Ines Geipel: "Tochter des Diktators"

Das zerstörte Leben der Beate Ulbricht

Buchcover: "Ines Geipel: Tochter des Diktators" und Walter Ulbricht beim 6. Parteitag der SED 1961
Buchcover: "Ines Geipel: Tochter des Diktators" und Walter Ulbricht beim 6. Parteitag der SED 1961 © Klett-Cotta /picture alliance / dpa-Zentralbild / ADN
Von Sabine Adler · 06.12.2017
In Ines Geipels "Tochter des Diktators" geht es um Beate Ulbricht, die Adoptivtochter des früheren DDR-Staatschefs Walter Ulbricht. Der Roman zeigt, was autoritäre Strukturen mit einer menschlichen Seele machen können.
Der strenge Titel lässt eine düstere Geschichte befürchten, doch vom ersten Absatz bis zum Schluss erzählt Ines Geipel in einem überraschend lässigen, nonchalanten Ton und löst damit jede Angst vor Erdenschwere sofort auf. Tatsächlich gäbe es über das Leben der Adoptivtochter von Lotte und Walter Ulbricht wenig Erfreuliches zu berichten.
Beate hatte zwar "vergnügt und nützlich zu sein", doch sie konnte den Ulbricht-Eltern diesen Wunsch nicht erfüllen. Woran vor allem der Vater und seine nicht minder herrschsüchtige Frau selbst schuld waren.
Die größte Überraschung gelingt der Autorin damit, die Erinnerung an das erste Staatskind in die Toskana zu verlegen, nach Cigoli, denn von dort stammte der spätere Ehemann der Ulbricht-Tochter, ihre große Liebe, Ivano Matteoli.
"Allein den DDR-Stoff von emotionalen Spekulationen … oder Beate Matteoli sprechen zu lassen, das hätte ich nicht angemessen gefunden. Das wäre ein sehr dunkles Buch geworden, und das wollte ich auf gar keinen Fall. Weil auch sie ja Zeit ihres Lebens nach Italien wollte und das Drama ist, dass es ihr nicht gelungen ist. Aber damit hast du ja eine persönliche Utopie im Kopf, das wäre nicht gegangen, sie immer nur sozusagen durch die Kälte zu schicken."
Dass die Ulbricht-Eltern die Ehe mit einem Italiener erlaubten, mag erstaunen. Doch Ivano Matteoli war der Sohn eines kommunistischen Schumachers und auch selbst Kommunist. Doch wirklich geheuer war ihnen die Liebe ihrer plötzlich eigensinnigen Tochter zu dem Mann aus der Toskana trotzdem nie.
Sie versuchten die Verbindung zunächst auch zu verhindern. Als sich dann die Genossen aus Rom von Moskau abwandten, war es mit der Geduld der Ulbrichts vorbei, sie erzwangen die Scheidung, Beate Ulbricht, die inzwischen Beate Matteoli hieß, musste sich von Ivano trennen, sah Ivano nie wieder, trotz ihrer gemeinsamen Tochter.
Der Leser erfährt von der unglücklichen Liebe durch die Erzählerin Anni. Anni gibt es wirklich, sie ist Ivanos Freundin aus frühester Kindheit, Ines Geipel hat sie getroffen.
"Ich war in Cigoli und saß neben einer Frau auf der Stadtterrasse, sie erzählte von Ivano, von ihrer Kindheit mit Ivano, und ich wusste, es war sofort klar: Das ist Anni. Anni heißt natürlich anders, aber es war sofort klar, Anni muss diese Geschichte von Beate Matteoli und Ivano Matteoli aus Cigoli heraus erzählen."
Die beiden waren unzertrennlich. Und wären wohl ein Paar geworden, wenn Ivano nicht zum Studium nach Leningrad gegangen wäre, wo er Beate Ulbricht begegnete.

Anni ist eifersüchtig, aber großherzig. Denn sie will den Freund behalten, auch wenn sie ihn viel lieber als Geliebten hätte.
"Er nahm seine Mütze und drückte sie mir auf den Kopf. Im Rückblick bin ich mir sicher, dass das der letzte Augenblick gewesen war, um noch auszusteigen. Ordentlich Terz machen, mir theatralisch die Mütze vom Kopf reißen, mit dem Fuß stampfen, ihn anschreien, ihm die Jacke aufreißen oder einfach wortlos gehen. Ich sagte: Na los, mach schon, rede."
Während er in der Sowjetunion studiert, mit Beate Ulbricht nach Ost-Berlin zieht, allein wieder zurück an die Newa geht, mischt Anni bei den Studentenunruhen in Paris mit. So mixt die Autorin die nächste Farbe ins Bild: Den Kommunismus à la française.
Ines Geipel bleibt stets dicht dran an ihren Protagonisten und zieht zugleich den Fokus weit auf. Denn der Kommunismus in Europa in seinen höchst unterschiedlichen Ausprägungen ist nicht nur Hintergrund der tragischen Liebesgeschichte, er hegt sie zugleich ein, fesselt sie quasi mit Stacheldraht. Die Liebenden kommen nur kurz zusammen.

Beate Ulbricht stirbt mit 47

Der DDR-Regierungschef mit der hohen Fistelstimme vollstreckt seinen Gesinnungsterror nicht nur an den ostdeutschen Untertanen, sondern an der Tochter gleich mit. Die hat in den Augen ihrer Eltern versagt und bekommt nie wieder eine Chance von ihnen. Damit wird Maria Pestunowa, wie sie von ihrer leiblichen Mutter, einer ukrainischen Zwangsarbeiterin, genannt worden war, wieder zur Waise.
"Die Mutter stirbt in Leipzig unter den Bomben der Alliierten. Da ist von vornherein sehr viel Unwiderrufliches geschehen und sie kommt zu den Ulbrichts und soll dann ein bestimmtes Bild leben, und in dem Moment, wo sie ein einziges Mal sagt: 'Daran geht es nicht vorbei, ich werde diesen Mann heiraten', erfährt sie eine unverdenkliche Härte. Ich habe diese Briefe ja gelesen, also es gibt den Nachlass. Es war offenbar klar für sie, dass sie Null Chance hatte."
Sie zerbricht, verfällt dem Alkohol, die Kinder aus erster und zweiter Ehe werden ihr genommen. 1991 stirbt die Ulbricht-Tochter, die sich wieder Beate Matteoli genannt hat, im Alter von 47 Jahren in Berlin. Ihr Ende wird knapp abgehandelt, auch weil es der Boulevard-Journalismus bereits reichlich getan hat. Umso breiteren Raum gab die Schriftstellerin den lichten Momenten im Leben von Beate Matteoli.
Durch Beate Matteoli, die Ulbricht-Tochter, kam die Welt nach Cigoli, das Buch wird gerade ins Italienische übersetzt. Diktatoren mögen leichtfertig Leben vernichten, das Andenken an die Opfer bleibt, erst recht, wenn Erinnerung so frisch, überraschend und facettenreich gelingt wie bei Ines Geipel.

Ines Geipel: Tochter des Diktators
Roman
Klett Cotta 2017
198 Seiten, 20 Euro

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