Independent-Filmfestival "Unknown Pleasures"

Ein Forum für stotternde Karrieren

Der Schauspieler Ethan Hawke steht in dieser Szene aus Paul Schraders Film "First Reformed" vor einer kargen Landschaft
Szene aus "First Reformed", dem neuen Film des "Taxi Driver"-Autors Paul Schrader © Prod.DB/Imago
Hannes Brühwiler im Gespräch mit Patrick Wellinski · 05.01.2019
Mitunter verschwinden Regisseure nach einem Großerfolg im Nirgendwo. Ihre neuen Werke zeigt das Independent-Filmfestival "Unknown Pleasures" ebenso wie die Filme junger Regisseure. Und die widmen sich derzeit vor allem der Provinz.
Patrick Wellinski: Es ist traditionell das erste Festival des Jahres – das "Unknown Pleasures"-Festival" in Berlin. Die Schau des amerikanischen Independent-Kinos feiert dieses Jahr das zehnjährige Jubiläum. Was beschäftigt das unabhängige amerikanische Kino zur Zeit? Das habe ich vor der Sendung den Leiter des Festivals, Hannes Brühwiler, gefragt.
Hannes Brühwiler: Also ich programmiere eigentlich nicht so sehr nach Themen, aber trotzdem ist man erstaunt, wenn man sich die Filme anschaut, dass auf einmal etwas vor einem ist, mit dem man gar nicht so gerechnet hat. Dieses Jahr ist es so, dass überraschend viele Filme in der Provinz spielen, also nicht in den Städten, wie man das ja auch vom Independent-Kino kennt, New York zum Beispiel, aber sondern eher weit weg auf dem Land, in Regionen, wo man es nicht auf den ersten Blick so erwarten würde in dieser Masse. Das ist dieses Jahr auch ein bisschen das Thema, also das Leben auf dem Lande oder Protagonisten, die weggeschickt werden aus der Stadt, weil sie in ein Erziehungscamp müssen oder was auch immer, aber das ist so ein bisschen, was mir aufgefallen ist.
Wellinski: Trifft das auch grundsätzlich auf den Eröffnungsfilm des Festivals zu, "Diane" von Kent Jones?
Brühwiler: Genau. Kent Jones, dieser Film ist ein gutes Beispiel dafür. Das erzählt die Geschichte in einer Kleinstadt, von einer Frau, die alleine lebt und versucht, ihren Sohn vor der Drogensucht zu retten, und der zeigt sehr schön dieses Leben in dieser Kleinstadt, dieser Zusammenhalt der Community, bis dann alle sterben, aber wie das Leben in diesem Alltag beschaulich und ruhig vor sich geht.

"Unknown Pleasures", Forum für Quereinsteiger

Wellinski: "Unknown Pleasures", das Festival ist auch immer ein guter Moment, um jemanden kennenzulernen, einen Regisseur, den man vielleicht so noch gar nicht auf dem Schirm hatte. Ich finde, dieses Jahr ist das ein guter Zeitpunkt, um sich mit Patrick Wang und seinem Kino auseinanderzusetzen. Vielleicht beginnen wir mal ganz basal: Wer ist Patrick Wang, und wofür steht sein Kino?
Brühwiler: Also er hat eigentlich Wirtschaft studiert und hat jetzt vier Filme mittlerweile gemacht, ist ein bisschen Quereinsteiger, und er ist … Ich finde, seine Filme sind ziemlich einzigartig, weil er kommt nicht so aus diesem klassischen … Er hat nicht diese klassische Indie-Laufbahn hinter sich: Filmhochschule, und dann macht man seine Filme. Seine Filme, finde ich, sind wahnsinnig geprägt durch einen Humanismus. Immer wieder stehen in seinen Filme der Wert von Gemeinschaften, also wie setzt sich eine Gemeinschaft zusammen, was bedeutet das, wie verhält sich das Individuum zu Gemeinschaft. Er hat auch eine kleine Karriere als Schauspieler, und man merkt auch, wie wichtig ihm die Arbeit mit Schauspielern ist. Das sind so ein bisschen eben dieser Humanismus und die Arbeit mit Schauspielern und das genau geschrieben Drehbücher oder die kleinsten Nuancen einfangen, das sind so ein bisschen die Aspekte, die mich jedes Mal wieder begeistern, wenn ich seine Filme sehe.
Wellinski: Sein neuestes Projekt ist dieses Diptychon, "A Bread Factory". Sie zeigen auch beide Teile. Womit beschäftigt er sich da?
Brühwiler: Also er ist mit seinen Filmen sehr viel rumgereist und ist oft in kleinen Kulturzentren gelandet, unter anderem auch in Hudson, New York, und da hat er diesen neuen Film gedreht. Das ist auch seit 40 Jahren, auch in der Realität, aber im Film gibt es sie seit 40 Jahren und wird von zwei älteren Damen geführt, und eines Tages soll ein Teil von ihrem Budget gestrichen werden, weil zwei hippe chinesische Künstler kommen und die dann fancy Kunstzentrum machen wollen. Von diesem Kampf erzählt der Film. Es gibt über 100 Rollen, Sprechrollen, in diesem Film, also es ist fast schon so ein Wimmelbild, wo man sich als Zuschauer sehr bequem, aber sehr lustvoll durchschauen kann.

