Industrie 4.0

Produktionslogistik der Zukunft

Ein Ingenieur bedient auf der Hannover Messe eine vollautomatische Montagezelle.
Ein Ingenieur bedient auf der Hannover Messe eine vollautomatische Montagezelle. © picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte
Von Laf Überland · 07.04.2014
Seit heute ist die Industriemesse in Hannover geöffnet. Ein relativ neuer Begriff steht dabei im Zentrum: Industrie 4.0. Er steht für technologische Umwälzung, die die Produktionsarbeit revolutionieren soll.
Wir leben in einem Zeitalter der unsichtbaren Vernetzung. Ja, schon klar. Wir haben immer mehr Dinge, die miteinander kommunizieren: Im Jahr 2020 bereits sollen das 50 Milliarden Geräte tun. - Aber wir leben auch in Zeiten gewaltiger wirtschaftlicher Umschichtungen: Die Massenproduktion ist beinahe komplett nach Asien ausgewandert, und in Europa kann Wirtschaft (sagen die Fachleute) nur noch bestehen, wenn sie hochwertige Produkte individualisiert - und das aber zu tragfähigen Preisen: Sachen wie das aus zigtausend Einzelkomponenten konfigurierte Auto aus Wolfsburg über den selber ferngestylten Turnschuh bis hin zur Müslimischung via Internet.
Umkehrung der bisherigen Produktionslogik
Für die nach individuellen Wünschen gestaltete Ware ist eine flexible Produktionsweise nötig, die notfalls sogar Einzelstücke rentabel produzieren kann. Nach bisheriger Vorgehensweise der industriellen Produktion ist so was unmöglich.
Industrie 4.0 nun bedeutet nichts weiter als die völlige Umkehrung der bisherigen Produktionslogik - mit der den Maschinen fest einprogrammierten Steuerung - der sogenannten SPS.
"Im Moment sagt ja noch die Produktionsmaschine, wo es längs geht. Da kommt irgendein Werkstück - und die sind ja derartig dumm, wenn Sie dem ein anderes Werkstück hinlegen - die SPS ist fest und sagt: Hier wird rot lackiert. Und wenn das Ding schreit: Ich will aber blau angestrichen werden - das geht nicht."
Bis jetzt! Aber da setzt die Neuerung von Industrie 4.0 an, sagt Wolfgang Wahlster, Professor für Informatik und Leiter des weltgrößten Zentrums für Forschung im Bereich Künstliche Intelligenz DFKI.
"Denken Sie, Sie wollen Blech und wollen da zehn Löcher verschiedenen Durchmessers bohren, dann muss ich ja die Maße wissen, muss wissen, wo soll gebohrt werden, was ist das für ein Material?"
Früher musste die Maschine deshalb für jedes Werkstück neu eingestellt, zur Zeit zumindest neu programmiert werden - und zwar jede Maschine einzeln.
"Das war aber ein Zoo von verschiedenen Standards, und wenn Sie heute versuchen, zwei Maschinen von verschiedenen Herstellern untereinander Daten austauschen zu lassen, dann funktioniert das oft sehr schlecht."
Und deshalb soll künftig das Werkstück all diese Angaben mit sich führen, und die Maschine soll darauf frei reagieren können. Damit das Werkstück mit der Anlage kommunizieren kann, wird ihm bei Produktionsbeginn ein kleiner Funkchip angeklebt - der ist inzwischen ziemlich klein zu bauen und sieht aus wie ein schlichtes Etikett, deshalb heißt er auch Smart Label. Und damit lässt sich der Rohling von einer Maschine zur nächsten transportieren (wobei er sich seinen Weg durch die Anlage selbst sucht) und fordert die verschiedenen Produktionsschritte ein.
Über das Internet kommunizieren
Damit nun die jeweilige Maschine flexibel auf seine Wünsche eingehen kann, ist ein reiches Arsenal von Mikrocomputer mit Sensoren und eigenen Kommunikationsschnittstellen nötig, mit denen alle beteiligten Komponenten (also das Werkstück, die Bearbeitungsmaschinen, auch die Transportmittel) über das Internet miteinander kommunizieren.
Aber vor allem brauchen internetfähige Industriemaschinen eine gemeinsame Sprache.
"Deshalb ist Normung und Standardisierung dieser Sprache, in der gesprochen wird, natürlich wichtig. Und das sind auch nicht mehr die alten Maschinensprachen, die man bisher hatte im Maschinenbau: Wenn Sie heute im Internet surfen: XML - die Freaks kennen das - HTTP, HTML - das sind ja alles Sprachen. Und solche Sprachen brauchen wir, übertragen gesehen, auch für die Maschinen."
Am besten wäre eine am Klartext orientierte semantische Sprache, und die ist bereits in Arbeit. Die Bearbeitungsanleitungen für die Maschinen sollen dann übrigens wie aus einem Appstore herunterzuladen sein und nach dem Plug&Play-Prinzip auch bei Produktionsmaschinen funktionieren: Plug&Produce!
Aber - also bitte - ist das nicht Science Fiction?
"Wenn Sie selber mal überlegen: Vor zwanzig Jahren haben wir kein Smartphone gehabt - Facebook: Wir kannten das alles nicht. Unsere ganze Kommunikation hat sich grundlegend verändert, unsere Form, wie wir arbeiten, wo wir arbeiten. Und das muss mal sehen - einfach mal zwanzig Jahre zurückgucken - und dann mal überlegen: Zwanzig Jahre weiter werden wir Dinge kennenlernen, die auch vollkommen neu sind."
In fünfzehn bis zwanzig Jahren soll sich Industrie 4.0 durchgesetzt haben
Das prophezeit Klaus Burmeister, Gründer und Geschäftsführer von Z_punkt The Foresight Company, einem Beratungsunternehmen für Zukunftsfragen, außerdem Politologe und Starkstromelektriker. In fünfzehn bis zwanzig Jahren soll Industrie 4.0 sich durchgesetzt haben, schätzt er.
"Also wir bewegen ein riesiges Rad, und das wird schon spannend sein. Und da ist meine Vermutung die: Industrie 4.0 ist nur ein Vorzeichen für ein Neudenken, wie Gesellschaft zukünftig funktionieren wird."
Und dieses Nachdenken muss bereits bei der Entwicklung der vierten Industriellen Revolution einsetzen - und ein kluges politisches Handeln, um allzu schwere Verwerfungen zu vermeiden: Denn natürlich wird die Revolution in einzelnen Bereichen stattfinden, aber ebenso selbstverständlich wird sich die Arbeitswelt verändern - und auch das Sicherheitsbedürfnis von Firmen, die komplett am Netz hängen.
"Und jetzt ist natürlich die Frage: Haben wir ein politisches System, das in der Lage ist, über eine Legislaturperiode hinauszudenken, um sicherzustellen, dass wir diese Veränderung auch schaffen."
Wir werden sehen!
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