Individuell, mobil, vernetzt

18.12.2008
In den kommenden 22 Jahren wird sich unser Leben zwar nicht revolutionieren, dennoch wird sich einiges deutlich verändern. Der Freizeitforscher und Zukunftswissenschaftler Horst W. Opaschowski skizziert in "Deutschland 2030" gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Tendenzen.
Es ist keine Science-Fiction-Welt, die der Autor entwirft, denn 22 Jahre sind nicht lange für die Entwicklung einer Gesellschaft. Und doch wird sich bis 2030 einiges in unserem Leben verändert haben. Viele Entwicklungen lassen sich jetzt schon ablesen, Trends werden sich verfestigen. Eines stellt der Autor von vorneherein fest: Revolutionen wird es nicht geben, auch nicht angekündigte, weder im virtuellen Bereich noch am Arbeitsplatz.

Auch wenn sich unser Arbeits- und Freizeitleben nicht grundsätzlich verändern wird, so muss doch mit Verschiebungen gerechnet werden. Die Gesellschaft wird immer älter, das heißt: länger arbeiten, neue Karriere mit 50, damit die Renten auch bezahlt werden können. Ältere Menschen haben ein anderes Freizeitverhalten, die Tourismusindustrie wird sich auf die im Vergleich zu heute noch fitteren Senioren einzustellen haben.

Allerdings hält die Entwicklung zur Zweiklassen-Gesellschaft an. Armut, die man nicht sieht, wird laut Opaschowski in Zukunft dauerhaft präsent sein. Daneben wird es jene Menschen geben, die sich praktisch alles leisten können. Die Mittelschicht wird kleiner.

2030 werden ebenso viele Frauen wie Männer im Berufsleben stehen. Das bedeutet weniger Karrierechancen für Männer, allerdings auch einen Wandel in der Berufsauffassung: Nicht mehr der Job ist das Leben, sondern das Leben insgesamt wird wichtig, insbesondere das Er-Leben. Künstliche Erlebniswelten bieten dem das Virtuelle mit dem Realen vermischenden Menschen von übermorgen immer mehr inszenierte Paradiese.

Die Freizeit spielt eine wichtigere Rolle als heute – und der Sinn, den man ihr gibt. Wellness wird sich weiter ausbreiten und auch mentale Entspannung mit einschließen. Denn insgesamt wird das Leben schneller, der Mensch der nahen Zukunft will nichts versäumen, ist permanent vernetzt und benutzt mehrere Medien gleichzeitig. Man ist mobil und unabhängig, zappt nicht nur von einem Fernsehprogramm zum nächsten, sondern auch von einer Unterhaltung zur anderen.

Das bekommen unter anderem die traditionellen Sportvereine zu spüren: Der Mensch von 2030 ist individueller, macht zwar gerne etwas gemeinsam, genießt den Spaß an der Darbietung, denn auch Sport wird zum Event, aber er lässt sich nicht gerne festlegen. Daraus folgen weniger Bindungen.

2030 ist aus den Deutschen ein Volk von Nomaden auf mehreren Ebenen geworden. Auch im Beruf: Geografische Mobilität wird vom Arbeitnehmer verlangt. Der wiederum bleibt auch nicht mehr bis zur Rente in ein und demselben Beruf.

Der Zukunftsforscher Opaschowski prophezeit keine Überraschungen, Trends werden sich verstetigen und verallgemeinern. Allerdings dürften seine Prognosen mit hoher Wahrscheinlichkeit des tatsächlichen Eintreffens ausgestattet sein, denn in seinem umfangreichen Buch zitiert er gerne sich selbst mit früheren Vorhersagen, unter die er stets anmerkt: "Das ist inzwischen Wirklichkeit geworden". Den Leser verblüfft das umfangreiche Allgemeinwissen des Autors. Sein Buch liest sich trotz des großen Umfangs flüssig. Manche Prognosen stützt er auf die Entwicklung von wiederkehrenden repräsentativen Umfragen. Dies lässt allerdings den Möglichkeit von die Welt verändernden Naturkatastrophen ebenso unberücksichtigt wie von einschneidenden, unvorherzusehenden Erfindungen. Opaschowski entwickelt keine Szenarien, sondern schreibt Entwicklungen linear fort. Für Überraschungen ist da kein Platz.

Rezensiert von Stefan May

Horst W. Opaschowski: Deutschland 2030 - Wie wir die Zukunft erleben
Gütersloher Verlagshaus 2008
784 Seiten, 29,95 Euro