"Taxi Driver"-Autor zeigt neuen Film

Wellinski: Wenn wir über das amerikanische Independent-Kino sprechen, dann handelt es sich ja meist auch um Debütanten, müssen keine jungen Debütanten sein, aber die Debütanten, eben Berufsanfänger. Was interessant ist, wenn man sich das Programm von dem zehnten, mittlerweile, "Unknown Pleasures"-Festival ansieht, ist, dass auch jetzt Regisseure da sind, die schon ein ganz anderes Standing haben. Zum Beispiel Paul Schrader, nicht nur Regisseur von "American Gigolo", sondern auch Drehbuchautor eines absoluten Meisterwerks, "Taxi Driver", dessen neuer Film "First Reformed" läuft ja auch.
Brühwiler: Genau, das ist natürlich etwas, viele Filmemacher bleiben immer Independent-Filmemacher – also das ist schon auch so –, und andererseits versuche ich auch, Filmemacher zu verfolgen, dessen Karrieren so ein bisschen ins Stottern kommen. Also Paul Schrader ist ein gutes Beispiel dafür, aber auch Alan Rudolph – seit 14 Jahren hat er keinen Film mehr gemacht, jetzt gibt es einen neuen. Also es interessiert mich schon, dass man auch diese Karrieren verfolgt, und meistens sind das wahnsinnig tolle Filme. Auch Paul Schrader, ich habe auch schon mal "The Canyons" vor ein paar Jahren gezeigt, den ich auch fantastisch fand. Das ist schon schön, wenn man das so lange schon macht, dass man diese Leute verfolgen kann und zeigen kann, das sind nicht nur die jungen Leute, die einen Film machen so als Visitenkarte, damit sie nachher den Sprung nach Hollywood machen können.
Wellinski: Interessanterweise, Sie sprachen vom Stottern bestimmter Karrieren, und da fällt auch ein Name auf, den viele unserer Hörer auch kennen: Larry Clark. Eigentlich Fotograf, als Regisseur ein ganz großer Erfolg mit "Kids" 1995 oder 96, und jetzt ist er wieder da mit "Marfa Girl 2".
Brühwiler: Ja, genau. Larry Clark ist auch so jemand, der … Man hat ja eigentlich konstant Filme gemacht, aber in Deutschland selten nur noch im Kino, wenn, DVD oder so. Marfa Girl 2" ist das erste Sequel, was er in seiner Karriere gemacht hat. "Marfa Girl 1" aus 2012 war so ein Herzensprojekt von ihm. Das hat er selber finanziert auch. Er hatte auch keine Lust, einen Verleih zu suchen. Über seine Website konnte man den leihen damals. Er hat immer wieder gesagt, wie wichtig ihm diese Figuren sind, und jetzt hat er sechs Jahre später sozusagen geschaut, wo sind diese Leute. Das ist der gleich Cast wie vor sechs Jahren, und das ist wieder das triste Leben in dieser Stadt in Texas und ein sehr höllischer Film.

