Inger-Maria Mahlke über

"Absaufen"

Inger-Maria Mahlke über "Absaufen"
Inger-Maria Mahlke © dpa / Arne Dedert
13.12.2018
Absaufen, absaufen, absaufen, haben sie in Dresden gerufen. Warum absaufen? Warum nicht ertrinken, ertrinken, ertrinken lassen?
Trinken ist über den Mund Flüssigkeit in den Körper aufnehmen. Saufen ist das Gleiche in burschikos, in hemdsärmelig, klingt nach sich locker machen, nach Grillen und Bier und Bollerwagen. Klingt nach erneuter Heimniederlage des HSV, der absäuft im letzten Tabellendrittel. Absaufen klingt nach Tom und Jerry, nach konsequenzlosem Cartoon Tod, nach kurzer Ab- und Aufblende alles wieder intakt.
Ertrinken klingt nach Aspyxie, nach verzweifelt den Atemreflex unterdrücken, nach in Mund und Nasenhöhle strömendes Wasser, nach Todeskampf. Ertrinken ist Empathie zugänglich, absaufen nicht. Ertrinken klingt nach Tötungsdelikt, durch Unterlassen in diesem Fall, Mord aus einem sonstigen niedrigen Beweggrund, wenn man die Motivation der Rufenden zugrunde legt.
Gegenstände können absaufen, im Unterschied zu ertrinken, das können nur Lebewesen. Ein Motor ertrinkt nicht, er säuft ab. Ein Schiff ertrinkt nicht. Treibholz ertrinkt nicht. Menschen ertrinken. Absaufen dient der Entmenschlichung.
Die Flapsigkeit von Saufen lockert die Bindung des Worts zu dem, was es repräsentiert. Diese Unschärfe ermöglicht es, Sachen zu rufen, die, wenn sie präzise benannt würden, die Unmenschlichkeit des Gesagten auch für die Rufenden unerträglich machen würde.
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