Indien ohne Folklore

01.04.2008
Der Schriftsteller Martin Mosebach war 2006 auf Einladung des Goethe-Instituts in Delhi und danach für ein paar Wochen Gast eines indischen Ehepaares in der Provinzhauptstadt Bikaner. In 21 Kapiteln schildert der Träger des Büchnerpreises seine Beobachtungen über das alltägliche Leben auf dem Subkontinent.
Das letzte Kapitel des neuen Buches von Martin Mosebach, der im vergangenen Herbst mit dem Büchner-Preis ausgezeichnet wurde, trät den Titel "Ein missglücktes Interview". Mosebach, der sich im Herbst 2006 auf Einladung des Goethe-Instituts in der indischen Hauptstadt Delhi aufhielt, reiste von da aus in die Provinzhauptstadt Bikaner in die Wüste und lebte für eine Weile im Haus eines dem indischen Bildungsbürgertum entstammenden Paares, um ungestört zu schreiben.

Zurück in Delhi, bittet ihn eine deutsche Radioreporterin um ein Interview. Sie fragt ihn nach seinen speziellen Erfahrungen mit der indischen Fremde, sie fragt ihn, wie er die kulturelle, politische und wirtschaftliche Situation Indiens einschätzt. Aber auf keine dieser journalistischen Fragen hat der Schriftsteller eine befriedigende Antwort. Denn was er in Indien sah und hörte, hörte er nicht mit den Ohren eines Reporters und sah er nicht mit dem studierenden Blick des ethnologischen Forschers, sondern als Alltagsmensch, der im fremden Land, bei fremden Leuten einfach mitlebt.

In 21 Kapiteln erzählt Martin Mosebach in dem Band "Stadt der wilden Hunde" vom indischen Alltag. Und in jedem dieser Kapitel, in jeder Episode und Beschreibung vermeidet er, sein Erfahrungen auf einen Nenner zu bringen.

Martin Mosebach berichtet vom Wechselbad heterogener Eindrücke, vom tagelangen Sandsturm, der gegen die Stadt Bikaner mit apokalyptischer Wucht tobte und die Einwohner zu Gefangenen ihrer Häuser machte, und vom Handyton, der in der Villa der indischen Gastgeber genauso klingt wie in Frankfurt-Bockenheim.

Martin Mosebach, der zu den Reisenden unter den deutschen Gegenwartsschriftstellern zählt, entwirft ein Bild aus dem globalisierten Leben der Gegenwart, in dem sich außerordentliche Exotik mit außerordentlicher Vertrautheit, Nähe mit Fremde vermischt.

Rezensiert von Ursula März

Martin Mosebach: Stadt der wilden Hunde. Nachrichten aus dem alltäglichen Indien
Hanser Verlag, 2008
176 Seiten. 16,90 Euro