Amtsrichter in Passau

Im Ausnahmezustand

Amtsgericht Passau
Recht schmucklos: Das Amtsgericht in Passau, wo Erhardt arbeitet © dpa / picture alliance / Armin Weigel
Von Maximilian Muth  · 27.04.2016
Stefan Erhardt ist Amtsrichter in Passau und fällt Urteile über Flüchtlinge und Schleuser. Das vergangene Jahr war für ihn und seine Kollegen ein permanenter Ausnahmezustand.
"...und das trifft einen am Anfang schon..."
…wenn die Bild-Zeitung über einen schreibt: Richter lässt Schleuser laufen - wegen Merkel.
"Aber dann rappelt man sich wieder auf und denkt sich: Ja und – also man muss die Kritik aushalten."
November 2015: In einem seiner Schleusungsprozesse geht es um einen Serben, der Flüchtlinge über die Grenze gebracht hat. Die Staatsanwaltschaft fordert zwei Jahre Haft, der Richter gibt Bewährung. Seine Begründung:
"Angesichts der Zustände an den Grenzen ist die Rechtsordnung von der deutschen Politik ausgesetzt, deshalb wird keine unbedingte Haftstrafe erteilt."
"Dafür haben wir Prügel bekommen”, ...
…sagt Amtsrichter Stefan Ehrhardt rückblickend.

"Es geht an die Substanz"

Heute, fünf Monate später, ist ein besonderer Tag für ihn, denn in Passau wird die letzte Haftsache aus dem Herbst 2015 verhandelt. Seit über acht Monaten sitzen ein 20-Jähriger und sein Onkel jetzt schon in Untersuchungshaft. Nach knapp fünf Stunden steht das Urteil. Je zwei Jahre, ohne Bewährung. Der Junge, weil er vorbestraft ist. Der Onkel, weil er sich stundenlang in Widersprüche verwickelt und die Tat hartnäckig leugnet.
"Es geht schon an die Substanz und ich bin froh dass es vorbei ist – also mir geht’s gut, aber wir haben zwei Kollegen die ausgefallen sind, das müssen wir auch noch mittragen, das macht es nicht einfacher."
Einer der ausgefallenen Kollegen hatte in einer der heißen Nächte des Flüchtlingsherbstes Wochenend-Bereitschaft. Seitdem ist er krankgeschrieben - auch ein Opfer der Flüchtlingskrise. Seit Herbst haben Amtsgerichte wie Passau und Laufen kaum andere Strafsachen zu verhandeln.
Richter Stefan Erhardt ist 53 Jahre alt und kommt eigentlich aus Franken. Wegen seiner ersten Frau zog er nach Niederbayern und ist seitdem hier Richter. Großgewachsen, verschmitztes Lächeln. Strafrecht war ursprünglich gar nicht Erhardts erste Wahl.
"Ich hatte viele Jahre Zivilprozesse, aber da kann einem dann der Spaß vergehen, wenn man sieht worüber gestritten wird, und man nicht verstehen kann, warum die Leute sich nicht selbst zusammenraufen. Mietprozesse, wo beim Auszug über Schönheitsreparaturen gestritten wird, ob dieser Riss schon da war, oder der Kratzer im Parkett und dann das ganze Haus durch, damit könnte man Spaß haben, wenn man denn die Zeit hätte."
Die hat aber kein Richter, also wird verglichen. Doch dafür, sagt Ehrhardt, sei er nicht Richter geworden. Also wurde er doch Strafrichter.
"Zu schauen, was sind das für Angeklagte, welche Strafe haben sie verdient, oder kann man sie vielleicht auch ohne Strafe beeinflussen, grad im Jugendstrafrecht."

Auch Richter sind Menschen

Vielleicht liegt es auch an dieser Haltung, dass in Passau im vergangenen Jahr mehr Schleuser auf Bewährung davonkamen als am Nachbaramtsgericht in Laufen. Dort ist ein Schleusungsrichter laut Zeitungsinterview besonders stolz auf seine harte Haltung und blickt ein bisschen abfällig auf die Kollegen in Passau, die Schleuser mit 13 Menschen im Kofferraum mit Bewährung davonkommen ließen.
"Das hab ich auch gelesen. Das hat mich amüsiert, ich hatte den Richter mal angerufen und fand ihn nett – aber jeder hat seine eigenen Urteile zu fällen – ich kann mir zum Beispiel nicht vorstellen so Fälle in 20 bis 30 Minuten zu verhandeln."
Eine kleine Retourkutsche von Ehrhardt. Dass ähnliche Fälle in unterschiedlichen Gerichten verschiedene Ergebnisse bringen, findet er verständlich, denn auch Richter sind Menschen – und sollen das seiner Auffassung nach auch sein.
"Man hat ja nicht irgendwelche nackten Fälle, sondern man muss in den Angeklagten und in den Zeugen die Menschen sehen, das ist auch wichtig für die Würdigung der Aussagen, weil da immer subjektiv was mitschwimmt, wenn sie was erklären."
Und bei Amtsrichter Ehrhardt schwingt vielleicht etwas mehr mit. Seine intellektuelle Biografie klingt eigentlich eher nach Aktivist oder Kabarettist als nach Richter. Tschernobyl, Wackersdorf, Friedensbewegung, das seien die Dinge gewesen, die ihn in frühen Jahren bewegt haben.
- "Sind sie ein linker Richter?"
- "Ich bin eher ein grüner Richter."
- "Und das darf man als Richter so sagen?"
- "Das hab ich noch nie gesagt. Und die Urteile müssen auch unabhängig davon sein, keine Frage. Da kann man kein Urteil nach ausrichten, aber man hat natürlich so seine gewissen Vorstellungen und die fließen, wie bei jedem in das Urteil mit ein."

Überzeugter Europäer geworden

In den Ferien trampte er durch Südeuropa oder reiste in die DDR oder Ungarn – wohlgemerkt vor dem Fall diverser Mauern und Vorhänge. Auch vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen ist Ehrhardt überzeugter Europäer geworden.
"Heutzutage, wenn ich aufwachsen würde, wenn ich da ein meine großen Söhne denke, dann wäre ich vielleicht eher Weltbürger, aber in den 70er, 80er, 90er Jahren, das war das noch alles viel enger, da war einem die DDR fremder als Italien. Das ist ja auch groß propagiert worden und es ist ja auch eine schöne Idee. Und das ist ja vielleicht auch der Grund - und da schließt der Kreis - warum in der Flüchtlingsfrage ich es nicht nachvollziehen kann, dass Europa sich da nicht auf eine Lösung einigt – und da muss man dann vielleicht mal ein paar Länder überstimmen."
Mehr zum Thema