung für Verletzungen, die man nicht sehen soll, die aber höchst real und auch gefährlich sind. Assange schwebt in Lebensgefahr, ihm drohen durch die Isolationshaft irreparable körperliche und seelische Schäden.

Ein Offenbarungseid des Rechtsstaats

Der Fall Assange ist ein Offenbarungseid des Rechtsstaats und der Medienöffentlichkeit. Auch in Großbritannien – immerhin das Mutterland der Menschenrechte – gilt die Europäische Menschenrechtskonvention, welche jede Form von Folter und erniedrigender, herabsetzender Behandlung verbietet. Die Menschenwürde ist nun wieder antastbar.
Dass es mit Assange eine Person trifft, die der Weltöffentlichkeit die Wahrheit über Verbrechen der Mächtigen präsentiert hat, macht das Ganze zu einer Tragödie; dass diese Hinrichtung auf Raten auch noch quasi öffentlich geschieht, ist an Zynismus nicht mehr zu überbieten. Es ist, als wolle man Assange zeigen, dass Verbrechen nicht mal im Geheimen passieren müssen, um die Weltöffentlichkeit kalt zu lassen.
Der Fall Assange ist ein Kristallisationspunkt für unsere Wertegemeinschaft und Demokratie. Assange steht für den Anspruch auf Wahrheit, den jeder Bürger hat, wenn er informierte Entscheidungen treffen muss. Julian Assange ist ein Dissident des globalen Informationszeitalters. Als Mitglied der libertären Cypherpunk-Bewegung hat Assange versucht, den Wert der Privatsphäre ins 21. Jahrhundert zu retten, während er zugleich die Überwachung durch Mächtige offenlegte.

Assange wird zum Märtyrer gemacht

Die menschenunwürdige Behandlung von Assange ist dabei so juristisch unzulässig wie politisch töricht: Assange wird gerade zur Freiheitsstatue des digitalen Zeitalters gemacht, zum ersten sichtbaren Märtyrer der schönen neuen Überwachungswelt. Assange deckte das Leiden anderer auf, nun reißt er den Mächtigen auch noch im Moment des eigenen Martyriums die Maske vom Gesicht.
Das Medienecho ist bisher in Anbetracht der Wichtigkeit dieses Falles höchst bescheiden geblieben. Doch das Thema Assange lässt sich medial nicht wegretuschieren. Immer mehr Medien berichten inzwischen. Selbst Sigmar Gabriel twitterte nach einem Telefonat mit dem UN-Folterbeauftragten Nils Melzer – und verurteilte Folter.

Journalisten- und Juristenverbände versagen total

Die Bundesregierung, das Auswärtiges Amt, Kirchen, die meisten Journalisten- und Juristenverbände dagegen sind ein Totalausfall – ihr Schweigen ist nicht zu überhören und wird nachhallen. Von den Neujahrsansprachen oder Segnungen des Erdkreises durch staatliche oder kirchliche Repräsentanten ganz zu schweigen. Die Erinnerung an Assange soll jetzt schon ausgelöscht werden.
Assange gehört sofort auf freien Fuß und verdient Asyl in einem freien Land seiner Wahl. In der Schweiz gibt es diesbezüglich schon Initiativen. Assange ist jetzt schon ein Folteropfer, in den USA erwarten ihn weder ein freier Prozess noch eine faire Behandlung, das ist kein großes Geheimnis.
Die Europäische Menschenrechtskonvention verbietet jedoch die Auslieferung in ein Land, das Folter praktiziert. Dass dies im Fall der USA geschieht, weiß die Menschheit spätestens seit Guantanamó und zwar: dank Assange. Er selbst hat die besten Gründe gegen seine Auslieferung an die USA schon vor Jahren auf Wikileaks veröffentlicht. Der Rechtsstaat kann sich ohne die sofortige Freilassung von Julian Assange jetzt nur noch weiter demontieren.

Milosz Matuschek ist stellvertretender Chefredakteur des liberalen Magazins "Schweizer Monat" und NZZ-Kolumnist. Der promovierte Jurist hat mehr als fünf Jahre unter anderem Strafrecht und Menschenrechte an der Pariser Sorbonne unterrichtet und mehrere Bücher veröffentlicht. Zuletzt veröffentlichte er "Kryptopia" und "Generation Chillstand".

© Bild: Enno Kapitza
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