Indien und der Islam

Von Margarete Limberg · 18.07.2006
"Globalisierung und die Rolle des Islam", so lautete der Titel eines deutsch-indischen Colloquiums in Berlin. Indien mit seinen vielen Religionen ist zugleich die einzige Demokratie in einer Region mit autoritären und diktatorischen Regimen, die zumehmend von islamistischem Extremismus geprägt ist. Diskutiert wurde die Frage, ob das Land, in dem nach Indonesien die meisten Muslime leben, einen mäßigenden Einfluss ausüben kann.
Hat die indische Demokratie einen mäßigenden Einfluss auf den Islam und könnte die Welt von diesem Beispiel lernen? Auf diese Frage spitzte sich das deutsch-indische Colloquium zu. Die jüngsten Bombenanschläge in Bombay mit Hunderten von Opfern haben manche der deutschen Teilnehmer an dieser Hypothese heftig zweifeln lassen.

Die indischen Gäste, ehemalige Minister, Parlamentarier und Konfliktforscher konterten indessen mit einer einfachen Antwort: Die Täter kamen nicht aus Indien, sondern aus einem Nachbarstaat, sprich Pakistan. Auch unter den El Kaida-Terroristen seien Inder nicht zu finden, von den 140 Millionen indischen Muslimen seien zeitweise drei in Verdacht geraten, der Organisation anzugehören, und das sei doch wirklich nicht der Rede wert.

Obwohl in Indien nach Indonesien die meisten Muslime leben, sind ihm große fundamentalistische Bewegungen und Revolten erspart geblieben. Dipankar Banerjee, ehemaliger General und heute Direktor des Instituts für Friedens- und Konfliktforschung in Neu-Delhi, führt dies auf verschiedene Faktoren zurück: vor allem auf die säkulare indische Demokratie, die Religionsfreiheit garantiere, den Muslims die Chance und das Recht gebe, ihre Forderungen und Beschwerden zu artikulieren, die Minderheitsrechte gewährleiste und jedem die Segnungen des Rechtsstaats zuteil werden lasse. Die Muslime hätten es also gar nicht nötig, das System zu stürzen. Entscheidend sei, dass das demokratische System alle ein- und niemanden ausschließe, betont der Ex-General:

"Wenn unsere Politik alle einschließt und ihnen gerecht zu werden versucht, wenn das Prinzip der Legitimität gilt, dann entfernen wir auch den Stachel des Widerstands aus den Köpfen der Menschen. Ich glaube, die indische Demokratie ist in hohem Maße ein Erfolg, und ich bin überzeugt, dass sie eine Lektion für die Welt bereithält."

Banerjee nennt in diesem Zusammenhang weitere Faktoren: den Einfluss des Sufismus, einer eher stillen und friedlichen Variante des Islam, aber auch die Politik der Blockfreiheit, womit wohl eine gewisse Distanz zu den USA gemeint ist:

"Indiens Außenpolitik hat stets mit Sensibilität auf muslimische Sorgen reagiert. So hat sie traditionell die Palästinenser in ihrem Kampf für einen unabhängigen Staat unterstützt, ein Problem, das vor allem für den Zorn der Muslime auf die USA verantwortlich ist. Die Beachtung muslimischer Anliegen hat ihren Ärger gegenüber Indien begrenzt und dazu beigetragen, den Radikalismus in Grenzen zu halten."

Indien werde in der Welt nicht als Staat betrachtet, der den Islam untergraben oder unterdrücken wolle, betont der Ex-General:

"Indiens säkulare Demokratie verbunden mit der Geschichte und der Entwicklung des Islam in diesem Land hat ebenso wie die Politik der Blockfreiheit den radikalen Islam gebremst und die Entwicklung einer heimischen Djihad-Bewegung verhindert."

Unwidersprochen blieben diese Thesen nicht. Ist Indien nicht das Land, in dem mit die meisten Terroranschläge gezählt werden, brauchen die Terroristen, die Bomben legen, nicht lokale Helfer und Sponsoren? Gibt es nicht eine wachsende Unruhe unter den indischen Muslims, zunehmenden Zorn über ihre wirtschaftliche und soziale Benachteiligung?

Dass Indien ein Terrorproblem hat, wurde nicht bestritten, aber gleichzeitig betont, dass es zwar nicht ausschließlich, aber in erster Linie von außen komme. Was die angebliche Benachteiligung der Muslime angeht, so verweist Pawan Khera, Mitarbeiter des Gouverneurs von Neu-Delhi, darauf, dass unter den reichsten Indern ebenso Muslime sind wie unter den populärsten Film- und Cricket-Stars, dass drei Staatspräsidenten Muslime gewesen sind und dass die Armut dieser Bevölkerungsgruppe nichts mit ihrer Religion zu tun habe.

Pawan Khera: "Wenn die Muslime oder andere Gruppen glauben, dass sie von der Demokratie nicht profitiert haben, dann sollten sie ihre eigenen Führer fragen. Was hindert muslimische Eltern daran, ihre Kinder auf normale Schulen zu schicken? Warum eine Madrassa, eine Koranschule? Das ist nicht der Fehler der Regierung."

Trotz des Selbstbewusstseins der indischen Teilnehmer wollte auch von ihnen niemand behaupten, Indien könne sich beruhigt zurücklehnen. Die destruktive und die Muslime oft provozierende Rolle des radikalen Hinduismus wurde nicht bestritten, und es wurde eingeräumt, dass der extreme Islamismus vielen Indern Angst mache. Zwar haben islamische Parteien auf nationaler Ebene bisher keine Chancen und auf regionaler oder lokaler Ebene nur bescheidene Erfolge erzielen können, aber das Trauma der blutigen Abspaltung Pakistans vor fast 60 Jahren hat psychische Nachwirkungen bis heute hinterlassen, wie der frühere Außen- und Finanzminister Yashwant Sinha betont:

"Das neue Gerede über den muslimischen Zorn oder über die Gründung separater muslimischer Parteien lässt wieder Ängste in der Bevölkerung wach werden. Man fragt sich: Ist dies der Anfang eines neuen Pakistans in Indien?"

Wie soll man mit dem Terrorismus umgehen? Der Forderung einiger deutscher Politiker, man müsse erst seine tieferen Ursachen analysieren und bekämpfen, um ihn nachhaltig ausrotten zu können, widerspricht Sinha energisch:

"Wir sind völlig gegen dieses Konzept. Es kann keinerlei Rechtfertigung für den Terror, für den Massenmord an Unschuldigen geben, wie heilig auch immer das Anliegen sein mag. Aber unglücklicherweise gibt es einige, denen diese Theorie der Ursachenforschung gut in ihr Konzept passt. Es geht nicht um Armut und Elend, nicht um einen Konflikt um ein Territorium, nicht um soziale Ungleichheit, nicht um den Streit zwischen Nationen. Es ist Irrsinn. Und deshalb muss der Irrsinn des Terrors mit gleichen Mitteln bekämpft werden."

Skeptische Einwände vor allem von deutscher Seite blieben nicht aus, aber Indien selbst sieht sich nach den Worten des ehemaligen Ministers als säkulare Demokratie in einer Region der Instabilität und des zunehmend fundamentalistischen Islamismus offenbar gut gerüstet den Anfechtungen des global operierenden islamischen Terrors begegnen zu können.