Streamingdienste gefährden unabhängige Filmmacher

Wellinski: Sie haben ja schon gesagt, was ist ein Independent-Film, wie ist er finanziert, kein großes Studio – das sind ja nur so kleine Eckpunkte –, und dennoch würde mich interessieren – jetzt gerade, wo das Produzieren eines Films zwar nicht billig ist, aber immer billiger wird, Stichwort auch Crowdfunding, man muss ja nicht mehr zu den großen Geldgebern hingehen –, hat sich dadurch auch so gewissermaßen der Independent-Bereich, diese Szene verändert durch diese Einflüsse, die rein finanziellen Einflüsse, dass man Filme jetzt anders, ich will nicht sagen: leichter, aber durchaus auch mit anderen Methoden herstellen kann?
Brühwiler: Also ich meine, wenn ich jetzt zurückblicke auf die letzten zehn Jahre, dann ist die große Frage, wer sieht den Film. Also es ist nicht mehr, wie produziere ich meinen Film, sondern wer wird ihn überhaupt schauen. Ich habe da gerade vor ein paar Tagen mit Patrick Wang gesprochen, und die Frage, die ihn umtreibt, ist, wie bleibt mein Film sichtbar, also wer schaut den überhaupt. Es ist schwierig zu sagen, wie sich das auf die Inhalte äußert. Ich würde sagen, da bin ich mir unsicher, wie man das da wirklich festmachen kann, aber man kann schauen, dass es schon verschiedene Strategien gibt, damit umzugehen. Der Verleih – es gab einen Filmemacher, der hat ein Abo angeboten. Joe Swanberg, der hat gesagt, okay, wenn ihr bei mir ein Abo löst, dann kriegt ihr vier Spielfilme in diesem Jahr, und das hat er auch eingehalten. Das war einer dieser Mumblecore-Filmemacher. Er meinte, das war gar nicht so … Es lief ganz gut, aber es ist natürlich sehr, sehr aufwendig.
Wellinski: Wobei da ja natürlich auch in dem Moment, wenn man Abo hört, das böse Wort Netflix vorkommen könnte. Ich will jetzt nicht nur über Netflix sprechen, aber überhaupt diese Idee der größeren Streamingportale – ist das Fluch oder Segen für eine Independent-Szene, wie sie in den USA existiert?
Brühwiler: Ich glaube, viele haben das als Segen ursprünglich betrachtet, und Netflix oder auch Amazon, die haben sehr viele Independent-Filme aufgenommen, auch kleinere, und das war, glaube ich, auch ganz lukrativ auch für kleinere Filmemacher, das hat sich aber geändert. Netflix geht immer mehr auf Eigenproduktionen oder größere Filme, und Amazon hat auch den Algorithmus verändert, und schielt auch viel mehr jetzt auf so Prestigeproduktionen oder eben auch Eigenproduktionen, und da bleiben jetzt wieder so Leute wie Patrick Wang oder so auf der Strecke, weil die Filme sind dann zu sperrig, zu klein, und die passen in diese großen Streamingdienste nicht mehr rein. Es gibt natürlich viele kleinere, aber die Frage ist dann auch, finanziell bringt es den Filmemachern auch nichts mehr.
Wellinski: Wobei die Idee dahinter wäre natürlich, dass dadurch auch durchaus ein Publikum erreicht wird, das diesen Film im Kino nie sehen würde, wenn es auf so einem Abosystem – Netflix und Co – laufen könnte, dieser Film, nicht wahr?
Brühwiler: Das ist die Idee natürlich dahinter. Man sieht aber im Augenblick, dass sich das immer mehr zersplittert. Wie viele Leute haben mehr als zwei oder drei Abos, die wenigsten wahrscheinlich. Also das ist schon ein Problem, wie man das in Zukunft dann irgendwie als Zuschauer im Überblick behalten möchte, ohne immer bei den Großen zu landen.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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