Pariser Verträge

Wieder souverän – und wieder bewaffnet

Ein Blick in den Unterzeichnungssaal am Quai d'Orsay in Paris am 23.10.1954 zeigt US-Außenminister John Foster Dulles (M), der gerade Bundeskanzler Konrad Adenauer (rechts von Dulles) begrüßt, kurz vor der Unterzeichnung der Pariser Verträge. Links von Dulles der französische Hohe Kommissar André Francois-Poncet (l, Richtung Kamera blickend).
Vertragsunterzeichnung der Pariser Verträge im französischen Außenministerium am 23. Oktober 1954 © picture alliance / UPI
Von Wolfgang Stenke · 27.02.2015
Durch den Abschluss der Pariser Verträge konnte die Bundesrepublik die Besatzung der Westalliierten beenden und der NATO beitreten. Innenpolitisch war das Abkommen äußerst umstritten – der Bundestag debattierte vor 60 Jahren drei Tage lang, bis die Mehrheit zustimmte.
"Die Verträge und Abkommen von Paris sind ein wirksames Mittel zur Erhaltung und Festigung des Friedens in Europa und in der Welt."
Kanzler Konrad Adenauer im Bonner Bundestag. Auf der Tagesordnung stand die Debatte über die Pariser Verträge: ein Paket von insgesamt sechs Abkommen, ausgehandelt im Oktober 1954 in der französischen Hauptstadt zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den drei Westalliierten, zu denen sich Kanada, Italien und die Beneluxländer gesellten.
Adenauer: "Die Pariser Verträge vermögen noch mehr. Sie können eine neue Epoche in der Geschichte Europas einleiten. Uns ist – das ist meine feste Überzeugung – die Entscheidung in die Hand gegeben, Europa und mit ihm Deutschland Frieden und Freiheit zu sichern, die Zeit der europäischen Wirren und Kriege zu beenden."
Beendigung des Besatzungsstatus
Mit den Pariser Verträgen rang Adenauer den Westalliierten das Ende des Besatzungsstatuts ab – bis auf einige Vorbehaltsrechte. Artikel 1, Absatz 2 des Deutschlandvertrages, der durch die in Paris getroffenen Vereinbarungen modifiziert wurde, legte nun fest:
"Die Bundesrepublik wird demgemäß die volle Macht eines souveränen Staates über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten haben."
In der Zeit des Kalten Krieges zwischen der sowjetischen und der amerikanischen Weltmacht war Deutschland – die Mitte Europas – für beide Seiten von großer strategischer Bedeutung. Angesichts der Bedrohung durch die Sowjetunion, die mit ihrer Besatzungszone und dem Ostsektor Berlins wertvolle Faustpfänder besaß, lag es im Interesse der Westalliierten, ihre militärische Präsenz durch bundesdeutsche Truppen zu verstärken. Und genau das ermöglichten im Oktober 1954 die Pariser Verträge.
Wenige Monate vorher waren die Pläne zur Bildung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG), an der Westdeutschland beteiligt werden sollte, von der französischen Nationalversammlung abgelehnt worden. "Ein schwarzer Tag für Europa", wie Konrad Adenauer meinte:
"Es drohte die Gefahr, dass die Vereinigten Staaten ihre Politik in Bezug auf Europa ändern würden. Ohne Amerika ist eine Verteidigung Europas gegenüber der Sowjetunion unmöglich."
Das Scheitern der EVG wurde für den Kanzler zur unverhofften Chance. Die USA machten Druck, um die Westdeutschen in den Nordatlantikpakt zu holen. Mit Adenauers Signatur unter den Pariser Verträgen stand die Wiederbewaffnung auf der Bonner Tagesordnung. Zwölf Divisionen sollte die Bundesrepublik dem NATO-Oberkommando stellen – bei Verzicht auf ABC-Waffen. Die Kontrolle der Aufrüstung oblag der Westeuropäischen Union.
Innenpolitisch ein höchst umstrittenes Projekt: Noch kein Jahrzehnt nach der Kapitulation wollten die wenigsten Deutschen wieder Soldat werden. Außerdem stand zu befürchten, dass Adenauers Politik der Westintegration die Teilung Deutschlands zementieren würde. Bedenken, die Erich Ollenhauer, der sozialdemokratische Oppositionsführer, in einer Absage an die Pariser Verträge im Bundestag vortrug:
"Heute liegt die Entscheidung noch in unserer Hand, morgen kann es zu spät sein."
Auch außerhalb des Parlaments regte sich heftiger Widerstand. Der DGB, politisch engagierte Intellektuelle, protestantische Christen und die Gesamtdeutsche Volkspartei des ehemaligen CDU-Politikers und späteren Bundespräsidenten Gustav Heinemann protestierten im Januar 1955 in der Frankfurter Paulskirche gegen die Verträge:
"Wer militärische Blockbindung betreibt, kann dabei die Wiedervereinigung wohl vielfältig im Munde führen, aber er verhindert sie zugleich."
Debattenmarathon im Bundestag
Vier Wochen später beriet der Bundestag in einem dreitägigen Debattenmarathon über die Ratifizierung. Die Entscheidung fiel erst in den frühen Morgenstunden des 27. Februars 1955.
"Leidenschaftliche Anteilnahme in beiden Lagern kennzeichnete die abschließende Debatte über die Pariser Verträge. Nach einer 40-stündigen Redeschlacht fielen die Würfel. In einer namentlichen Abstimmung entschieden sich zwei Drittel der Abgeordneten für das Pariser Vertragswerk."
Die SPD stimmte geschlossen dagegen. Am 9. Mai 1955 trat die Bundesrepublik der NATO bei; fünf Tage später unterzeichneten die Regierungen der Ostblockstaaten, darunter auch die DDR, den Warschauer Pakt.
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